Die Veredlungswirtschaft GmbH und die Rheinische Hauptstelle des Evangelischen Hilfswerks: Ein überaus spannungsvolles Miteinander

Eugen Gerstenmaier, der Initiator und bis 1951 erste Leiter des Evangelischen Hilfswerks, hatte früh die Vision entwickelt, mit ausländischen Spendengeldern Rohstoffe im Ausland zu kaufen und diese in Deutschland weiterzuverarbeiten („zu veredeln“), um dadurch sowohl Arbeitsplätze zu schaffen wie auch Einnahmen für die Arbeit des Hilfswerks zu erzielen. Es sollten also nicht nur Hilfsgaben weitergeleitet, sondern eine Produktion in Gang gesetzt werden. 1949 wurden diese Aktivitäten unter dem Dach der Veredlungswirtschaft GmbH (kurz VERWI) in Stuttgart gebündelt. Heute hat sich der Begriff Veredlungswirtschaft auf Landwirtschaft und Nutztierhaltung verengt; damals standen vor allem textile Ausgangsstoffe im Mittelpunkt. Das Geschäftsfeld erwies sich von Beginn an als nicht unumstritten.

Als Geschäftsführer der VERWI fungierte Walther Gerstenmaier, der jüngere Bruder von Eugen. Wiederholt hatte er sich mit den -wenigstens aus seiner Sicht- aufsässigen Rheinländern vom Hauptbüro in Essen auseinander zu setzen. Ein eindrückliches Beispiel ist sein Brief vom 2. Juni 1950 an den Essener Geschäftsführer Constantin Rößler, einen Bruder des Oberkirchenrates Helmut Rößler. Der Brief sei hier vollständig im Wortlaut wiedergegeben:

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Medikamentenspenden für die DDR. Ein Beispiel für die Arbeit des Evangelischen Hilfswerks in der Nachkriegszeit

Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie e.V. in Frankfurt/Main zeigte sich definitely not amused: Am 27. August 1955 richtete dessen Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Laar ein galliges Schreiben an das Hauptbüro Rheinland des Hilfswerks der EKD. „Außerordentlich große Mengen“ gespendeter amerikanischer Medikamente seien über das Hilfswerk an Krankenhäuser in Norddeutschland weitergegeben worden. Abgesehen von geltend gemachten Sicherheitsbedenken werde somit „der amerikanischen Industrie die Möglichkeit gegeben, auf einfache Weise Propaganda für ihre Arzneimittel zu machen“. Das Hilfswerk solle doch vielmehr Interesse an einer leistungsstarken und spendenwilligen deutschen Pharmaindustrie haben und daher Sorge tragen, dass derartige Spendenaktionen nicht mehr durchgeführt würden.

Innerhalb des Hilfswerks (Zentralbüro Stuttgart, das kritisierte Hauptbüro Schleswig-Holstein in Rendsburg, das angeschriebene Hauptbüro Düsseldorf) liefen nun die Drähte heiß, wie man auf diese heikle Kritik reagieren solle. Anfang Oktober brachte ein Telefonat zwischen Dr. Laar und Ludwig Geißel vom Zentralbüro „ein mehr als befriedigendes Ergebnis“, über dessen Details in unseren Akten aber nichts zu finden ist.

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„Wilder Westen im hinteren Hunsrück“: Baumholder in der Nachkriegszeit

„Wilder Westen“ im hinteren Hunsrück. Artikel in DER WEG, Nr. 7, Jg. 1953

Unter diesem reißerischen und kein Klischee scheuenden Titel berichtete die rheinische Kirchenzeitung DER WEG am 29.3.1953 über den Umbruch, den das kleine Hunsrückstädtchen Baumholder seit 1950 mit dem Bezug des großen amerikanischen Truppenübungsplatzes erlebte. Phasenweise bis zu 30.000 Soldaten brachten mit ihrem massiven Zustrom an US-Dollars den örtlichen Wohnungs- und Arbeitsmarkt ins Chaos, ebenso wie die bald 40 (sic!) Nachtbars im Ort die Statistik für Alkohol- und Drogendelikte sowie Prostitution auf bundesdeutsche Spitzenwerte trieben. Im WEG-Artikel geht es folgerichtig im gleichen, bis vor acht Jahren eingeübten Propagandastil weiter:

