Über Dr. Stefan Flesch

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„Fast alle sind sehr helle Köpfe“ – Der Büchereilehrgang für evangelische Arbeitersekretäre in Düsseldorf 1928

Die Schulung von Multiplikatoren in der ehrenamtlichen Büchereiarbeit hat in beiden Konfessionen ebenso wie in der Arbeiterbewegung lange Tradition. Im Jahr 1928 einigten sich der Gesamtverband der evangelischen Arbeitervereine e.V. und der Verein zur Verbreitung guter volkstümlicher Schriften e.V. auf die Durchführung einer gemeinsamen Fortbildungstagung. Beide Vereine waren in Berlin beheimatet, doch sollte (nicht zuletzt als politisches Statement) die Tagung im Rheinland stattfinden, das damals noch von den Alliierten besetzt war.

In der Voranfrage an den Düsseldorfer Bibliotheksdirektor Dr. Wilhelm Winker wurde die Zielsetzung des Lehrgangs so beschrieben:

„Die Kursusteilnehmer sind 25- bis 35-jährige Arbeitersekretäre, die fast ausnahmslos aus dem Handwerkerstand hervorgegangen sind. Sie haben also nur Volksschulbildung, sind dann aber weiter vorgebildet worden, natürlich mehr auf sozialem Gebiete. Fast alle sind sehr helle Köpfe. Die evangelischen Arbeitervereine haben in den letzten Jahren angefangen, für ihre Mitglieder besondere kleine Büchereien innerhalb der evangelischen Arbeitervereine einzurichten. Es handelt sich also vor allem darum, den Teilnehmern zu einem näheren Verhältnis zum Buch als solchem zu verhelfen und ihnen eine Einführung in die Aufgaben des Leiters einer kleinen Bücherei mit praktischen Anleitungen zu geben.“

Angemeldet hatten sich schließlich 32 Teilnehmer aus dem gesamten Reichsgebiet. Zu ihnen zählte der damals 26-jährige Arbeitersekretär Arnold Poepke in Kassel, später in der Bundesrepublik Geschäftsführer der Evangelischen Arbeiterbewegung. Das dicht gedrängte Programm für die drei Kurstage konnte sich sehen lassen.

Programm zum Büchereilehrgang für Arbeitersekretäre der evangelischen Arbeitervereine vom 12.04. – 15.04.1928 in Düsseldorf. Aus Bestand: AEKR 5WV 051(Bestand Otto Ohl), Nr. 1427, 4
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Die zeitlose Kreativität der Versicherungsbranche – Ein Beispiel aus dem Jahr 1921

Otto Ohl (1886-1973) amtierte über ein halbes Jahrhundert als Vereinsgeistlicher beim Rheinischen Provinzialausschuss der Inneren Mission in Langenberg. Wir würden heute eher von einem Geschäftsführenden Direktor sprechen. Ohl verkörperte früh den Typus des Multifunktionärs, der in unzähligen Gremien sitzt und den überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit auf Dienstreisen verbringt.

Dr. Otto Ohl, Geschäftsführender Direktor des Rheinischen Provinzialausschusses für Innere Mission, 1957, Fotograf: Hans Lachmann, aus Bestand: AEKR 8SL 046 (Bildarchiv), 011_0084

In seiner Funktion hatte er sich auch mit zahlreiche Versicherungsangeboten für die Einrichtungen der Inneren Mission und deren Mitarbeitende zu beschäftigen. Neben den Standardprodukten der Branche begegnet hier auch die „Begräbnisgeld-Versicherungsanstalt für den deutschen Beamtenstand“. Eher makaber mutet eine im August 1914 angebotene „Kriegsversicherung für Kriegsteilnehmer“ an, deren Auszahlungsquote an die (vergleichsweise geringe) Gefallenenrate des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 indexiert war.

Für sich selbst schloss Ohl 1921 bei der Kölnischen Unfallversicherung eine „Lebenslängliche Eisenbahn- und Dampfschiff-Unglücksversicherung“ ab.

Anrtragsformular der Kölnische Unfall – Versicherungs AG auf eine lebenslängliche Eisenbahn-, Dampfschiff- Unglücks-Versicherung. Aus Bestand: AEKR 5WV 051, Nr. 997

Die Police beschreibt detailliert die versicherten Verkehrsmittel. Hierzu zählten alle nur denkbaren Bahnsysteme weltweit, was für Ohl Priorität hatte. Personenschäden im Schiffsverkehr waren hingegen en detail bis hin zur Angabe von Breitengraden geografisch eingegrenzt. Explizit mitversichert waren die bereits damals beliebten Seereisen nach den Kanarischen Inseln, Azoren und Madeira.

