Krise, Kirche, Karneval – ein historischer Rückblick

Unter den derzeitigen pandemiebedingten Einschränkungen leiden alle – ganz besonders aber die Karnevalisten, denen in diesen Wochen ein unbeschwertes, fröhliches Treiben kaum möglich ist. Ein Blick in die Geschichte lehrt allerdings, dass Krisenzeiten auch schon in der Vergangenheit ihre Auswirkungen auf den Karneval nicht verfehlt haben. Gerade die evangelische Kirche, die schon in „normalen“ Zeiten dem närrischen Treiben traditionell mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenüberstand, war in solchen Situationen ganz besonders darauf bedacht, die in ihren Augen höchst fragwürdigen karnevalistischen Umtriebe möglichst komplett zu unterbinden. Zwei Beispiele – eines aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise in den späten 1920er Jahren, das andere aus der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg – mögen das verdeutlichen.

Karnevalsbedingter Rücktritt eines rheinischen Gemeindeverordneten

Pfarrer Karl Lohmann im Pfarrgarten in der Emser Straße.
Aus: „Festschrift der Evangelischen Kirchengemeinde Koblenz-Pfaffendorf aus Anlaß des 100. Jahrestages ihrer Gründung zum 1. Oktober 1899“

In Pfaffendorf am Rhein amtierte seit 1896 Pfarrer Karl Lohmann. Zeit seines Lebens ein glühender Kämpfer gegen „das auswüchsige Karnevalstreiben“, wie es im Jargon der Zeit hieß, hatte er auf diesem moralischen Feldzug auch seine Presbyter und Gemeindeverordneten fest im Griff. Allerdings nicht ganz uneingeschränkt – denn sie waren schließlich nicht nur gute Protestanten, sondern eben auch Rheinländer. Als Lohmann 1929 durchsetzen wollte, dass sich sämtliche Mitglieder der Gemeindevertretung im Zeichen der Weltwirtschaftskrise ausdrücklich dazu verpflichten sollten, keinerlei Karnevalsveranstaltung zu besuchen, war für den Repräsentanten Paul Strombach – seines Zeichens Regierungs-Inspektor und daher von Amts wegen eigentlich aller Ausschweifung unverdächtig – eine Grenze erreicht. Mit wohlgesetzten, aber nicht minder klaren Worten distanzierte er sich zwar von jeglichem Treiben, das gegen die „guten Sitten“ verstieß, wollte es sich gleichwohl nicht verbieten lassen, anständige Feierlichkeiten weiterhin besuchen zu dürfen – und erklärte deshalb kurzerhand seinen Rücktritt.

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Protokolle der Kreissynoden online abrufbar

Kreissynode Düsseldorf ca. 1930 – AEKR 7NL 160 Nr. 22

In einer dreiteiligen Serie werden die Protokolle der Kirchenkreissynoden auf der Website des Archivs zur Verfügung gestellt. Unter der Kategorie Quellentexte zur Rheinischen Kirchengeschichte können jetzt unter „Synoden der Kirchenkreise“ die Digitalisate der einzelnen Kreissynoden als PDF herunter geladen werden. Den Anfang machen die Kreissynoden von Aachen, Altenkirchen, An der Agger, An der Ruhr, Barmen, Bonn, Braunfels, Dinslaken, Düsseldorf und Duisburg. Nach der am 5. März 1835 verabschiedeten Kirchenordnung für Westfalen und die Rheinprovinz wurde es Usus Protokolle von Synoden zu drucken. Protokolle aus vorherigen Jahrgängen liegen teilweise als handschriftliche Aufzeichnungen vor. In der Regel wird mit den bereitgestellten Protokollen der Zeitraum zwischen ca. 1850 und 1933 umspannt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der Gleichschaltung der Landeskirchen wurde die presbyterial-synodale Ordnung auch im Rheinland weitgehend durch Mehrheiten der Deutschen Christen aufgehoben. In der sog. „zerstörten Kirche“ der Rheinprovinz fanden, analog zu den Provinzialsynoden, keine Kreissynoden mehr statt.

Aktuell bilden 643 Kirchengemeinden 37 Kirchenkreise. Auf der Website werden jedoch die Protokolle von 35 Kirchenkreisen abrufbar sein, u.a. von solchen, die heute nicht mehr selbständig existieren, wie Barmen oder Braunfels. Als in den 1960er Jahren die Gemeinden, v.a. in Städten, durch Zuzüge anwuchsen, wurden viele Kirchengemeinden geteilt, sodass auch die Anzahl der Kirchenkreise anstieg. Heute lässt sich eher der gegenteilige Trend verzeichnen.

