Jugendstreiche eines Professors

In Zeiten von Papiermangel kamen und kommen gelegentlich die Rückseiten bereits benutzter, dann aber nicht mehr benötigten Blätter als Briefpapier zum Einsatz. Es kann deshalb reizvoll sein, den Zusammenhängen zwischen der zufällig überlieferten Briefrückseite und dem eigentlichen Inhalt des Schreibens nachzuspüren. Ein solcher Fall tauchte kürzlich bei der Bearbeitung einer Nachlieferung zum Nachlass des Koblenzer Superintendenten Wilhelm Rott (1908-1967) auf.

Flugblatt zur Wahlveranstaltung der Gesamtdeutschen Volkspartei in Bendorf am 22. August 1953 (Bestand 7NL 024B, Nachlass Superintendent Wilhelm Rott, Nr. 39).

Es handelt sich um einen Brief an Wilhelm Rott vom 4. November 1953, den ihm sein ehemaliger Vikar Günter Klein (1928-2015) im Jahr 1953 geschrieben hatte, nachdem er nach Ende seines Koblenzer Vikariats als Repetent im kirchlichen Dienst an die Universität Bonn gewechselt war. Als Briefpapier verwendete Klein überzählige Exemplare eines im Vorfeld der Bundestagswahl vom 6. September 1953 entstandenen Flugblatts für eine Wahlveranstaltung der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) in Bendorf, in der er selbst (der seinen Vornamen allerdings nicht mit „th“, sondern nur mit einfachem „t“ schrieb!) als Redner auftrat.

Die GVP war eine im Jahr 1952 auf Initiative des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann gegründete Partei, die sich gegen die von Konrad Adenauer betriebene Politik der Westintegration und insbesondere der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland wandte und stattdessen die Wiedervereinigung auf dem Weg der Neutralität zwischen Ost und West anstrebte. In ihr sammelten sich christlich geprägte Politiker beider großen Konfessionen, die sich zunächst, wie Heinemann selbst, in der CDU , aber auch, wie die auf dem Flugblatt genannte Helene Wessel, in der nach dem Zweiten Weltkrieg als linkskatholische Alternative zur CDU wiedergegründeten Zentrumspartei engagiert hatten. Der evangelische Flügel der GVP war stark von Theologen der Bekennenden Kirche geprägt, in der sich auch der Bonhoeffer-Mitarbeiter Wilhelm Rott engagiert hatte.

Erste und letzte Seite des auf der Rückseite der Flugblätter geschriebenen Briefs von Vikar Günter Klein an Superintendent Wilhelm Rott vom 4. November 1953. Der Text des Flugblatts schimmert auf der Rückseite durch (Bestand 7NL 024B, Nachlass Sup. Wilhelm Rott, Nr. 39).

Die auf dem Flugblatt ebenfalls genannten Politiker Joseph Wirth und Wilhelm Elfes gehörten nicht der GVP an, sondern waren führende Köpfe des 1953 gegründeten „Bundes der Deutschen“. Diese Partei widersetzte sich ebenfalls der Westintegration der Bundesrepublik, legte dabei aber stärker als die GVP den Akzent auf eine Verständigung mit der Sowjetunion – so wie es Wirth bereits in seiner Zeit als Reichskanzler in den Jahren 1921/22 getan hatte (Rapallo-Vertrag vom 16. April 1922). Im Vorfeld der Bundestagswahl 1953 hatten GVP und Bund der Deutschen ein Wahlbündnis geschlossen, erlitten jedoch – nicht zuletzt aufgrund der offenen  kommunistischen Einflussnahme im Bund der Deutschen – eine mehr als deutliche Niederlage. 1957 löste sich die GVP auf, Heinemann und Wessel traten, wie viele andere Mitglieder auch, zur SPD über.

Ob sich Günter Klein über die Bendorfer Veranstaltung hinaus für die GVP engagierte und wie Wilhelm Rott zum politischen Engagement seines Vikars stand, ist nicht überliefert. Es steht jedoch zu vermuten, dass es eine Einzelaktivität blieb, denn Klein machte keine politische, sondern eine wissenschaftliche Karriere. Er wurde 1959 an der Universität Bonn mit einer Dissertation zu Ursprung und Entwicklung der Vorstellung der Zwölf Apostel im frühesten Christentum zum Dr. theol. promoviert, habilitierte sich bereits zwei Jahre später mit einer Arbeit über das Problem des Schismas bei Paulus und wurde 1964 auf den Lehrstuhl für Neues Testament der Theologischen Fakultät der Universität Kiel berufen. Von 1967 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1993 wirkte er als Lehrstuhlinhaber für Neues Testament und Direktor des Neutestamentlichen Seminars in Münster und ist dort am 27. Dezember 2015 gestorben.