Anrtragsformular der Kölnische Unfall – Versicherungs AG auf eine lebenslängliche Eisenbahn-, Dampfschiff- Unglücks-Versicherung. Aus Bestand: AEKR 5WV 051, Nr. 997

Ein stiller Held des Kirchenkampfes: Der Kraftfahrer Ernst Schrick

1953 erhielt Ernst Schrick, der Fahrer von Präses Heinrich Held, die Mercedes-Benz-Ehrennadel für 100.000 km, die er mit seinem Dienstwagen absolviert hatte. Das blieb die einzige „Auszeichnung“, die er zeitlebens erhalten hat. Dabei hätten sein Mut und sein Initiativgeist während der NS-Zeit noch ganz andere Ordensoptionen verdient gehabt.

Schreiben der Daimler-Benz Aktiengesellschaft, Niederlassung Düsseldorf zur Verleihung der Mercedes-Benz-Ehrennadel vom 25.02.1953. Aus Bestand: AEKR 1OB 022 (Personalakten Konsistorium / Landeskirchenamt), Nr. 326, 19

Die Bekennende Kirche im Rheinland stand seit 1934 vor der Herausforderung, ihre „Grünen Briefe“ sowie ihre sonstigen Mitteilungsblätter und Broschüren an die Gemeinden zu verteilen. Der zentrale Postversand von Essen (Dienstort von Heinrich Held) bzw. Mülheim/Ruhr (dem Standort der Druckerei) aus stand wegen eines entsprechenden Verbotes durch die Gestapo nicht zur Verfügung. In einer Würdigung des 1957 verstorbenen Präses Held berichtet die Kirchenzeitung WEG hierüber Folgendes:

„Ein weiterer Arbeitsraum, von dem nicht einmal der „Chef“ (Heinrich Held, S.F.) etwas wusste, befand sich in einem gemieteten Ladenlokal auf der Bahnhofstraße (in Essen, S.F.). In dichtem Verkehr hat hier Herr Schrick manches Paket mit Niemöller-Postkarten und Rundbriefen in seinen 8-Zylinder-Horch eingeladen, während die Gestapo vor irgendeiner von ihr vermuteten Versandstelle Posten gefasst hatte. Von Essen aus wurden dann Postämter im gesamten Industrierevier und oft weit darüber hinaus angefahren, um die Sendungen, die ins ganze Reichsgebiet gehen, gestreut aufzugeben und sie einem zentralen Zugriff zu entziehen. Bürokratische Bedenken, 45-Stunden-Woche und Kompetenzschwierigkeiten – das alles gab es damals nicht.“

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Ein „junges Gedächtnis“ wird gewünscht: Der Ost-West-Dienst in Berlin 1961-1975

Der Bau der Berliner Mauer durch das Regime der DDR drohte 1961 auch die Kommunikation zwischen den beiden Kanzleien der EKU in West- und Ostberlin zu unterbinden. Die Evangelische Kirche der Union, seit 1953 die Nachfolgerin der ehemaligen Kirche der Altpreußischen Union (APU), war (und ist seit 2003 nunmehr als UEK) der Verbund der unierten Landeskirchen in Deutschland und umfasste sowohl West- wie Ostkirchen.

Im Mai 1962 richtete daher Oberkirchenrat Johannes Schlingensiepen an den befreundeten Duisburger Superintendenten Vetter folgende Bitte:

„Lieber Otto! Die Kanzlei der EKU braucht 14-tägig wechselnd einen rheinischen Theologen (durchgestrichen: Pfarrer), der die Vermittlung zwischen den Kanzleien im Osten und Westen herstellt, da die West-Berliner ja selbst nicht durch die Mauer kommen. Es handelt sich dabei um fast tägliche Botengänge, um Teilnahme an den Sitzungen der Kanzleien und um Übermittlung der zur Diskussion stehenden Angelegenheiten. Die Entsandten müssen noch über ein junges (durchgestrichen: brauchbares) Gedächtnis verfügen, so dass sie entscheidende Dinge (vor allem Beschlüsse) wörtlich wiederzugeben in der Lage sind… Wir bitten dich, eine Reihe von Duisburger Brüdern für diesen Dienst willig zu machen.“

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Relikte des Berliner Mauerbaues 1961 im Keller des Landeskirchenamtes Düsseldorf

