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In den vergangenen Monaten wurden weitere Findbücher von Beständen der Archivstelle Boppard retrokonvertiert und online veröffentlicht. Es handelt sich im Einzelnen um folgende Bestände:
Pfarrer Schöler von Remagen geriet Ende Februar 1818 in eine peinliche Situation: Schon über zwei Monate amtierte Friedrich Oertel als erster Superintendent des neugebildeten Kirchenkreises Koblenz und Schöler hatte weder die ersten beiden „hochgeschätzten Rundschreiben Ew. Hochwürden beantwortet, welches doch Pflicht und Wohlstand strenge gefordert hätten“, noch diesem gegenüber seiner Freude Ausdruck verliehen, „daß unsere hohe, weise Regierung uns einen so würdigen Geistlichen, von dem mir in jedem Betreffe schon so viel rühmliches gesagt wurde, an die Spitze unserer jetzigen Synode stellte.“ Und jetzt verpasste er zu allem Übel auch noch die erste Kreissynode, bei der er doch Oertel persönlich kennenlernen und zum Amtsantritt hatte gratulieren wollen. Zerknirscht gestand Schöler ein, dass der Superintendent „nicht die vortheilhafteste Meinung von mir erhalten müsse“.
In diese missliche Lage hatten Schöler jedoch auch „unvorhergesehene Umstände“ manövriert. Hintergrund war die enorme räumliche Ausdehnung des Kirchenkreises Koblenz, der 1817 aus gleich drei großen Landkreisen – Ahrweiler, Koblenz und St. Goar – gebildet worden war, da, wie das Koblenzer Konsistorium zurecht konstatierte, „die protestantischen Pfarreien in den Kreisen des linken Rheinufers sehr unverhältnismäßig vertheilt sind“. Noch dazu hatte die preußische Regierung als Tagungsort der Kreissynode nicht, wie vom Konsistorium vorgeschlagen, das zentral gelegene Koblenz, sondern St. Goar tief im Süden des Kirchenkreises bestimmt, wo ein Großteil der Kirchengemeinden lag. Dies isolierte die weit nördlich gelegenen Gemeinden noch zusätzlich, denn konnte man die Kreissynode von den südlichen Gemeinden aus innerhalb einer halben bis maximal dreieinhalb Stunden erreichen, war man von Koblenz, Bendorf oder Winningen aus bereits sieben bzw. acht Stunden unterwegs, und für die beiden nördlichsten Gemeinden Oberwinter und Remagen musste – bei guten Straßenverhältnissen – mit einer Reisezeit von 14-15 Stunden gerechnet werden.
Bei Ordnungs- und Verzeichnungsarbeiten im Bestand Kirchenschaffnei Meisenheim stießen Mitarbeiter der Evangelischen Archivstelle Boppard kürzlich auf zwei außergewöhnliche Fundstücke: Pergamente mit hebräischer Handschrift. Es handelt sich zum einen um eine Buchseite, die als Einband der Disibodenberger Schaffneirechnung von 1623 verwendet wurde, zum anderen um eine hebräische Schriftzeile auf der Rückseite der ältesten Urkunde des Bestandes von 1387. Zwar ist die Verwendung von Pergamentmakulatur an sich nicht ungewöhnlich und findet sich auch zahlreich im Meisenheimer Bestand, dabei handelt es sich jedoch im Falle des Bopparder Archivs soweit bislang bekannt ausschließlich um „recycelte“ christliche Handschriften.
Das hebräische Einbandfragment identifizierte der Mainzer Judaist Andreas Lehnardt, der sich seit Jahren dem „großen hebräischen Puzzle“ widmet, als ein Blatt aus dem bekannten Rechtskodex Sefer Mitzwot Qatan (Das kleine Buch der Gebote) von Rabbi Yitzhaq ben Yosef aus Corbeil († 1230), vermutlich entstanden im 14. Jahrhundert. Im Detail handelt es sich um folgende Passagen: Außendeckel, rechte Spalte: Mitzwa 11, von משתקין אותו וכן אם bis דאפי; linke Spalte: Mitzwa 113, von בסוף לא יהא אלא bis ברכה של. Innendeckel, rechte Spalte: Mitzwa 53, von לא נשאר לנו; linke Spalte: Mitzwa 53 (Fortsetzung) von ואמ‘ אין שלום וגו‘ bis מיליהן דכת‘. Am Rand finden sich Glossen von Rabbenu Peretz in kleinerer aschkenasischer Kursive.
