Von Lodenmänteln und Baskenmützen: Der Versuch einer Trachtordnung für die Evangelische Bahnhofsmission 1948

Über die verdienstvolle Arbeit der Bahnhofsmission am Beispiel des Hbf Düsseldorf ist bereits vor einiger Zeit im Blog berichtet worden.

Plakat „Bahnhofsmission“ mit überkonfessionellen Kontaktinformationen zu Anlaufstellen. Aus Bestand: 8SL049(Plakatsammlung), Nr. 1338

In der Nachkriegszeit kümmerte sich die energische Hauptgeschäftsführerin der Evangelischen Bahnhofsmission Armgard von Alvensleben auch um ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild der Mitarbeiterinnen. Großzügige Stofflieferungen des Hilfswerks der EKD aus Auslandsspenden boten ihr hier die materielle Grundlage.

Das typisch deutsche Vehikel zur praktischen Umsetzung sollte dabei die 1948 erlassene Trachtordnung bilden.

Trachtordnung, für die Berufskleidung der Evangelischen Bahnhfsmissionarin. Aus Bestand 5WV 051(Diakonisches Werk – Bestand Ohl), Nr. 2056

Demnach waren folgende Bestandteile der Tracht vorgesehen:

1. Lodenmantel, der außer im Winter auch im Sommer im Reisedienst oder bei schlechtem Wetter übergezogen wird.

2. Wollkleid: Es wird im Allgemeinen mit aufgenähtem weißem Kragen getragen, und zwar insbesondere bei Rüsttagen, Arbeitsbesprechungen, Behördengängen, gemeinsamem Kirchgang u. ä. Das dauernde Tragen im täglichen Dienst wird nicht erwartet, da sich das Kleid dann sehr schnell abnutzen würde.

3. Kittel. Er ist der eigentliche Arbeitsanzug für den Innen- und Außendienst am Bahnhof und in der Heimarbeit. Es ist möglich, ihn mit langen oder kurzen Ärmeln und ohne untergezogenes Kleid zu tragen.

4. Baskenmütze. Sie wird etwas schräg aufgesetzt und soll die Haarfrisur weitgehend bedecken.

5. Armbinde. Sie ist das Dienstzeichen der Bahnhofsmission und darf nur im Dienst mit auf Befragen vorzuzeigendem Ausweis getragen werden. Sie wird am linken Oberarm so hoch angebracht, dass sie nicht im Ellbogengelenk Falten schlägt. Notfalls muss sie etwas schmäler getragen werden. Beim Ausscheiden einer Trägerin aus dem Dienst ist sie abzugeben. Ehrenamtliche Helferinnen erhalten sie nur stundenweise am Bahnhof ausgeliehen.

6. Brosche. Die Brosche wird links in Höhe über der Brusttasche des Kittels getragen.

7. Schuhe

8. Strümpfe

Selbstverständlich folgte noch ein knappes Dutzend weiterer Detailvorschriften. Eine kleine Auswahl davon sei zitiert:

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Spendenfärsen aus den USA: Aus der Arbeit des Evangelischen Hilfswerks

Können Sie spontan etwas mit dem Begriff Spendenfärsen anfangen? Eine Färse (englisch: Heifer) ist bekanntlich ein junges weibliches Rind, das noch nicht gekalbt hat. Weshalb sollte sich das Blog eines kirchlichen Archivs mit diesen Tieren beschäftigen?

Nicht weniger als fünf dicke Aktenhefter im Bestand 5WV 052 (Ev. Hilfswerk) führen den Aktentitel „Spendenfärsen“. Es gab also in den 1950er Jahren offensichtlich intensiven Schriftverkehr um diese gespendeten Kühe. Ausgangspunkt ist die 1944 gegründete und heute noch bestehende amerikanische Organisation Heifer International.

Informationsschreiben der Färsen Projekt Vereinigung(ca. 1955). Aus Bestand: AEKR 5WV 052 (Diakonisches Werk, Bestand Hilfswerk), Nr. 202

Gemäß deren Auflagen mussten die Empfänger bedürftige Flüchtlinge sein und nachweisen, dass sie bereits in ihrer früheren Heimat als Landwirt tätig gewesen waren. In Deutschland betraf dies in der Regel Vertriebenenfamilien aus den ehemaligen Ostgebieten. Sie verpflichteten sich, das erstgeborene weibliche Kalb einem anderen bedürftigen Flüchtlingsbauern abzugeben

Das Hilfswerk und auf katholischer Seite die Caritas sorgten im Zusammenspiel mit staatlichen Stellen für die Bearbeitung der zahlreichen Anträge, die oft zunächst von den Ortspfarrern gesammelt und weitergeleitet worden waren. Das Procedere bei einer Übergabe von Tieren in Düsseldorf 1957 veranschaulicht ein Informationsblatt des Hilfswerks:

