Billy Graham – ein Erweckungsprediger aus den USA auch im Rheinland

Fotograf: Hans Lachmann, Datum: 1960, Ort: Essen

In einem Artikel für das ‚Ev. Gemeindeblatt für Württemberg‘ (aufgegriffen von der ev. Zeitung ‚Der Weg‘ vom 19. Okt. 1952) klagt der Theologe Dr. Kurt Hutten (1901-1979) in seinem Beitrag „Der Hunger nach dem Wunder“ über katholische Marienerscheinungen und „treiberische(n) Evangelisationsversammlungen, in welche die Gläubigen in Verzückungen geraten und in Zungen reden und Heilung erleben“ (S. 1). Der Wunsch der Menschen nach einer übernatürlichen Erscheinung oder Erfahrung gehöre für ihn zu den Symptomen einer Zeit, die geprägt ist durch das Atomzeitalter, Weltanschauungskämpfe, Diktaturen, eine immer schneller fortschreitende Technik, Rationalisierung und Bürokratisierung. Vor der kalten Realität sucht man Zuflucht im Übernatürlichen. Das Individuum „lechzt nach dem hinreißenden Erlebnis und der frommen Ekstase“ (ebd.).

Die Zeichen resp. „Symptome der Zeit“ hat wohl auch der amerikanische Baptistenprediger Billy Graham richtig erkannt, der mit seinen Evangelisationsevents tausende Besucher anzog. William Franklin „Billy“ Graham (1918-2018), der bei einer Verkündigungsveranstaltung 1934 selber ein Erweckungserlebnis hatte und sich daraufhin dem Studium der Theologie zuwandte, avancierte zu einem der einflussreichsten christlichen Prediger des letzten Jahrhunderts in den USA. Mit wachsender Popularität baute er ein regelrechtes „Unternehmen“ um seine Person, mit eigenem Missionswerk (die Billy Graham Evangelistic Association – BGEA), Radiosendungen, Buchveröffentlichungen, Schulungen, Fernsehen und Massenveranstaltung, letztere auch als „crusades“ (Kreuzzüge) bezeichnet.

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Aus den Gästebüchern des Pastoralkollegs Rengsdorf II

Im Zuge der Bearbeitung des Bestandes der landeskirchlichen Einrichtung Pastoralkolleg Rengsdorf bin ich in den Gästebüchern auf den 181. Eintrag vom 8. Oktober 1933 gestoßen. Auf einer dreitägigen Veranstaltung tagte der „Vortragsausschuß der Glaubensbewegung Deutsche Christen und das Propaganda-Amt (Volksmissionarisches Amt) des Bistums Köln-Aachen“ unter der Leitung des Bischofs Dr. Heinrich Oberheid. Zu den Teilnehmern zählte auch das bekannte Brüderpaar Heinz und Karl Dungs.

Unterschriftenliste der Teilnehmer der Tagung des Vortragsausschußes der Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ und das Propaganda-Amtes (Volksmissionarisches Amt) des Bistums Köln-Aachen, 08.-10.10.1933

Auf dieser Tagung formulierten die Deutschen Christen des Rheinlandes die sogenannten Rengsdorfer Thesen, denen Pfarrer Dr. Joachim Beckmann Ende 1933 widersprach und Gegenthesen aufstellte.
Im Weckruf, dem Sonntagsblatt der Glaubensbewegung der Deutschen Christen wird in der 42. Nummer des 1. Jahrgangs (1933) der Ortsgruppe Krefeld verkündet, dass „Kirchensenat und Landesbischof der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union (…) am 5. Oktober Dr. Oberheid, (Pfarrer in Asbach (Westerwald) und kommissarischer Beauftragter beim Rheinischen) Konsistorium, zum Bischof von Köln-Aachen, zum ersten Bischof der neuen Evangelischen Kirche Rheinlands ernannt“ haben.

Quelle: Der Weckruf, Krefeld, Jg. 1933, Nr. 43

Auf der Titelseite der 43. Ausgabe des Weckrufs verbreitet Oberheid in dem Artikel „Den rheinischen Gemeinden zum Gruß!“ vom 10.10.1933 nationalsozialistische Propaganda. In der darauffolgenden Ausgabe des Weckrufs am 29.10.1933 wird die „Kirchliche Neueinteilung (des) Rheinlands“ verkündet und das neugeschaffene „Amt für Kirchliche Propaganda des rheinischen Bistums“ vorgestellt. Zum Leiter des Amtes wurde der Geschäftsführer der rheinischen Landesleitung der „Deutschen Christen“, Herr Heinz Lauterbach, Köln, berufen.