Ich war erst seit wenigen Wochen im Düsseldorfer Archiv tätig, als Anfang 2001 die Hausleitung bat, einige Kisten zu überprüfen, die in einem Verschlag im sogenannten Kassenkeller des Landeskirchenamtes entdeckt worden waren. So etwas vernimmt ein Archivar gern und zusammen mit den beiden Hausmeistern machte ich mich an die Autopsie:

Es handelte sich um nicht weniger als 23 sorgfältig gezimmerte Holzkisten, die jeweils mit massiven Vorhängeschlössern gesichert waren. Mangels Schlüssel mussten die Kisten aufgebrochen werden. Zum Vorschein kam das versammelte Rechnungswesen des Berliner Stadtsynodalverbandes für den Zeitraum 1948-1960.

Die Unterlagen waren in ursprünglich 27 Kisten unmittelbar nach dem 13. August 1961 per Flugzeug in die am weitesten westlich gelegene Landeskirche transportiert worden.

Abgetragene Häuser an der Bernauer Straße in West-Berlin. Fotograf: Hans Lachmann; Datum: ca. 1968; Ort: West-Berlin; Signatur: AEKR 8SL046 (Bildarchiv), BRD_1968_0953
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Aus evangelischen Archiven 63 (2023) online

Der aktuelle Jahresband der Zeitschrift des Verbandes kirchlicher Archive ist online abrufbar. Er bietet auf 255 Seiten einen Überblick über aktuelle Projekte und Themen in den landeskirchlichen und diakonischen Archiven im Bereich der EKD. Besondere Schwerpunkte bilden diesmal die digitale Langzeitarchivierung, archivische Bauplanung und Magazinmanagement sowie Aspekte der Öffentlichkeitsarbeit.

Aus dem Rheinland stammt ein Beitrag: Kollege Norbert Friedrich stellt die Bestände zur Internationalen Diakonie vor, die sich im Archiv der Fliedner-Kulturstiftung in Düsseldorf-Kaiserswerth befinden (S. 71-87). Hervorzuheben ist hier der Weltverband Diakonia, der 1947 zur Förderung der ökumenischen Zusammenarbeit der Diakonissenverbände verschiedener Länder gegründet wurde.

Kirchenaustrittszahlen im historischen Vergleich

In den bereits vorgestellten statistischen Unterlagen des Konsistoriums findet sich auch eine Grafik zu den Kirchenaustritten im Gebiet der Rheinischen Kirche 1909-1942. Die niedrigen Ziffern bis 1914 spiegeln die rechtlichen und gesellschaftlichen Restriktionen wider, mit denen Austrittswillige im Kaiserreich konfrontiert waren. Mit dem Beginn der Weimarer Republik und dem Ende der Staatskirche kam es 1920 zu einem sprunghaften Anstieg der gewissermaßen aufgestauten Austritte. Nach der Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse seit 1924 verlief der Trend der Kirchenaustritte unter starken Schwankungen tendenziell nach oben.

Statistik über die Kirchenaustritte im Gebiet der Rheinischen Kirche zwischen 1908 und 1942 Bestand: 1OB 002 (Konsistorium), Nr. 2741

Auffällig ist der scharfe Rückgang auf nur noch 4.000 Austritte im Jahr 1933. Hintergrund ist das zumindest anfänglich von der NSDAP vermeintlich propagierte „positive Christentum“. Mit der Verfestigung des totalitären nationalsozialistischen Herrschaftsanspruchs im Alltag traten in den Folgejahren, z. T. auch aus opportunistischen Gründen für den beruflichen Aufstieg in Partei und Staat, immer mehr Menschen aus den beiden großen Kirchen aus. 1937 vollzogen diesen Schritt allein in der rheinischen Provinzialkirche 42.000 Evangelische. Nach Kriegsausbruch fielen die Zahlen auf das Niveau zur Zeit der Weimarer Republik zurück.

Die Zahl von 1937 wurde erst 2022 wieder übertroffen, als in der nunmehrigen EKiR 44.551 Austritte zu verzeichnen waren. Dies geschah auf der Grundlage von 2,2 Millionen Gemeindegliedern, was mit den in der Volkszählung 1933 für das gleiche Kirchengebiet ermittelten  2,16 Millionen fast identisch ist. Hier hat sich nach drei Generationen demografisch gewissermaßen ein Kreis geschlossen: Durch die Zuwanderung an evangelischen Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und die starken Geburtsjahrgänge der Babyboomer hatte die Rheinische Kirche 1970 mit knapp 4 Millionen Gemeindegliedern ihren zwischenzeitlichen Höchststand erreicht.