Datenschutz war noch unbekannt: Die Evangelische Gemeinde Bonn druckte 1926 ein Mitglieder-Verzeichnis

Heute ist es manchem vielleicht schon unangenehm, wenn der Gemeindebrief der Kirchengemeinde mit Namensaufdruck im Zeitungsbriefkasten des Mehrfamilienhauses liegt. Mitglied der Kirche zu sein, ist unmodern geworden. 1926 konnte in Bonn zumindest jedes Mitglied der Evangelischen Gemeinde nachlesen, wer sich ebenfalls dazu zählte: Die Evangelische Gemeinde gab ein „Gemeindebuch, Ausgabe 1926/27“ heraus, das „1. Die Einrichtungen der evangelischen Gemeinde Bonn“ und „2. Mitglieder-Verzeichnis“ umfasste. Immerhin, auch wenn der Datenschutz noch unbekannt war, es wurde „gedruckt nur für die Mitglieder der evang. Gemeinde Bonn.“ Ein Exemplar gelangte etwa vier, fünf Jahrzehnte später in die Bibliothek des Landeskirchlichen Archivs (Signatur OB 18 006).

Gemeindebuch der evangelischen Gemeinde Bonn; Ausgabe 1926/27

Was bewog die Gemeinde, ein solches Gemeindebuch herauszugeben? Natürlich, die Übersicht über die Einrichtungen der Gemeinde, die Pfarrer und ihre Bezirke mit Straßenverzeichnis, die Kirchen und Gemeindehäuser, das ist nicht ungewöhnlich; dazu ein Überblick über díe Geschichte und Vorgeschichte dieser – in einem bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ausschließlich katholischen Umfeld – erst 1816 gegründeten evangelischen Gemeinde. Es soll ein Zusammenhalt geschaffen werden, man soll einander kennen können. Im Vorwort heißt es dazu: „In Zeiten wie die unsrige ist das Bedürfnis nach Zusammenschluß mit Gleichgesinnten besonders stark. Auch dazu möchte diese Schrift helfen“.

Gemeindebuch der evangelischen Gemeinde Bonn; Ausgabe 1926/27; Vorwort

Das alphabetische Mitglieder-Verzeichnis umfasst gut 150 Seiten des Büchleins im Taschenbuchformat. Angegeben sind Nachname, Vorname, Stand (Beruf), Adresse. Das „i-Tüpfelchen“ ist das Sternchen * bei einzelnen Namen mit der Bedeutung: „Familie katholisch“; also hat das so gekennzeichnete Mitglied eine katholische Familie. Es handelt sich um eine lange die Ökumene belastende „Mischehe“, in der oft die Kinder auf Druck der katholischen Kirche katholisch getauft werden mussten. Beim Buchstaben A haben bespielsweise 17 von ca. 130 Mitgliedern ein *. Annette Hinz-Wessels („Die Evangelische Kirchengemeinde Bonn in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945“, Köln 1996, S. 58) schreibt dazu: „Das Verhältnis zur katholischen Konfession war von Anfang an durch die schwierige Mischehenfrage belastet. Die Mischehe stellte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Folge der hohen Zuwanderung protestantischer Junggesellen eine latente Bedrohung für die Bonner Diaspora-Gemeinde dar. [… es] überwog bis über die Jahrhundertmitte hinaus in den Bonner Mischehen die katholische Erziehung.“

Gemeindebuch der evangelischen Gemeinde Bonn; Ausgabe 1926/27; Mitglieder-Verzeichnis

Wichtig in der damaligen Zeit ist die Angabe des Standes (Berufes). So ist die erste genannte Person, Abel, Alma, o.G, also ohne Gewerbe. Die Folgenden sind Dr. phil., Arbeiter, Frau, Glasschleif., Näherin, O.=Stadtsekr., Versicherungsgeschäft, Privater, Fräulein, Rechnungrev. [u.] Rech.-Rat, Frau, Reg.=Baumstr., Frau. Eine Frau wird selbst als Witwe über den Vornamen des Mannes definiert: Adämmer, Franz, Ww., geb. Geldermann, Privatin. Das Spektrum der Berufe bleibt bei den nächsten Personen bunt: Just.=Büro=Assist., Dr. [u.] Rechtsanw., Rentner, Kalkulator, Portier, Kaufmann, Mechaniker, Metallarbeiter, Univ.=Bibl.-Oberinsp. Für weiterführende Lektüre sei der Titel „Die Sozialstruktur der evangelischen Einwohner Bonns im 19. Jahrhundert“ von Gabriele Müller-List (Bonn 1980) empfohlen.

Im Ranking der Namen gewinnt eindeutig Müller mit 1 3/4 Seiten vor Schneider mit 1 Seite, Schmid (kein Schmidt!) mit 1 knappen Seite, Schmitz mit 1 guten halben Seite und Koch, Meyer und Schäfer mit je 1 knappen halben Seite. Auffällig ist eine Äußerlichkeit des Buches: Der erste Teil ist auf gutem, weißen Papier gedruckt, der umfangreichere zweite Teil mit dem Mitgliederverzeichnis auf billigem, jetzt angebräunten Papier. Zahlreiche gewerbliche Anzeigen trugen zur Finanzierung der Publikation bei.

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