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Die Veredlungswirtschaft GmbH und die Rheinische Hauptstelle des Evangelischen Hilfswerks: Ein überaus spannungsvolles Miteinander

Eugen Gerstenmaier, der Initiator und bis 1951 erste Leiter des Evangelischen Hilfswerks, hatte früh die Vision entwickelt, mit ausländischen Spendengeldern Rohstoffe im Ausland zu kaufen und diese in Deutschland weiterzuverarbeiten („zu veredeln“), um dadurch sowohl Arbeitsplätze zu schaffen wie auch Einnahmen für die Arbeit des Hilfswerks zu erzielen. Es sollten also nicht nur Hilfsgaben weitergeleitet, sondern eine Produktion in Gang gesetzt werden. 1949 wurden diese Aktivitäten unter dem Dach der Veredlungswirtschaft GmbH (kurz VERWI) in Stuttgart gebündelt. Heute hat sich der Begriff Veredlungswirtschaft auf Landwirtschaft und Nutztierhaltung verengt; damals standen vor allem textile Ausgangsstoffe im Mittelpunkt. Das Geschäftsfeld erwies sich von Beginn an als nicht unumstritten.

Als Geschäftsführer der VERWI fungierte Walther Gerstenmaier, der jüngere Bruder von Eugen. Wiederholt hatte er sich mit den -wenigstens aus seiner Sicht- aufsässigen Rheinländern vom Hauptbüro in Essen auseinander zu setzen. Ein eindrückliches Beispiel ist sein Brief vom 2. Juni 1950 an den Essener Geschäftsführer Constantin Rößler, einen Bruder des Oberkirchenrates Helmut Rößler. Der Brief sei hier vollständig im Wortlaut wiedergegeben:

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Medikamentenspenden für die DDR. Ein Beispiel für die Arbeit des Evangelischen Hilfswerks in der Nachkriegszeit

Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie e.V. in Frankfurt/Main zeigte sich definitely not amused: Am 27. August 1955 richtete dessen Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Laar ein galliges Schreiben an das Hauptbüro Rheinland des Hilfswerks der EKD. „Außerordentlich große Mengen“ gespendeter amerikanischer Medikamente seien über das Hilfswerk an Krankenhäuser in Norddeutschland weitergegeben worden. Abgesehen von geltend gemachten Sicherheitsbedenken werde somit „der amerikanischen Industrie die Möglichkeit gegeben, auf einfache Weise Propaganda für ihre Arzneimittel zu machen“. Das Hilfswerk solle doch vielmehr Interesse an einer leistungsstarken und spendenwilligen deutschen Pharmaindustrie haben und daher Sorge tragen, dass derartige Spendenaktionen nicht mehr durchgeführt würden.

Innerhalb des Hilfswerks (Zentralbüro Stuttgart, das kritisierte Hauptbüro Schleswig-Holstein in Rendsburg, das angeschriebene Hauptbüro Düsseldorf) liefen nun die Drähte heiß, wie man auf diese heikle Kritik reagieren solle. Anfang Oktober brachte ein Telefonat zwischen Dr. Laar und Ludwig Geißel vom Zentralbüro „ein mehr als befriedigendes Ergebnis“, über dessen Details in unseren Akten aber nichts zu finden ist.

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Kinderverschickung in die Niederlande 1948-1950

Kinderverschickung, Ankunft der Kinder am Bahnhof in Rotterdam, „Plaatselijk comité Pleegkinderen Buitenland“, ca. 1949, aus Bestand: AEKR 5WV 052 (Diak. Werk – Hilfswerk, Geschäftsstelle Düsseldorf)

Etwas verloren schauen sie schon drein, die 4-10 jährigen Kinder aus dem Rheinland und Westfalen, als sie im Frühjahr 1949 nach ihrer Ankunft auf dem Hauptbahnhof in Rotterdam von ihren Betreuerinnen in Empfang genommen werden. Jedes von ihnen trägt um den Hals eine Namens- und Adresskarte mit den nötigsten Angaben.

Das Foto stammt aus unserem neu erschlossenen Bestand Hilfswerk und dokumentiert eine beeindruckende Hilfsaktion der holländischen Bevölkerung gegenüber den Deutschen, deren Überfall auf den Nachbarn 1940 und die anschließende vierjährige Besatzungszeit über 200.000 Todesopfer gefordert hatten. Alles begann im Juni 1949 mit einem überraschenden Angebot des „Interkerkelijk Bureau Pleegkinderen uit het buitenland“ (IKB) in Den Haag. Weiterlesen