Zeichnung im 2. Gästebuch des Pastoralkollegs Rengsdorf Schulungskurs für Laien und Redner 16.-19.10.1933

Lauterbach leitete einen Schulungskurs für Laien und Redner vom 16. bis 19. Oktober 1933 im Haus Hermann von Wied. In dem Gästebucheintrag haben sich die Teilnehmer unter der Abbildung eines Kreuzes mit dem Hakenkreuz eingetragen. Der Rheinische Präses Friedrich Schäfer (1871-1953) nahm an dieser Veranstaltung teil.

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Reformierte Netzwerke im 16. Jahrhundert – Die Familie Calandrini aus Lucca

Quittung des Cesare Calandrini, Frankfurt 17. April 1590, aus Bestand: AEKR 4KG 004 (Aachen); Nr. 143

Bei diesem Schriftstück handelt es sich vom Genre her zunächst einmal um eine banale Quittung. Sie wurde 1590 in Frankfurt/Main in französischer Sprache ausgestellt und es geht um eine Kollekte aus Aachen („Aix“). Stutzig macht aber bereits der klangvolle italienische Name des Ausstellers und bei näherer Betrachtung erschließen sich europaweite Netzwerke der Kommunikation und finanziellen Unterstützung.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erleiden die an der Lehre Calvins orientierten Reformierten in Westeuropa vielfach das Schicksal der Vertreibung. Massiver religiöser Verfolgungsdruck herrscht im England der katholischen Königin Mary Tudor (reg. 1553-1558) ebenso wie unter der Statthalterschaft des Herzogs von Alba in den Niederlanden 1567-1573. Weitere Flüchtlinge aus Frankreich, der Wallonie und aus Antwerpen prägen die reformierten Gemeinden am Niederrhein, in Aachen und Köln.

Ein Beispiel ist die „Lucca-Connection“ der Familie Calandrini: Sie mussten 1567 auf Druck der Inquisition das toskanische Lucca verlassen und siedelten sich in Paris an. Dort überlebten sie 1572 knapp die Massaker der Bartholomäusnacht und flohen nach Sedan. Von dort zogen einige Mitglieder der Familie nach Antwerpen, dann 1585 vor den einmarschierenden Spaniern nach Frankfurt am Main. Der junge Textilkaufmann Cesare Calandrini (1550-1611) hatte sich bereits seit Mitte der 1570er Jahre in Nürnberg als einer der angesehensten Tuchhändler der Stadt etabliert. Sein Bruder Giovanni war erfolgreicher Bankier in Amsterdam, ebenso wie sein Schwiegersohn Philipp Burlamachi in London.

Fluchtroute der Familie Calandrini im 16. Jahrhundert. Aus: „Damit Extrema verhütet werden…“ – Die 1. Reformierte Generalsynode in Duisburg 1610 zwischen Machtpolitik und Nächstenliebe
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Der Pfarrer mit Presbytern „per Du“ und Skatkumpel – ein Fall der Befangenheit?

Pfarrer Dr. Kurt Beck (1909-1986) war von 1947 bis 1955 Inhaber der dritten Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde Oberhausen I. Bei seinen Personalakten (Bestand 1OB 009 B 293) befinden sich zwei Beiakten wegen der Zwistigkeiten zwischen ihm und Pfarrer Dr. Werner Goßlau (1910-1995). Goßlau war ein Oberhausener „Urgestein“, denn er amtierte beeindruckende 42 Jahre in der Kirchengemeinde Oberhausen I (zweite Pfarrstelle) bzw.nach deren Teilung 1963 bis 1980 in der ersten Pfarrstelle der Christuskirchengemeinde Oberhausen.

