Am 24. Januar besuchte das kirchengeschichtliche Forschungskolloquium der Evangelisch-Theologischen Fakultät Bonn unter Leitung der Professoren Martin Keßler und Wolfram Kinzig das Archiv der EKiR. Ein anschaulicher Bericht zur Exkursion ist nun im Blog der ETF Bonn abrufbar.
Archiv des Autors: Dr. Stefan Flesch
Die Tagebücher der Bahnhofsmission Bonn 1946-2022, oder: Aspirin hilft immer
Es ist ein schöner Zufall, dass uns nur eine Woche nach dem Erscheinen des Blogbeitrages zur Tracht der Bahnhofsmission eine Neuerscheinung für die Archivbibliothek erreichte: „Nächste Hilfe an Gleis 1. 125 Jahre Bahnhofsmission Bonn. Ausgewählte Tagebucheinträge 1946-2022.“ In bislang nicht weniger als 77 Kladden haben die ehrenamtlichen Mitarbeitenden ihre Erlebnisse während der jeweiligen Schicht handschriftlich festgehalten. Damit spiegeln die Einträge politische und gesellschaftliche Entwicklungen wider, die sich gerade in Bahnhöfen wie in einem Brennpunkt bündeln.
Aus der Auswahl von ca. 900 Einträgen seien drei eher harmlose Begebenheiten exemplarisch herausgegriffen:
21.1.1946: 2 Soldaten zum Bahnhofsbunker verwiesen, desgl. 1 Mann. 2 amerik. Soldaten mit Wasser bewirtet. 1 Soldat, who has got a little tipsy, mit Aspirin versorgt.
12.5.1960: Junge Frau, die sich beim Einkauf verausgabt hatte, haben wir Fahrkarte nach Siegburg verweigert. Man hält sich doch wohl erst das Fahrgeld zurück und dann kaufe ich lustig ein.
21.11.1997: Total betrunkener, gut gekleideter älterer Herr vom Bahnsteigdienst aufgegriffen. Ehemaliger Oberst; immer, wenn er seine Pension kriegt, haut er auf die Pauke. Der Bahnpolizei bekannt. Altersheim Bad Breisig angerufen, holen ihn ab.
Das Buch ist beim cmz-Verlag erschienen. Es kann auch gegen eine Spende direkt bei der Bahnhofsmission erworben werden.
Von Lodenmänteln und Baskenmützen: Der Versuch einer Trachtordnung für die Evangelische Bahnhofsmission 1948
Über die verdienstvolle Arbeit der Bahnhofsmission am Beispiel des Hbf Düsseldorf ist bereits vor einiger Zeit im Blog berichtet worden.

In der Nachkriegszeit kümmerte sich die energische Hauptgeschäftsführerin der Evangelischen Bahnhofsmission Armgard von Alvensleben auch um ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild der Mitarbeiterinnen. Großzügige Stofflieferungen des Hilfswerks der EKD aus Auslandsspenden boten ihr hier die materielle Grundlage.
Das typisch deutsche Vehikel zur praktischen Umsetzung sollte dabei die 1948 erlassene Trachtordnung bilden.

Demnach waren folgende Bestandteile der Tracht vorgesehen:
1. Lodenmantel, der außer im Winter auch im Sommer im Reisedienst oder bei schlechtem Wetter übergezogen wird.
2. Wollkleid: Es wird im Allgemeinen mit aufgenähtem weißem Kragen getragen, und zwar insbesondere bei Rüsttagen, Arbeitsbesprechungen, Behördengängen, gemeinsamem Kirchgang u. ä. Das dauernde Tragen im täglichen Dienst wird nicht erwartet, da sich das Kleid dann sehr schnell abnutzen würde.
3. Kittel. Er ist der eigentliche Arbeitsanzug für den Innen- und Außendienst am Bahnhof und in der Heimarbeit. Es ist möglich, ihn mit langen oder kurzen Ärmeln und ohne untergezogenes Kleid zu tragen.