„Auf dem kleinen Marktplatz stehen die Taxis, in denen verlebte Mädchen sitzen und auf den Besuch farbiger und anderer Soldaten warten, um mit ihnen eine Fahrt im Rücksitz zu unternehmen. Aus Gaststuben, deren Eingänge biedere Wirtshausschilder tragen, tönt schrille Musik und lautes Kauderwelsch. Wir fliehen in das Amtszimmer des Pfarrers, der einen unablässigen, schweren Kampf um seine Gemeinde führt. Alle Einwohner des Dorfes sind bedroht von der Invasion der Soldaten und Arbeiter. Die Fremden bringen viel Geld ins Dorf und zugleich einen gefährlichen Goldrausch.“

Wie ging nun die evangelische Kirche vor Ort und als Landeskirche mit dieser Herausforderung um?

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Frühe Netzwerke gegen Frauenhandel

Mitgliedskarte Pastor Otto Ohl, Deutsche Liga zur Bekämpfung des Frauenhandelns, München 1. April 1914; Bestand: AEKR 7NL 211 (Nachlass Otto Ohl), 634

Im Nachlass von Otto Ohl, dem Leiter und Referenten der Inneren Mission im Rheinland, befindet sich eine Mitgliedskarte der Deutschen Liga zur Bekämpfung des Frauenhandels aus dem Jahre 1914. Die Frage tauchte bei mir auf, welche Frauengruppen damals und heute betroffen sind und wie der Frauenhandel ablief. Die Dokumente geben darauf eine Antwort. Ist das Ziel, die Abschaffung der Zwangsprostitution heute erreicht? Das darf bezweifelt werden. Weiterlesen

Findbuch zur Partnerschaftsarbeit Berlin-Brandenburg jetzt online

Wikimedia Commons: Katalog von 1986 der Geschenkdienst- und Kleinexporte GmbH (Genex), Bild Public Domain

Was haben Ceresit-Abdichtungsmasse, Melitta-Filter, ein Ormig-Abzugsapparat oder eine Honka-Hebebadewanne gemeinsam? Zusammen mit unzähligen weiteren Produkten standen sie auf der Wunschliste von Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen in der DDR an ihre Partner im Westen, um die alltägliche Mangelwirtschaft ein wenig erträglicher zu gestalten. Die Abwicklung lief dabei monopolisiert über Handelsorganisationen wie die Genex, die zum KoKo-Imperium von Alexander Schalck-Golodkowski zählte.

Das Findbuch zum Bestand Partnerschaftsarbeit Berlin-Brandenburg des Diakonischen Werkes Rheinland ist jetzt online recherchierbar und ermöglicht wertvolle Einblicke in die deutsch-deutsche Alltagsgeschichte. Weiterlesen

Tagung der süddeutschen Kirchenarchive in Darmstadt

Am 4. und 5. Juni 2018 fand in Darmstadt die 27. Tagung der süddeutschen Kirchenarchive. Eingeladen hatte das Archiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, das ein interessantes, vielfältiges und manchmal auch kontroverses Programm zusammengestellt hatte.

In einem ersten Block ging es um aktuelle Themen aus der kirchenarchivischen Praxis. Zunächst gaben Siglind Ehinger (Stuttgart) und Holger Bogs (Darmstadt) einen Sachstandsbericht über ein Problemfeld, mit dem viele Kirchenarchive konfrontiert sind: Die Übernahme  unerschlossener und oft sehr umfangreicher Altregistraturen diakonischer Einrichtungen, deren archivische Bearbeitung im laufenden Dienstbetrieb nur sehr schwer zu bewältigen ist. Es folgte ein Überblicksreferat von Birgit Hoffmann (Wolfenbüttel) über den aktuellen Stand der Diskussion um das Strategiepapier der kirchlichen Archive und Bibliotheken. Im Anschluss daran führte Henning Pahl (Berlin) in die aktuelle rechtliche Situation nach Inkrafttreten des neuen EKD-Datenschutzgesetzes und der europäischen Datenschutz-Grundverordnung ein.

