Die Tagebücher der Bahnhofsmission Bonn 1946-2022, oder: Aspirin hilft immer

Es ist ein schöner Zufall, dass uns nur eine Woche nach dem Erscheinen des Blogbeitrages zur Tracht der Bahnhofsmission eine Neuerscheinung für die Archivbibliothek erreichte: „Nächste Hilfe an Gleis 1. 125 Jahre Bahnhofsmission Bonn. Ausgewählte Tagebucheinträge 1946-2022.“ In bislang nicht weniger als 77 Kladden haben die ehrenamtlichen Mitarbeitenden ihre Erlebnisse während der jeweiligen Schicht handschriftlich festgehalten. Damit spiegeln die Einträge politische und gesellschaftliche Entwicklungen wider, die sich gerade in Bahnhöfen wie in einem Brennpunkt bündeln.

Aus der Auswahl von ca. 900 Einträgen seien drei eher harmlose Begebenheiten exemplarisch herausgegriffen:

21.1.1946: 2 Soldaten zum Bahnhofsbunker verwiesen, desgl. 1 Mann. 2 amerik. Soldaten mit Wasser bewirtet. 1 Soldat, who has got a little tipsy, mit Aspirin versorgt.

12.5.1960: Junge Frau, die sich beim Einkauf verausgabt hatte, haben wir Fahrkarte nach Siegburg verweigert. Man hält sich doch wohl erst das Fahrgeld zurück und dann kaufe ich lustig ein.

21.11.1997: Total betrunkener, gut gekleideter älterer Herr vom Bahnsteigdienst aufgegriffen. Ehemaliger Oberst; immer, wenn er seine Pension kriegt, haut er auf die Pauke. Der Bahnpolizei bekannt. Altersheim Bad Breisig angerufen, holen ihn ab.

Das Buch ist beim cmz-Verlag erschienen. Es kann auch gegen eine Spende direkt bei der Bahnhofsmission erworben werden.

Predigten von Superintendenten Friedrich Horn im Dritten Reich

Der Duisburger Superintendent Friedrich Horn (1875-1957), auch Fritz Horn genannt, ist Begründer der „Rheinischen Kirchlichen Arbeitsgemeinschaft Ordnungsblock“ im Jahr 1934. Mit seinem kirchenpolitischen Engagement versuchte Horn eine Vermittlerrolle im Kirchenkampf zwischen Bekennender Kirche und Deutschen Christen einzunehmen. Nicht zuletzt wegen seiner unbedingten Loyalität zum NS-Staat führte sein Wirken aber de facto zur Stabilisierung der DC-geführten Kirchenregierung.

Horn, Fritz (Friedrich), Pfarrer
Präses der Provinzialsynode
abgedruckt in: Der Weckruf, 3. Jg. 1935, Nr. 16 vom 21.04.1935, S. 252

Horn wurde am 9. Mai 1875 als Sohn des Pädagogen Dietrich Horn in Orsoy geboren. Nach seinem Theologiestudium arbeitete er einige Jahre als Lehrer in der von seinem Vater geleiteten Präparandenanstalt. 1905 wurde er Hilfsprediger in der Gemeinde Laar im Kirchenkreis Duisburg, wo er am 24. Dezember 1905 ordiniert wurde und im folgenden Jahr die Nachfolge der Laarer Pfarrstelle von Heinrich Forsthoff übernahm, die er bis zu seiner Emeritierung 1945 innehatte.

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Eine Quelle zur Kirchengeschichte der Rheinprovinz für die Zeit von 1816 bis 1860: die Amtsblätter der Königlichen Regierungen (Regierungsbezirke)

Für die ersten fast 50 Jahre der preußischen Verwaltung in der Rheinprovinz, also für die Zeit von 1816 bis 1860, ist die Quellenlage zur Kirchengeschichte in unserem Archiv sehr dünn. Die Sachakten des Konsistoriums in Koblenz und die Personalakten der Pfarrer aus dem 19. Jahrhundert wurden beim Bombenangriff 1944 auf Bonn im Gebäude des Provinzialkirchenarchivs zerstört. Die sog. Ortsakten mit den Vorgängen zu den Kirchengemeinden beginnen überwiegend erst nach 1850; älteste Serie sind in der Regel die Pfarrstellenakten, die bei den alten Gemeinden zwischen 1846 und 1854 einsetzen. Der Bestand „Provinzialkirchenarchiv“ (1OB 020) enthält für die Zeit nach 1815 nur wenige Archivalien. Einen guten Überblick zur Überlieferung auch anderer Archive bietet das Vorwort des Findbuchs zum Bestand 1OB 002 (Konsistorium), S. 6 ff.

