Kirchenaustrittszahlen im historischen Vergleich

In den bereits vorgestellten statistischen Unterlagen des Konsistoriums findet sich auch eine Grafik zu den Kirchenaustritten im Gebiet der Rheinischen Kirche 1909-1942. Die niedrigen Ziffern bis 1914 spiegeln die rechtlichen und gesellschaftlichen Restriktionen wider, mit denen Austrittswillige im Kaiserreich konfrontiert waren. Mit dem Beginn der Weimarer Republik und dem Ende der Staatskirche kam es 1920 zu einem sprunghaften Anstieg der gewissermaßen aufgestauten Austritte. Nach der Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse seit 1924 verlief der Trend der Kirchenaustritte unter starken Schwankungen tendenziell nach oben.

Statistik über die Kirchenaustritte im Gebiet der Rheinischen Kirche zwischen 1908 und 1942 Bestand: 1OB 002 (Konsistorium), Nr. 2741

Auffällig ist der scharfe Rückgang auf nur noch 4.000 Austritte im Jahr 1933. Hintergrund ist das zumindest anfänglich von der NSDAP vermeintlich propagierte „positive Christentum“. Mit der Verfestigung des totalitären nationalsozialistischen Herrschaftsanspruchs im Alltag traten in den Folgejahren, z. T. auch aus opportunistischen Gründen für den beruflichen Aufstieg in Partei und Staat, immer mehr Menschen aus den beiden großen Kirchen aus. 1937 vollzogen diesen Schritt allein in der rheinischen Provinzialkirche 42.000 Evangelische. Nach Kriegsausbruch fielen die Zahlen auf das Niveau zur Zeit der Weimarer Republik zurück.

Die Zahl von 1937 wurde erst 2022 wieder übertroffen, als in der nunmehrigen EKiR 44.551 Austritte zu verzeichnen waren. Dies geschah auf der Grundlage von 2,2 Millionen Gemeindegliedern, was mit den in der Volkszählung 1933 für das gleiche Kirchengebiet ermittelten  2,16 Millionen fast identisch ist. Hier hat sich nach drei Generationen demografisch gewissermaßen ein Kreis geschlossen: Durch die Zuwanderung an evangelischen Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und die starken Geburtsjahrgänge der Babyboomer hatte die Rheinische Kirche 1970 mit knapp 4 Millionen Gemeindegliedern ihren zwischenzeitlichen Höchststand erreicht.

Düsseldorfer Kirchenaustritte im Kaiserreich

Das Recht auf Konfessionslosigkeit wurde in Preußen erst mit dem „Gesetz betreffend den Austritt aus der Kirche“ von 1873 gewährt. Eine Abschrift der Austrittserklärung beim Amtsgericht ging demnach an die Kirchengemeinde, um ihr die Möglichkeit zu einer letztmaligen Einflussnahme zu geben.

Die absoluten Austrittszahlen blieben im Kaiserreich noch extrem gering und trugen in Verbindung mit der allgemeinen demografischen Entwicklung zu den stark steigenden Mitgliederzahlen der Evangelischen Kirchengemeinde Düsseldorf bei: Im Jahr 1901 fanden beispielsweise 1.800 Taufen statt (bei 844 Beerdigungen). Gerade einmal zwölf (sic!) Kirchenaustritten standen 31 Ein- bzw. Übertritte gegenüber, davon 28 aus der katholischen Kirche.

In der Akte 4KG 005, Nr. 21 finden sich interessante Zeugnisse dieser frühen Kirchenaustritte. Zu dem Kirchenaustritt des Korbmachers Ernst Albert 1890 heißt es etwa:

 „Hochwürden mit dem ergebensten Bemerken zu remittieren, dass eine seelsorgerliche Besprechung mit dem Antragsteller, die gestern stattgefunden hat, ohne Erfolg geblieben ist. Albert erklärte, er sei Atheist und habe mit dem christlichen System vollständig gebrochen, da dasselbe mit der modernen Wissenschaft unvereinbar sei.“

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