4. Baskenmütze. Sie wird etwas schräg aufgesetzt und soll die Haarfrisur weitgehend bedecken.
5. Armbinde. Sie ist das Dienstzeichen der Bahnhofsmission und darf nur im Dienst mit auf Befragen vorzuzeigendem Ausweis getragen werden. Sie wird am linken Oberarm so hoch angebracht, dass sie nicht im Ellbogengelenk Falten schlägt. Notfalls muss sie etwas schmäler getragen werden. Beim Ausscheiden einer Trägerin aus dem Dienst ist sie abzugeben. Ehrenamtliche Helferinnen erhalten sie nur stundenweise am Bahnhof ausgeliehen.
6. Brosche. Die Brosche wird links in Höhe über der Brusttasche des Kittels getragen.
7. Schuhe
8. Strümpfe
Selbstverständlich folgte noch ein knappes Dutzend weiterer Detailvorschriften. Eine kleine Auswahl davon sei zitiert:
Weiterlesen10 Jahre Archivblog
Aus der Perspektive eines Archivs, das nunmehr seit 171 Jahren besteht, mögen zehn Jahre eher wenig anmuten. Mit Blick auf die Kurzlebigkeit vieler Webangebote ist man hingegen schon beinahe ein Langläufer. Am 28.11.2014 ging jedenfalls das Blog des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland online. Seither sind hier 850 Artikel erschienen, die von 22 Autorinnen und Autoren stammen.
Die Bandbreite der Artikel reicht von Hinweisen auf aktuelle Fortbildungsveranstaltungen oder Publikationen hin zu längeren Miszellen über ausgewählte historische Themen. Praktikanten berichten über ihre Eindrücke und Erfahrungen im Archiv, die sie entweder in Düsseldorf oder in Boppard erlebt haben.
Regelmäßiges Feature sind auch die Informationen über „frische“ benutzungsrelevante Online-Findmittel sowie digitalisierte Quellenbestände. Letztere sind über unsere 2023 vollständig überarbeitete Homepage bequem abrufbar.
Auch weiterhin werden wir gemeinsam versuchen, für eine bunte Vielfalt an interessanten Archivthemen zu stehen.
Ein Pfarrer als Krimiautor stellt sich einen Archivar vor
Zu den Sammelgebieten unserer Archivbibliothek gehören die Publikationen rheinischer Theologinnen und Theologen, durchaus jenseits von Homiletik oder Kirchengeschichte. So ist vereinzelt auch das Genre des Kriminalromans vertreten. Zu nennen sind hier der frühere Koblenzer Superintendent Hans Warnecke oder der Kirchberger Pfarrer Christian Hartung. Auch Dr. Rudolf Mohr (1933-2013), Pfarrer in Düsseldorf und langjähriger verdienstvoller Vorsitzender des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, steuerte zwei Beispiele bei. Im Jahr 2000 erschien „Dein getreues Opfer von heute“ mit dem Untertitel „Ein historischer Kriminalroman aus dem Jahr 1978“. Der Nachfolgeband „Zu spät“ mit gleichem Untertitel erschien 2003.

Im ersten Roman stößt der Düsseldorfer Hauptkommissar Oskar Fischer in seinem aktuellen Mordfall auf einen Zettel mit unerklärlichen Zitatfragmenten. In jener fernen Epoche vor Webrecherchen verabredet er sich folglich in einem Restaurant mit einem ihm bekannten Experten:
Mit einem im Beobachten und Wahrnehmen geschulten Blick hatte Fischer schnell den Mann entdeckt, den er suchte, mittelgroß, tadelloser dunkelgrauer Anzug mit gemusterter farbenfroher Krawatte, randloser Brille, gemessenen Bewegungen, distinguiert, gebildet; einer von der Sorte, bei denen man sich verpflichtet fühlt, sich aller Anstandsregeln, die man einmal in der Tanzstunde zu hören bekommen hat, schnellstens wieder zu entsinnen; und einer von jenen Leuten, die einem wegen ihres Wissens und ihrer geistigen Kapazität ein schlechtes Gewissen erzeugen für jede geschwänzte Schulstunde und überhaupt wegen allem, was man zu lernen versäumte.