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120 Jahre Aktenplanarbeit in der Rheinischen Kirche

Am 17. Januar 1902 versandte der damalige Generalsuperintendent Valentin Umbeck seinen „Plan zur Einrichtung von Pfarrarchiven“ an alle rheinischen Kirchengemeinden. Den in sieben Titel gegliederten Plan hatte man bewusst im Folio-Format gedruckt, um als Übersichtshilfe an den Innenseiten der hölzernen Archivschränke angebracht zu werden. Bei meinen ersten Archivpflegeterminen Mitte der 1990er Jahre habe ich in einigen Landgemeinden noch genau diesen Zustand vorgefunden.

Plan zur Einrichtung von Pfarrarchiven des Generalsuperintendenen Valentin Umbeck vom 17.01.1902.

Auch und gerade im Zeitalter von DMS-gestützten Registraturen und der Einführung von E-Akten hat der strukturierte Aktenplan seinen Wert behalten oder vielleicht sogar gesteigert. Dies ist interessanterweise Konsens nicht nur im archivwissenschaftlichen Fachdiskurs, sondern auch zwischen Beratungsstellen für die Verwaltung und den Anbietern von DMS-Software. Freilich bedurfte der 2004 eingeführte Einheitsaktenplan der EKiR einer gründlichen Aufarbeitung. Zufällig auf den Tag genau 120 Jahre nach Umbeck wurde jetzt in der Ausgabe des Kirchlichen Amtsblattes der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 17.1.2022 die neue Schriftgutordnung der EKiR publiziert. Als Anlage enthält sie den novellierten Einheitsaktenplan mit Stichwortverzeichnis; alle Texte findet man am übersichtlichsten hier.

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Retrokonvertiertes Findbuch der Ev. Kirchengemeinde Aachen online

Amtsbücher der Ev. Kirchengemeinde Aachen, Bestand 4KG 004 Aachen







Bereits in den Jahren 1959 und 1960 bearbeitete und erschloss Kirchenarchivrat Walter Schmidt (1908-1992) den Bestand des kirchlichen Gemeindearchivs Aachen nach dem damaligen Registraturplan für die Kirchengemeinden und Verbände der Ev. Kirche im Rheinland. Im Zuge der Retrokonvertierung alter Findbücher wurde nun dieses Repertorium in unsere Archivsoftware retrokonvertiert. Damit kann dieser wichtige Bestand 4KG 004 Aachen auch in die Metadatenbank Archivportal-NRW, -Deutschland und – Europa eingespeist werden.

Die Anfänge protestantischer Gemeinden in Aachen reichen in die 1550er Jahre zurück. Im Verlauf der nächsten drei Jahrzehnte kam es im 16. Jahrhundert, unter anderem durch Einwanderung aus den Niederlanden, zur verstärkten Herausbildung von Gemeinden unterschiedlichen protestantischen Couleurs. So etablierten sich eine deutsch-reformierte, eine wallonisch-reformierte, eine lutherische und eine mennonitische Gemeinde in der katholischen Reichsstadt. Das Zusammenleben von Menschen verschiedener Konfessionen wirkte sich maßgeblich auf den Alltag, die Entwicklung und schließlich auch auf die Geschichte der Stadt aus. „Aachen wurde eine konfessionelle Stadt, ohne dass die Stadtgemeinde im Sinne eines einzigen Bekenntnisses konfessionalisiert wurde“ (Kirchner, Thomas 2015: S. 3).

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Einreisegenehmigung für Generalsuperintendent Stoltenhoff in das Saargebiet 1934

„Die Einreise in das Saargebiet (nach Fechingen) für Herrn D. Stoltenhoff, ehemaliger Generalsuperintendent der Rheinprovinz (1 Person) wird hiermit gemäß Verordnung der Regierungskommission vom 25.10.1933 für die Zeit vom 15.9. bis zum 17.9.1934 genehmigt.“

Saarbrücken, den 10. Sept. 1934 Der Leiter des Verkehrswesens

Einreisegenehmigung in das Saargebiet f. Generalsuperintendent Ernst Stoltenhoff, 10.09.1934, Fechingen. Aus Bestand: AEKR 6HA 001(Generalsuperintendent Ernst Stoltenhoff), 506

Bei einer Recherche in den Handakten des ehemaligen Generalsuperintendenten der Rheinprovinz, D. Ernst Stoltenhoff, (Bestand 6HA 001 Nr. 506) fiel mein Blick auf dieses Formular, dass diesem die Einreise in das Saargebiet nach Fechingen gestattet. Für einen Moment stutzte ich: Eine Einreisegenehmigung für eine Reise innerhalb des Kirchengebietes der Rheinprovinz? Dann wurde mir klar, dass dieses mit dem Status der Saarregion nach dem Ersten Weltkrieg zusammenhängt.