Der zweite inhaltliche Block war zwei Themen gewidmet, über die schon auf der letztjährigen Tagung in Speyer diskutiert und für die eine Vertiefung gewünscht worden war, nämlich Pfarrarchivpflege und Kooperation mit Ehrenamtlichen. Hannelore Schneider (Eisenach) sowie Udo Wennemuth und Johanna Wohlgemuth (beide Karlsruhe) gaben Praxisberichte über den Stand der Archivpflege in der mitteldeutschen und in der badischen Landeskirche. Insbesondere das badische Modell, bei dem mit von der Landeskirche finanzierten Projektstellen innerhalb von fünf Jahren sämtliche badischen Pfarrarchive erschlossen werden sollen, stieß auf großes Interesse, aber auch auf Skepsis hinsichtlich der Realisierbarkeit.

Den inhaltlichen Schlusspunkt der Tagung setzte Andreas Metzing (Boppard) mit einem Bericht über die Zusammenarbeit des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland mit genealogischen Vereinen. Das Konzept des Archivs der EKiR, als Gesellschafter des Kirchenbuchportals ARCHION seine Gemeindekirchenbücher grundsätzlich in diese Bezahlplattform einzustellen, aber sich gleichzeitig die Freiheit vorzubehalten, im überschaubaren Segment der Militärkirchenbücher auch Erfahrungen mit Open-Access-Lösungen (Zusammenarbeit mit dem Verein für Computergenalogie und dem Portal Matricula) zu sammeln, wurde ausgesprochen kontrovers diskutiert. Gerade in diesem Punkt verspricht die nächstjährige Tagung, die Anfang Juni 2019 von der Archivstelle Boppard ausgerichtet werden wird, Anlass für weitere Debatten zu werden.

Die Bahnhofsmission in Düsseldorf

Bahnhofsmission, Mitarbeiterin mit Sammelbüchse und Spender mit Zigarre und Hut, vermutlich Hauptbahnhof Düsseldorf, Hans Lachmann, Schachtel Nr. 86: Bahnhof/Bahnhofsmission, aus Bestand: AEKR 8SL 046 (Bildarchiv), 6_000805

Ferienzeit – Reisezeit. Heute reist man mit dem Flugzeug in ferne, exotische Länder, ab den 1960ziger Jahren mit dem Zug an die Nordsee oder nach Bayern und Österreich. Heute bilden sich lange Menschenschlangen vor den Abfertigungsschaltern und vor den Gates im Flughafen, früher herrschte ein Gedränge vor den Fahrkartenschaltern des Bahnhofs und auf den Bahnsteigen der Fernverkehrszüge. Wenn einer eine Reise tut, kann er was erzählen. War der Reisende auf solche Verkehrsmittel angewiesen, konnte er in fremden, unbekannten Orten stranden. War es ein Bahnhof, war damals die Bahnhofsmission ein nahezu allen bekannter Anlaufpunkt: Hier wurde ihm geholfen, vor allem mit einer Tasse Kaffee aus der großen Thermoskanne oder mit einem Teller Erbsensuppe. Ging der Koffer verloren, half sie mit Kleidung aus. Nicht nur das: Die zumeist ehrenamtlichen Helfer unterstützten behinderte Zugreisende, aus- und einzusteigen, sorgten dafür, dass Senioren mit ihrem Gepäck den richtigen Zug nahmen, begleiteten alleinfahrende Kinder und Kindergruppen zu den Ferienorten. Und Heiligabend sorgten sie dafür, dass sozial benachteiligte Personen gemeinsam feiern konnten. Finanziell blieben sie weitgehend auf sich gestellt. Ihre Arbeit war auf Spenden angewiesen.

  • Bahnhofsmission, Banner "Bahnhofsmission hilft! Helfen Sie uns helfen!", Hans Lachmann, Schachtel Nr. 86: Bahnhof/Bahnhofsmission, aus Bestand: AEKR 8SL 046 (Bildarchiv), 6_000805

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