Regionale Handbücher der evangelischen Kirchenbauten im Rheinland. Teil 9

Im letzen Teil dieser Serie blicken wir auf die südlichsten Kirchenkreise, vom Rhein über die Nahe bis zur Saar: An Nahe und Glan, Obere Nahe, Saar-Ost und Saar West.

In einem abschließenden Blogbeitrag werde ich noch Veröffentlichungen, die sich auf das ganze Gebiet der rheinischen Landeskirche beziehen, vorstellen.

Kirchenkreis An Nahe und Glan

Dieser Kirchenkreis wurde 1969 durch Fusion der Kirchenkreise Kreuznach, Meisenheim und Sobernheim errichtet. Weder für die drei alten Kirchenkreise noch für den Nachfolger konnte ich eine Veröffentlichung über die Kirchenbauten ermitteln. Auch das traditionelle Synodalbuch aus den 1950er Jahren gibt es hier nicht – und übrigens in keinem dieser südlichen Kirchenkreise.

Kirchenkreis Obere Nahe

Kirchenkreis Sankt Wendel: 150 Jahre Ev. Kirchenkreis St. Wendel; 1835 – 1985 / Hrsg.: Evangelischer Kirchenkreis St. Wendel. | Gemeinden im evangelischen Kirchenkreis Birkenfeld / Hajo Knebel; Karlheinz Brust

Aus der Vereinigung des Kirchenkreises Birkenfeld mit dem nördlichen, nicht saarländischen Teil des Kirchenkreises St. Wendel entstand 2010 der Kirchenkreis Obere Nahe.

Für den Kirchenkreis Birkenfeld legten Hajo Knebel und Karlheinz Brust 1979 das Buch „Gemeinden im evangelischen Kirchenkreis Birkenfeld“ vor, das vom Kirchenkreis herausgegeben wurde. Auf meist einer Seite werden die Gemeinden und ihre Kirchen mit Text und einer Abbildung vorgestellt.

Der damalige Kirchenkreis St. Wendel gab zu seinem 150jährigen Jubiläum 1985 den Band „150 Jahre Evangelischer Kirchenkreis St. Wendel 1835-1935“ heraus. Jede Kirchengemeinde und ihre Kirchenbauten werden hier ausführlich auf fünf bis zehn Seiten und mehreren Fotografien porträtiert.

Weiterlesen

Erfassung der Kölner Garnisonskirchenbücher abgeschlossen

Unser Kooperationsprojekt mit dem Verein für Computergenealogie (CompGen) zur Erfassung der Kölner Garnisonskirchenbücher seit 1816 hat seinen erfolgreichen Abschluss gefunden. In den auf Matricula eingestellten Kirchenbüchern können nun ca. 70.000 Datensätze online recherchiert werden.

Die Mehrzahl der Soldaten rekrutierte sich dabei gerade nicht aus dem Rheinland sondern aus den östlichen Provinzen Preußens. Für die Familienforschung bilden die Militärkirchenbücher generell eine noch wenig erschlossene Quellengruppe. Das Blog von CompGen informiert anschaulich über erste statistische Auswertungen etwa zu den Todesursachen. Auffällig ist die hohe Suizidrate unter den Garnisonsangehörigen.

Neues Findbuch: Der MBK-Rheinland – Mehr als der Name verrät

Das Kürzel MBK stand ursprünglich für Mädchen-Bibelkreise und umschrieb die zwanglosen Bibeltreffen von Schülerinnen und Lehrerinnen aus der Gründungszeit in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Aber als sich der rheinische Verband dem Bund der MBK 1920 anschloss, verbarg sich bereits mehr dahinter. Natürlich war die Arbeit mit Schülerinnen und jungen Frauen immer ein Kerngeschäft, wobei auch dort die Bibeltreffen nur einen kleinen Teil des Programms beschreiben, viel bedeutender für die Vereinsmitglieder waren die jährlichen Freizeiten und Wochenenden, dies geht zumindest aus dem im Archiv der EKiR gelagerten Bestand hervor. Zahlreiche, liebevoll gestaltete Freizeitberichte von jungen Teilnehmerinnen bis in die 60er Jahre bezeugen die Beliebtheit und dankbare Annahme des Angebots. Begleitet wurden die Mädchen von sogenannten Reisesekretärinnen, die ihr Engagement nicht selten lebenslang dem MBK widmeten. Die Arbeit fruchtete. Viele der Mädchen übernahmen mit dem Heranwachsen ebenfalls Aufgaben der Vereinsarbeit.