Durch den Versailler Vertrag wurde 1920 erstmals eine eigenständige Verwaltungseinheit an der Saar geschaffen. Diese umfasste die Stadt Saarbrücken, die Kreise Saarbrücken, Ottweiler und Saarlouis und Teile der Kreise Merzig und St. Wendel (alle vorher zu Preußen gehörig) sowie bayerische Gebietsteile der Bezirksämter St. Ingbert, Homburg und Zweibrücken. Nach Artikel 49 des Vertrages wurde dieses „Saargebiet“ für 15 Jahre dem Völkerbund als Treuhänder unterstellt. Eine Regierungskommission mit französischer Beteiligung übte die Verwaltung aus. Eine Zollgrenze zum Deutschen Reich beeinträchtigte den Alltag der Menschen in der nun geteilten Region.

Generalsuperintendent Stoltenhoff war oberster geistlicher Repräsentant der evangelischen Kirche in der Rheinprovinz und war viel in den Kirchengemeinden unterwegs. So wurde er auch von dem Fechinger Pfarrer Hans-Ludwig Kulp (1903-1961, in Fechingen 1932-1936) zum 25jährigen Bestehen der Frauenhilfe der Gemeinde eingeladen.

Programm der Evangelischen Frauenhilfe Fechingen zur Festversammlung am 16.09.1934. Aus Bestand: AEKR 6HA 001(Generalsuperintendent Ernst Stoltenhoff), 506

Kulp bat Stoltenhoff, den Festgottesdienst zu halten und „abends [zur] Nachfeier in dem primitiven Wirtshaussälchen unseres Dorfes“ zu Gast zu sein. Interessant ist die folgende Positionierung in dieser Zeit des „Kirchenkampfes“, Kulp schreibt: „Wir würden uns über eine Zusage sehr freuen; denn wir kennen Sie, hochverehrter Herr Generalsuperintendent. Die neuen Größen kennen wir nicht und lieben wir nicht und brauchen wir nicht.“ Stoltenhoff war zu dieser Zeit noch im zwangsweisen Ruhestand (seit 01.04.1934), bevor er am 25.05.1936 in sein Amt wiedereingesetzt wurde.

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Klein aber fein: Mini-Kirchenbuch im Bestand der Kirchengemeinde Kleve

Taufbuch der Ref. Kirchengemeinde Cleve 1811-1822. Aus Bestand 4KG 013 Kleve

Klein aber fein! Diese Beschreibung trifft wohl am ehesten auf das Taufbuch der Reformierten Gemeinde Kleve von 1811 zu. Gerade mal 16 Zentimeter in der Höhe und 10 Zentimeter in der Breite misst es und hat damit absoluten Seltenheitswert. Es ist auch im Bestand selbst die Ausnahme: die übrigen Amtsbücher aus Kleve haben, wie üblich, mindestens Folio-Format.

Taufbuch der Ref. Kirchengemeinde Cleve 1811-1822. Aus Bestand 4KG 013 Kleve

In sehr feiner Schrift hat Pfarrer Adolf von Essen auf 37 Seiten die von ihm Getauften aus seinen immerhin 11 Jahren in Kleve notiert, insgesamt 72 Personen. Die Einträge sind dabei keinesfalls besonders kurz gehalten. Sie enthalten alle relevanten Daten und sind alle durch Unterschrift bestätigt.

Adolf von Essen amtierte von 1811 bis 1822 in der zweiten reformierten Pfarrstelle in Kleve. Sein Taufbuch hat er offenbar parallel zu dem der restlichen Gemeinde geführt. Zumindest in Stichproben fanden sich die von ihm getauften Personen nicht im sich zeitlich überschneidenden Taufregister der Reformierten Gemeinde von 1778 bis 1829.

Taufbücher der Ref. Kirchengemeinde Cleve 1723-1777 u. 1811-1822. Aus Bestand 4KG 013 Kleve