Schreiben von Pfarrer Beck an den Superintendenten des Kirchenkreises An der Ruhr vom 21.01.1950, aus Bestand: AEKR 1OB009(Personalakten der Pfarrer), B 293, PA Kurt Beck, Beiakte

Der schmale Band der einen Beiakte trägt den schlichten Titel „Beck gegen Goßlau“ und enthält nur wenige Schreiben aus Januar und Februar 1950. Die Betreffzeile des ersten Schreibens vom 21.01.1950 lässt aufhorchen: „Klarstellung betr. „Skatbruderschaft“ und „Du“-Verkehr mit Gemeindegliedern.“ Hier wendet sich Pfarrer Beck an den Superintendenten, Pfarrer Ernst Barnstein, des Kirchenkreises An der Ruhr, zu dem auch die Kirchengemeinden in Oberhausen zählten. Es geht darum, dass Pfarrer Goßlau nach den Presbyteriumssitzungen im Dezember 1949 und Januar 1950 Bemerkungen über ein „Du-Verhältnis“ von Pfarrer Beck mit drei Presbytern und eine „Skatbruderschaft“ derselben gemacht habe. Eine Rolle spielt das angespannte Verhältnis von Pfarrer Goßlau zum „Südchor“, in dem die angeblichen Skat- und Duz-Brüder von Pfarrer Beck Vorstandsmitglieder seien (so Goßlau im Schreiben vom 02.02.1950).

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Das Archiv der Ev. Kirchengemeinde Ottweiler: Eine Fundgrube für die Kirchen- und Sozialgeschichte des Saarraumes vor der Französischen Revolution

Das Evangelische Zentralarchiv Saar (EZAS) hat die Erschließung seines historisch bedeutendsten Bestandes abgeschlossen: Das Findbuch mit einem Umfang von 141 Seiten und 541 Verzeichnungseinheiten liegt online vor und präsentiert eine kleine lutherische Landeskirche des 17.-18. Jahrhunderts in all ihren Facetten.

In Ottweiler residierten von 1640 bis zu ihrem Aussterben 1728 die Grafen von Nassau-Ottweiler in ihrem im Dreißigjährigen Krieg schwer beschädigten Renaissanceschloss aus dem 16. Jahrhundert. Dem korrespondierte kirchlicherseits, dass Ottweiler Sitz einer lutherischen Inspektion war. Diese entspricht einem heutigen Kirchenkreis.

Einblicke in das alltägliche Gemeindeleben auf dem Sprengel der gesamten Grafschaft Ottweiler ermöglichen die Visitationsberichte mitsamt ihrer umfänglichen Begleitkorrespondenz. Bauskizzen nicht mehr existierender mittelalterlicher Ortskirchen sowie Aufschriften längst zerstörter Glocken werfen Schlaglichter zurück auf das Spätmittelalter.

Abschriften der Glockeninschrift. Aus Bestand: EZAS Best. 02,49 Ottweiler I Nr. 183

Die Stuhlordnung für die Stadtkirche Ottweiler illustriert eindrücklich die subtilen sozialen Unterschiede in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Alter und Familienstatus bilden die Hauptkriterien der Platzierung, freilich werden auch Honoratioren wie der gräfliche Oberjäger mit reservierten Stühlen bedacht.

Stuhlordnung der Stadtkirche Ottweiler. Aus Bestand: EZAS Best. 02,49 Ottweiler I Nr. 184
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Findbuch der Evangelischen Kirchengemeinde Bretzenheim/Nahe

Bretzenheim und seine Filiale Winzenheim waren bis zur französischen Besetzung 1795 Teil der Herrschaft Bretzenheim. Als kurkölnisches Lehen gehörte diese von der Stauferzeit an bis 1642 zu den Besitzungen der Herren von Daun-Falkenstein. 1642 ging sie durch Verkauf in den Besitz der katholischen Grafen von Vehlen über. Nach deren Aussterben belehnte Kurköln 1734 den Grafen von Virmond mit der Herrschaft Bretzenheim, 1747 die Freiherren Roll zu Bernau. 1772 verkauften die Roll zu Bernau die Herrschaft für 300 000 Gulden an die illegitimen Kinder des pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor aus seiner Verbindung mit der Schauspielerin Josepha Seyffert, die seit 1769 den Titel einer Gräfin von Heydeck trug. 1774 wurde die Herrschaft zur Reichsgrafschaft erhoben; Karl August von Heydeck nannte sich fortan Karl August Reichsgraf von Bretzenheim und wurde 1789 zum Reichsfürsten erhoben. 1795 wurden Bretzenheim und Winzenheim französisch und kamen 1815 an Preußen.

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