In einer Mappe unseres Konsistoriumsbestandes befinden sich statistische Übersichten aus der unmittelbaren Nachkriegszeit 1945/46. In einer kleinen Serie von Beiträgen sollen hier im Blog einige der damaligen Themen vorgestellt werden. Den Start markieren drei zeichnerische Kompositionen zu den Folgen des Zweiten Weltkrieges für die damalige rheinische Provinzialkirche.
Bei dieser Übersicht wird der hohe Mobilisierungsgrad deutlich, dem vor allem die jüngeren evangelischen Theologen unterworfen waren. Nahezu alle ordinierten Hilfsprediger und noch nicht ordinierte Vikare wurden einberufen. Von diesen beiden Gruppen, die entweder an vorderster Front oder im frontnahen Sanitätsbereich eingesetzt wurden, ist jeder Vierte gefallen (79 von 327). Von den aktiven Gemeindepfarrern, die altersbedingt „nur“ zu 45 % mobilisiert wurden, sind weitere 37 Männer dem Krieg zum Opfer gefallen, teilweise durch Luftangriffe auf ihre Kirchengemeinden.
Ein weiteres Blatt widmet sich den daraus resultierenden Schäden an Gebäuden der Inneren Mission in der Nordrheinprovinz. Unter dieser ist der Landesteil Rheinland des heutigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen zu verstehen. Von den 190 Heimen und Einrichtungen wurden demnach fast zwei Drittel zerstört oder schwer beschädigt. Zeichnungen veranschaulichen dabei den unterschiedlichen Zerstörungsgrad.
Heute vor 100 Jahren sinniert Pfarrer Rudolf Harney (1880-1965) in der „Zeitschau“ des von ihm redigierten Düsseldorfer Sonntagsblattes über ganz profane Alltagserfahrungen nach. Er hat erlebt, wie nach dem harten Währungsschnitt vom 15. November 1923 wieder Lebensmittel und Waren in die Auslagen zurückkehren. Harney kann es nicht wissen, aber er wird in seinem Leben diese Erfahrung wiederholen: Ein Vierteljahrhundert später ist die deutsche Reichsmark wiederum wertlos geworden und mit der Währungsreform vom 20. Juni 1948 kehren quasi über Nacht lange nur im Schwarzhandel erhältliche Waren in die Geschäfte zurück.
Das ökonomische Verständnis gerade des von der Hyperinflation fast enteigneten deutschen Mittelstandes darf nicht überschätzt werden und Pfarrer Harney ist hier ein zeittypisches Beispiel. Dunkel raunt er von „spekulativen Börsenmanövern“, die die Reichsmark zusätzlich entwertet hätten. Die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge, vorrangig die bis 1918 über Anleihen finanzierten immensen Kriegskosten sowie der letztlich über die Druckerpresse finanzierte sogenannte Ruhrkampf 1923, blendet Harney bewusst oder unbewusst aus:
Zeitschau.
Wir leben in der Zeit der Überraschungen. Vor wenigen Tagen, wenigen Wochen war in Düsseldorf kein Fetzchen Margarine zu fin- den. Stundenlang jagten die Hausfrauen umher, um schließlich ent- mutigt und dem Weinen nah, mit leeren Händen heimzukehren. In der Tasche hatten sie Papiergeld, das von Stunde zu Stunde an Wert verlor. Es war nicht zu ändern. Erwerbslose, aufgepeitscht von dunklen Ehrenmännern, rotteten sich zusammen, schlugen Fenster ein, raubten Lebensmittellager aus und trugen den Schrecken in die Bür- gerschaft. Da rief es von allen Seiten: Düsseldorf steht vor der Hungersnot. Und der Dollar kletterte immer höher, als wollte er den Mount Everest besteigen, und die Papiermark lag im Sterben. Da – plötzlich, ein Wunder geschah. Der Dollar, dieser kleine Schä- ker, machte plötzlich kehrt und ging zu Tal. Die Papiermark erholte sich, weil man ihr -es ist nicht zu fassen- in Berlin mit dem Stilllegen der Notenpresse den Lebensfaden abschnitt. Die Gehalts- zahlungen kamen ins Stocken, das Geld wurde rarer. Siehe, da sanken die Preise, und auf dem Markt und in den Geschäften häuften sich die Lebensmittel. Was habe ich heute für Berge von Butter, Speck, Fett und Schinken gesehen! Woher nun plötzlich dieser Reich- tum? Wie kommt es, dass auf dem Markt das längst verstummte süße Locken wieder ertönt: Ach, nehmen Sie doch diese Büchse Corned-Beef noch mit!? Wie kommt es, dass in Berlin ein Warenhaus 20 Prozent Rabatt gibt, wenn in Papiergeld gezahlt wird? Wo war denn alle die Ware, als wir vor Wochen Papiergeld genug in der Hand hatten, um kaufen zu können? Haben die Heinzelmännchen das alles in einer Nacht zu uns gebracht, um uns zu zeigen, wie schön es wäre, wenn wir noch das Geld des vorigen Monats in Händen hätten, denn dann könnten wir kaufen! Neulich konnten wir für 4 Billionen nicht bekommen, was jetzt für 2 und weniger im Überfluss vorhanden zu sein scheint. Wer erklärt uns dieses Naturwunder? Ich wäre für Aufklärung sehr dankbar; denn wir denken nicht gern etwas Böses von unseren lieben Nächsten. Gewiss haben die Heinzelmännchen oder der Nikolaus das geschafft.
Ob dieser Zustand anhalten wird? Ich fürchte nein; denn in un- serer Lage hat sich nichts geändert. Wenn nur der Dollar nicht wieder das Klettern anfängt und alle Lebensmittel als Proviant auf die Hochgebirgstour mitnimmt. Ich traue dem Racker solche kleine Bos- heiten zu. Das Unternehmen, die Mark zu festigen, hat einen hero- ischen Zug, aber kann es gelingen? Wir haben noch keine internationale Anleihe, und auch sonst ist der auf uns lastende Druck nicht vermindert, aber freilich, eines entzieht sich unserer Kenntnis, das ist die Be- urteilung, wie weit die Mark tatsächlich innerlich entwertet ist und wie weit sie nur durch spekulative Börsenmanöver gedrückt worden ist. Dass letzteres auch mitspielt, unterliegt keinem Zweifel.
Folgende Anzeige veröffentlichte die evangelische Kirchengemeinde Düsseldorf am 13. Mai 1923 in ihrem „Düsseldorfer Sonntagsblatt“:
Da die Registratur der Kirchengemeinde 1943 bei Luftangriffen zerstört wurde, wissen wir nichts über die Resonanz auf diesen Aufruf. Gesetzt den Fall, dass sich einige treue Gemeindeglieder zur Zeichnung motivieren ließen: Wie erging es ihnen bzw. ihrem Kapitaleinsatz?
„Von Sonntag, den 4. Februar des Jahres ab werden die Kirchen nicht mehr geheizt. Die anhaltende Steigerung der Kokspreise und die fortschreitende Teuerung zwingen dazu. Die Gottesdienste sollen entsprechend gekürzt werden. Bei der ausnahmsweise milden Witterung und mit Rücksicht auf die Zeitlage werden die Gemeindeglieder diese Sparmaßnahme gewiss billigen.“
Nur an dem obsoleten Heizmittel merkt man, dass diese Ankündigung nicht aus der Gegenwart stammt. Sie ist vielmehr dem Düsseldorfer Sonntagsblatt Nr. 7/1923 entnommen, dem „Kirchlichen Anzeiger der evangelischen Gemeinden in Düsseldorf“..
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