Das „Kirchliche Amtsblatt des Königlichen Consistoriums der Rhein-Provinz“ wurde erst mit der Nr. 1 vom 1. Juli 1860 eingeführt. Aber es existiert für die Jahrzehnte davor eine Quelle, für die man beim ersten Blick keine Erkenntnisse zur Kirchengeschichte erwarten würde:

Amtsblatt der Regierung zu Düsseldorf. Ausgabe Nr. 31 von 1816(Titelblatt). AEKR, Archivbibliothek, Sig. ZA 3

das „Amts-Blatt der Königlichen Regierung“, das in jedem der später so genannten Regierungsbezirke Aachen, Düsseldorf, Koblenz, Köln, Trier und Kleve (bis 1821) erschienen ist. Diese Amtsblätter sind in unserer Archivbibliothek überliefert, im Katalog allerdings noch nicht abschließend erfasst. Auch digital sind die Amtsblätter inzwischen überwiegend frei zugänglich. Im Folgenden möchte ich eine Übersicht über die digital im Internet vorliegenden Bestände geben (Quelle: Zeitschriftendatenbank – ZDB, und Google):

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Ein Pfarrer als Krimiautor stellt sich einen Archivar vor  

Zu den Sammelgebieten unserer Archivbibliothek gehören die Publikationen rheinischer Theologinnen und Theologen, durchaus jenseits von Homiletik oder Kirchengeschichte. So ist vereinzelt auch das Genre des Kriminalromans vertreten. Zu nennen sind hier der frühere Koblenzer Superintendent Hans Warnecke oder der Kirchberger Pfarrer Christian Hartung. Auch Dr. Rudolf Mohr (1933-2013), Pfarrer in Düsseldorf und langjähriger verdienstvoller Vorsitzender des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, steuerte zwei Beispiele bei. Im Jahr 2000 erschien „Dein getreues Opfer von heute“ mit dem Untertitel „Ein historischer Kriminalroman aus dem Jahr 1978“. Der Nachfolgeband „Zu spät“ mit gleichem Untertitel erschien 2003.

Kriminalromane von Rudolf Mohr

Im ersten Roman stößt der Düsseldorfer Hauptkommissar Oskar Fischer in seinem aktuellen Mordfall auf einen Zettel mit unerklärlichen Zitatfragmenten. In jener fernen Epoche vor Webrecherchen verabredet er sich folglich in einem Restaurant mit einem ihm bekannten Experten:

Mit einem im Beobachten und Wahrnehmen geschulten Blick hatte Fischer schnell den Mann entdeckt, den er suchte, mittelgroß, tadelloser dunkelgrauer Anzug mit gemusterter farbenfroher Krawatte, randloser Brille, gemessenen Bewegungen, distinguiert, gebildet; einer von der Sorte, bei denen man sich verpflichtet fühlt, sich aller Anstandsregeln, die man einmal in der Tanzstunde zu hören bekommen hat, schnellstens wieder zu entsinnen; und einer von jenen Leuten, die einem wegen ihres Wissens und ihrer geistigen Kapazität ein schlechtes Gewissen erzeugen für jede geschwänzte Schulstunde und überhaupt wegen allem, was man zu lernen versäumte.

Der Herr, der eine solche Wirkung auf Fischer auszuüben vermochte, dessen Schülertage lange zurücklagen und der ein Leben lang nicht mehr dazu gekommen war, geistige Interessen zu pflegen, wie er es eigentlich gern getan hätte, war wohlbestallter, sich seiner Würde bewusster Archivdirektor ­– Die kleine Elite der Archivare wird aus denen ausgewählt, die ihre Examina mit Eins gemacht haben, hatte er einmal beiläufig verlauten lassen – und zudem in der glücklichen Lage, für seinen Lebensunterhalt nicht auf sein Gehalt angewiesen zu sein. (S. 24f.)

