In der ihm eigenen Art mahnte Karl Immer, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, zu Beginn des Jugendkongresses „Christival ’76“ die Veranstalter, „dass jeder, der die Jugend für sich einzunehmen versuche, in der Gefahr stehe, sie auch auf Irrwege zu führen.“ Er verwies in diesem Zusammenhang auf Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, Mitglieder der terroristischen Vereinigung RAF, die aus der evangelischen Jugendarbeit gekommen seien. „Die Leitung der rheinischen Kirche sehe deshalb auch mit einer gewissen Sorge auf das, was sich in den nächsten Tagen beim „Christival“ abspielen wird.“
Die Skepsis von Präses Immer erwies sich als unberechtigt. Es sollte weder ein Kirchentag noch eine Bekenntniskundgebung werden, sondern ein Kongress für Mitarbeiter in der „missionarischen Jugendarbeit“. Jugendevangelisation und soziale Verantwortung erfordern ein klares biblisches Profil, so die Träger des eigens gegründeten Vereins für das Christival, das in einem Grundkurs sowie in den zahlreichen Seminaren des Kongresses herausgearbeitet und geschärft werden sollte und das die Teilnehmer anschließend in die permanente Arbeit vor Ort und darüber hinaus auch in Konzerten, Jugendwochen und Offenen Abenden einbringen sollten.
Der Trägerverein „Jugendkongress Pfingsten 1976 e.V.“ gab dem Christival eine breite Basis. Ihm gehörten evangelische Landeskirchen, Freikirchen, Jugend- und Missionswerke und freie Gemeinschaften an. Der Essener Jugendpfarrer Ulrich Parzany war nicht nur der Vorsitzende des Vereins, sondern zugleich Evangelist. Der Kongress fand über Pfingsten, vom 5. bis 11. Juni 1976, in der Essener Gruga-Halle statt. Kern war der „Missionarische Grundkurs“, der an drei Vormittagen – trotz der großen Teilnehmerzahl von 12.000 Jugendlichen – in kleinen Gruppen von etwa zehn Teilnehmern durchgearbeitet
wurde. Das Programm hält als sein Ziel fest: „Junge Menschen sollen durch diesen Kursus befähigt werden, ihren Glauben vor Nichtchristen im Zeugnis und Gespräch auszudrücken und junge Menschen zu einem bewussten Leben in der Nachfolge Jesu anzuleiten.“ Die drei inhaltlichen Schwerpunkte bildeten „Der Zeuge“, „Das Evangelium“ und „Der Adressat“. Es waren über tausend Gesprächsgruppen. Daneben wurden 54 Seminare angeboten. Die Spannbreite erstreckte sich von „Audio-visuellen Medien in der Verkündigung“ bis zur „Radiomission“. Die Jugendlichen trafen sich in den Messehallen und im Gruga-Park und diskutierten. Ein Teilnehmer urteilte: „Der beste Stress, den ich kenne“. Nicht alle Seminare eigneten sich allerdings für eine intensive Gruppenarbeit. Das begehrteste Seminar „Seelsorge – kann man das lernen?“ fand über 700 Teilnehmer.
Die Teilnehmer waren keineswegs immer unter sich. Andere einzuladen gehörte ebenfalls dazu. Den Höhepunkt des Christivals bildete der zentrale Gottesdienst mit dem amerikanischen Baptistenpastor und Erweckungsprediger Billy Graham am Pfingstsonntag, 6. Juni 1976. Dessen Predigt über das Wort in Johannes 14,26: „Aber der Tröster, der Heilige Geist, dem mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ wurde synchron übersetzt. Großen Zuspruch erhielten auch die Festival-Abende mit der Sängerin Inge Brück, dem Liedermacher Manfred Siebald und den Bands „The Lighters“ und „Liberation Suite“. Aufgrund des großen Zustroms mit 40.000 Besuchern wurde das Gruga-Stadion und auch die Gruga-Halle für Tagesteilnehmer geöffnet.
Ein Abendmahlsgottesdienst mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Helmut Claß, in der Gruga-Halle am Pfingstmontag beendete das Christival ’76. Eine Neuauflage war zunächst nicht geplante. Zwölf Jahre später, 1988, fand dann allerdings das nächste in Nürnberg statt, weitere in Dresden (1996), Kassel (2002), Bremen (2008) und zuletzt in Karlsruhe (2016).