Weiterlesen

Vom Kino zur Kirche: Das Evangelische Gemeindezentrum in Weißenthurm

„Es war einmal ein Gloria-Filmtheater…“ – so begann Superintendent Wilhelm Rott sein Grußwort anlässlich der Einweihung des neuen Evangelischen Gemeindezentrums in Weißenthurm am 2. August 1964. Hintergrund dieser für Außenstehende verwunderlichen Formulierung war der nicht alltägliche Umbau eines Kinos in ein kirchliches Gebäude.

Innenraum der Evangelischen Kirche in Weißenthurm bei ihrer Einweihung 1964, aus Bestand: KG Weißenthurm [extern]

Eigentlich hatte die noch junge, erst 1959 selbständig gewordene evangelische Gemeinde Weißenthurm nur zehn Jahre zuvor bereits ein Gemeindezentrum erbaut. Dies war für das stetig wachsende Kirchenvolk, das Anfang der 1960er Jahre schon mehr als 1.000 Seelen zählte, jedoch mittlerweile zu klein geworden und lag noch dazu am Rand der (damals noch) Ortsgemeinde Weißenthurm in der Pilau. Viele Gemeindemitglieder waren daher der Meinung, dass die Kirche zentraler liegen und in mehrerer Hinsicht „Zum Zentrum“ – so das Motto des Projektes – werden sollte: zum Zentrum des Ortes hin orientiert, zum Zentrum der Kirchengemeinde und nicht zuletzt zum Zentrum des Glaubens.

Erste Evangelische Kirche in Weißenthurm, aus Bestand: KG Weißenthurm [extern]
Weiterlesen

Regionale Handbücher der evangelischen Kirchenbauten im Rheinland. Teil 8

Im linksrheinischen Gebiet der rheinischen Landeskirche geht es heute um die ländlich geprägten Kirchenkreise Koblenz, Simmern-Trarbach und Trier.

Kirchenkreis Koblenz

Der Kreissynodalvorstand gab 1959 das „Synodalbuch des Evangelischen Kirchenkreises Koblenz“ heraus. Dieses porträtiert nach einem Kapitel zur Geschichte des Kirchenkreises jede Kirchengemeinde auf zwei bis vier Seiten mit Angaben zur Geschichte der Gemeinde und ihrer Kirche(n), die auch abgebildet sind.

Auch als „Synodalbuch“ wird im Vorwort der großformatige Band „Der Evangelische Kirchenkreis Koblenz“ bezeichnet, den der Kirchenkreis unter der Bearbeitung von Hajo Knebel im Jahr 1985 herausgegeben hat. Auf meist zwei Seiten finden sich die wichtigsten Angaben zu den Gemeinden und zwei – teils großformatige – Fotografien der Kirchen und Gemeindezentren. Abgerundet wird die Literatur zu diesem Kirchenkreis durch die Jubiläumsschrift „200 Jahre Evangelisch an Ahr, Mosel und Rhein. 1817-2017 Evangelischer Kirchenkreis Koblenz“. Neben der ausführlichen Darstellung der Geschichte des Kirchenkreises werden hier die Kirchengebäude – teils collagenartig – abgebildet.

Weiterlesen

Schreibschriften – Eine illustrierte Kulturgeschichte

Unter diesem Titel hat die Grafikerin Lena Zeise jetzt einen sehr ansprechend gestalteten Überblick über die Schriftarten und Schreibtechniken von der Antike bis zur Gegenwart vorgestellt. Eine ausführliche Besprechung finden Sie hier.

Obgleich der Band zahlreiche aussagekräftige Schriftbeispiele von der Antike bis zum 20. Jahrhundert bietet, ist er nicht als praktische Übungshilfe für das Transkribieren der gotischen Minuskel oder der deutschen Kurrentschrift zu verstehen. Hierfür gibt es in Buchform und im Web zahlreiche hilfreiche Angebote gerade auch für familienkundlich Interessierte. Ein guter Überblick findet sich bei Archivalia. Für die ganz Eiligen seien hier etwa die „Zehn Goldenen Regeln der Paläographie“ genannt, u. a. mit dem meines Erachtens empirisch wirklich zutreffenden Tipp: „Im Zweifel ist es immer ein ´W´…“

Warum also der Buchhinweis in einem Archivblog? Nun, es schadet auch den meist sehr pragmatisch agierenden Archivarinnen und Archivaren nicht, den Blick vom reinen Entzifferungsgeschäft auf die Kulturtechnik des Schreibens zu weiten. Diese ist bekanntlich durch den technisch-kulturellen Wandel vielfach bedroht. Der vorliegende Band regt dazu an, wieder stärker ihren kognitiven Wert anzuerkennen.