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Weihnachten 1923: erste Aufführung eines Krippenspiels in der Johanneskirche in Düsseldorf

Düsseldorfer Sonntagsblatt, Nr. 52, 23.12.1923, S. [4-5]; AEKR, Archivbibliothek, Sign. ZK 65

„Zum ersten Mal wird in diesem Jahr, sowohl in der Kindergottesdienstfeier am 4. Advent, nachmittags 5 Uhr, wie in der Christmette um 1/2 7 Uhr, eine Krippenfeier, wie sie in vielen Gemeinden Deutschlands zur Darstellung gelangte, vom Kirchenchor und Mitgliedern des Lydiavereins geboten werden.“

Der oben zitierte erste Absatz des Beitrags endet mit der Zeile: „Zur Einführung der Besucher sei das Nachfolgende gesagt.“ Es folgt eine inhaltliche Beschreibung des Ablaufs der Feier, dazu ein Verhaltenshinweis, wie er auch heute in den Familiengottesdienstes zu Heiligabend gegeben wird: „Unter den Worten des Liedes schreitet ein langer Zug von Jungfrauen durch den Mittelgang der Kirche, der auf jeden Fall frei bleiben muß.“

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Pfarrer Harney und die Inflation

Kommentar zur Entwicklung der Inflation der letzten Monate im Dezember 1923. Quelle: Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, ZK 065, Düsseldorfer Sonntagsblatt. Kirchlicher Anzeiger der evangelischen Gemeinden zu Düsseldorf, Ausgabe 51/1923 vom 16. Dezember, S. 4

Heute vor 100 Jahren sinniert Pfarrer Rudolf Harney (1880-1965) in der „Zeitschau“ des von ihm redigierten Düsseldorfer Sonntagsblattes über ganz profane Alltagserfahrungen nach. Er hat erlebt, wie nach dem harten Währungsschnitt vom 15. November 1923 wieder Lebensmittel und Waren in die Auslagen zurückkehren. Harney kann es nicht wissen, aber er wird in seinem Leben diese Erfahrung wiederholen: Ein Vierteljahrhundert später ist die deutsche Reichsmark wiederum wertlos geworden und mit der Währungsreform vom 20. Juni 1948 kehren quasi über Nacht lange nur im Schwarzhandel erhältliche Waren in die Geschäfte zurück.

Harney, Rudolf; Pfarrer, Superintendent Kirchenkreis Düsseldorf, Mitglied der Leitung der Ev. Kirche der Rheinprovinz 1945-1948; Archiv der Ev. Johannes-Kirchengemeinde Düsseldorf; AV 29

Das ökonomische Verständnis gerade des von der Hyperinflation fast enteigneten deutschen Mittelstandes darf nicht überschätzt werden und Pfarrer Harney ist hier ein zeittypisches Beispiel. Dunkel raunt er von „spekulativen Börsenmanövern“, die die Reichsmark zusätzlich entwertet hätten. Die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge, vorrangig die bis 1918 über Anleihen finanzierten immensen Kriegskosten sowie der letztlich über die Druckerpresse finanzierte sogenannte Ruhrkampf 1923, blendet Harney bewusst oder unbewusst aus:

Zeitschau.

Wir leben in der Zeit der Überraschungen. Vor wenigen Tagen,
wenigen Wochen war in Düsseldorf kein Fetzchen Margarine zu fin-
den. Stundenlang jagten die Hausfrauen umher, um schließlich ent-
mutigt und dem Weinen nah, mit leeren Händen heimzukehren. In
der Tasche hatten sie Papiergeld, das von Stunde zu Stunde an Wert
verlor. Es war nicht zu ändern. Erwerbslose, aufgepeitscht von
dunklen Ehrenmännern, rotteten sich zusammen, schlugen Fenster ein,
raubten Lebensmittellager aus und trugen den Schrecken in die Bür-
gerschaft. Da rief es von allen Seiten: Düsseldorf steht vor der
Hungersnot. Und der Dollar kletterte immer höher, als wollte er
den Mount Everest besteigen, und die Papiermark lag im Sterben.
Da – plötzlich, ein Wunder geschah. Der Dollar, dieser kleine Schä-
ker, machte plötzlich kehrt und ging zu Tal. Die Papiermark erholte
sich, weil man ihr -es ist nicht zu fassen- in Berlin mit dem
Stilllegen der Notenpresse den Lebensfaden abschnitt. Die Gehalts-
zahlungen kamen ins Stocken, das Geld wurde rarer. Siehe, da
sanken die Preise, und auf dem Markt und in den Geschäften häuften
sich die Lebensmittel. Was habe ich heute für Berge von Butter,
Speck, Fett und Schinken gesehen! Woher nun plötzlich dieser Reich-
tum? Wie kommt es, dass auf dem Markt das längst verstummte süße
Locken wieder ertönt: Ach, nehmen Sie doch diese Büchse Corned-Beef
noch mit!? Wie kommt es, dass in Berlin ein Warenhaus 20 Prozent