Der Herr, der eine solche Wirkung auf Fischer auszuüben vermochte, dessen Schülertage lange zurücklagen und der ein Leben lang nicht mehr dazu gekommen war, geistige Interessen zu pflegen, wie er es eigentlich gern getan hätte, war wohlbestallter, sich seiner Würde bewusster Archivdirektor – Die kleine Elite der Archivare wird aus denen ausgewählt, die ihre Examina mit Eins gemacht haben, hatte er einmal beiläufig verlauten lassen – und zudem in der glücklichen Lage, für seinen Lebensunterhalt nicht auf sein Gehalt angewiesen zu sein. (S. 24f.)
WeiterlesenHeute vor 60 Jahren: Einweihung der Johanneskirche in Moers-Meerbeck
Über unser 2017 bezogenes Außenmagazin in der ehemaligen Johanneskirche in Moers-Meerbeck haben wir im Blog bereits mehrfach aus archivfachlicher Sicht berichtet. Heute vor 60 Jahren, am Erntedankfest 1964, wurde diese Kirche feierlich eingeweiht. Ihre Planungsgeschichte illustriert exemplarisch die Expansionsphase der beiden westdeutschen Volkskirchen in den 1950er und 1960er Jahren, die vor allem demografisch bedingt war und sich nicht zuletzt im Bau zahlreicher neuer Kirchen und Gemeindehäuser widerspiegelte. Im 21. Jahrhundert bescheren deren erforderlicher Rückbau, Aufgabe, Verkauf oder auch Transformation den kirchlichen Leitungsgremien aller Ebenen dicht gedrängte Tagesordnungen.

„Fast alle sind sehr helle Köpfe“ – Der Büchereilehrgang für evangelische Arbeitersekretäre in Düsseldorf 1928
Die Schulung von Multiplikatoren in der ehrenamtlichen Büchereiarbeit hat in beiden Konfessionen ebenso wie in der Arbeiterbewegung lange Tradition. Im Jahr 1928 einigten sich der Gesamtverband der evangelischen Arbeitervereine e.V. und der Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften e.V. auf die Durchführung einer gemeinsamen Fortbildungstagung. Beide Vereine waren in Berlin beheimatet, doch sollte (nicht zuletzt als politisches Statement) die Tagung im Rheinland stattfinden, das damals noch von den Alliierten besetzt war.
In der Voranfrage an den Düsseldorfer Bibliotheksdirektor Dr. Wilhelm Winker wurde die Zielsetzung des Lehrgangs so beschrieben:
„Die Kursusteilnehmer sind 25- bis 35-jährige Arbeitersekretäre, die fast ausnahmslos aus dem Handwerkerstand hervorgegangen sind. Sie haben also nur Volksschulbildung, sind dann aber weiter vorgebildet worden, natürlich mehr auf sozialem Gebiete. Fast alle sind sehr helle Köpfe. Die evangelischen Arbeitervereine haben in den letzten Jahren angefangen, für ihre Mitglieder besondere kleine Büchereien innerhalb der evangelischen Arbeitervereine einzurichten. Es handelt sich also vor allem darum, den Teilnehmern zu einem näheren Verhältnis zum Buch als solchem zu verhelfen und ihnen eine Einführung in die Aufgaben des Leiters einer kleinen Bücherei mit praktischen Anleitungen zu geben.“
Angemeldet hatten sich schließlich 32 Teilnehmer aus dem gesamten Reichsgebiet. Zu ihnen zählte der damals 26-jährige Arbeitersekretär Arnold Poepke in Kassel, später in der Bundesrepublik Geschäftsführer der Evangelischen Arbeiterbewegung. Das dicht gedrängte Programm für die drei Kurstage konnte sich sehen lassen.