Rabatt gibt, wenn in Papiergeld gezahlt wird? Wo war denn alle
die Ware, als wir vor Wochen Papiergeld genug in der Hand hatten,
um kaufen zu können? Haben die Heinzelmännchen das alles in
einer Nacht zu uns gebracht, um uns zu zeigen, wie schön es wäre,
wenn wir noch das Geld des vorigen Monats in Händen hätten, denn
dann könnten wir kaufen! Neulich konnten wir für 4 Billionen nicht
bekommen, was jetzt für 2 und weniger im Überfluss vorhanden zu
sein scheint. Wer erklärt uns dieses Naturwunder? Ich wäre für
Aufklärung sehr dankbar; denn wir denken nicht gern etwas Böses
von unseren lieben Nächsten. Gewiss haben die Heinzelmännchen oder
der Nikolaus das geschafft.

Ob dieser Zustand anhalten wird? Ich fürchte nein; denn in un-
serer Lage hat sich nichts geändert. Wenn nur der Dollar nicht wieder
das Klettern anfängt und alle Lebensmittel als Proviant auf die
Hochgebirgstour mitnimmt. Ich traue dem Racker solche kleine Bos-
heiten zu. Das Unternehmen, die Mark zu festigen, hat einen hero-
ischen Zug, aber kann es gelingen? Wir haben noch keine internationale
Anleihe, und auch sonst ist der auf uns lastende Druck nicht vermindert,
aber freilich, eines entzieht sich unserer Kenntnis, das ist die Be-
urteilung, wie weit die Mark tatsächlich innerlich entwertet ist und
wie weit sie nur durch spekulative Börsenmanöver gedrückt worden
ist. Dass letzteres auch mitspielt, unterliegt keinem Zweifel.

Gutschein der Stadt Barmen über 500 Milliarden Mark; Datum: 30. Oktober 1923; Aus Bestand: AEKR, Notgeldsammlung

Segenswünsche der Evangelischen Kirche im Rheinland aus Anlass von Ehejubiläen

Im Bestand unserer Archivbibliothek befindet sich ein Heft „Das Vaterunser“ mit der Gestaltung des Textes und Originalscherenschnitten von Elisabeth Weigle aus dem Verlag Franz Boccarius in Göppingen und Stuttgart, ohne Jahr [1947]. Interessant wird das Heft durch die auf das Vorsatzblatt hanschriftlich geschriebene Widmung:

„Die Evangelische Kirche im Rheinland grüßt das Ehepaar August Götzinger und Emma geb. Kramm zum Tage der diamantenen Hochzeit 30. September 1950 mit herzlichen Segenswünschen.“

Es folgen die Verse 14 -15 aus Psalm 92 und die Unterschrift von Oberkirchenrat Johannes Schlingensiepen.

Das Vaterunser; Text und Originalscherenschnitte von Elisabeth Weigle

Ein glücklicher Zufall hat dafür gesorgt, dass dieses den Eheleuten Götzinger gewidmete Heft irgendwann in die frühere Landeskirchliche Bibliothek und bei deren Auflösung in den Bestand unseres Archivs gelangt ist. Aber es stellt sich die Frage, wie kam die Landeskirche an die Daten von Ehejubilaren und -jubilarinnen? Erfreulicherweise findet sich im Bestand der Sachakten des Landeskirchenamtes (Bestand 1OB 017 Teil I) ein Archivale Nr. 3849 „Gedenkblätter für diamantene Hochezeiten“ (1951-1969). Bei den Archivalien zu den Gedenkblättern zu Goldenden Hochzeiten (Nr. 3848) und Eisernen Hochzeiten (Nr. 3846 und 3847) heißt der Aktentitel „Kirchliche Ehrungen …“. Das scheint bei den Diamantenen Hochzeiten beim archivischen Umbetten der Akte in einen neuen Hefter „eingespart“ worden zu sein.

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