Im Archiv der Kirchengemeinde Wetzlar, dessen Findbuch kürzlich retrokonvertiert und ergänzt wurde, finden sich auch vier Urkunden einer Ende des 16. Jahrhunderts gebildeten wallonisch-reformierten Gemeinde, und auch im Aktenbestand ist eine umfangreiche Überlieferung dazu als separate Gruppe vorhanden. Diese reformierte Gemeinde geht zurück auf etwa 60 wallonische Familien aus dem niederrheinischen Wesel, die 1586 in Wetzlar Zuflucht vor den Kriegswirren am Niederrhein fanden.
In Wesel lebten bereits seit 1544 protestantische Wallonen, die vor der Religionspolitik in den habsburgischen Niederlanden geflohen waren. Sie waren calvinistisch geprägt, bildeten eine eigene Gemeinde und ihre Prediger hielten Gottesdienste in französischer Sprache. Auch in der seit 1542 lutherischen Reichsstadt Wetzlar wurden den Reformierten nach Fürsprache u.a. des einflussreichen Theologen Franz Junius d. Ä. großzügige Rechte eingeräumt. Bürgermeister und Rat bekannten am 19. September 1586, „dass wir […] bewilliget haben, Sechzig Paar Ehe-Volcks ungefehrlich, so bisz dahero etliche Jahre daselbst zu Wesel gewohnet, allhier zu Wetzflar bey uns zu Bürgern in gewöhnliche Eyd und Pflichte, gegen Vorzeigung wissentlichen Abzugs und Erlegung des Bürgergelds uff- und anzunehmen, dergestalt, dasz sie unsern Gesetzen und Statuten allemaszen als andere unsere Mitbürger unterworffen, und dagegen auch, wie dieselbigen aller Bürgerlichen Freyheiten und Rechten sich mit erfreuen und genieszen sollen und mögen.“
Preissteigerungen sind aktuell in aller Munde, allerdings kein Vergleich zu der durch die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs verursachten Hyperinflation des Jahres 1923. Ein beredtes Beispiel findet sich im kürzlich verzeichneten Archiv der Kirchengemeinde Meddersheim, die just in dieser Zeit dringend notwendige Reparaturen am Turm ihrer Kirche in Angriff nehmen musste.
Der Kostenvoranschlag des damit beauftragten Bauunternehmers von Ende August 1923 belief sich zunächst auf 3.812.837.500 Mark bei einem Stundenlohn von 480.000 Mark, die Summe steigerte sich jedoch im Zuge der galoppierenden Geldentwertung innerhalb nur weniger Wochen auf insgesamt gut acht Billionen Mark. Der Wertverlust verlief so rasant, dass Zahlungen bald innerhalb eines Tages überwiesen werden mussten. Da die Kirchengemeinde mit der Aufbringung der Beträge nicht mehr nachkam, drohte die durch Zahlungsstockungen und ausbleibende Materiallieferungen ebenfalls am Rande des Ruins stehende Baufirma mit dem Abbruch der Arbeiten, sofern die Gemeinde nicht wenigstens 60 Sack Kalk für die notwendigsten Ausbesserungen beschaffen würde. Mitte November 1923 war die Entwertung schließlich soweit fortgeschritten, dass der Bauunternehmer Rechnungen für geleistete Arbeiten nicht mehr in Geld, sondern in Naturalien, genauer: in Butter und „Frucht“ (also Getreide) als Ersatzwährung ausstellte.
Das Stift St. Goar verfügte offenbar einst über eine gut sortierte Bibliothek mittelalterlicher lateinischer Handschriften. Vermuten lässt dies die Verwendung einzelner Buchseiten aus Pergament zum Einbinden von Rechnungen des Stifts und des Hospitals aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die im Stiftsarchiv überdauert haben. Mit Einführung der Reformation in der Niedergrafschaft Katzenelnbogen 1527/28, dem Erlöschen der Klerikergemeinschaft von „Sanct Gewere“ wenige Jahrzehnte später und der gleichzeitigen Entwicklung des Buchdrucks hatten die Handschriften ihre Funktion verloren. Nun ist die Verwendung von Pergamentmakulatur an sich nichts Ungewöhnliches, dennoch finden sich in dem Bestand einige besonders schöne Beispiele, die vorzustellen sich lohnt.
Zu den ältesten Beständen der Evangelischen Archivstelle Boppard zählt die Kirchengemeinde Kirn, deren Altes Archiv 44 Urkunden aus einem Zeitraum von 1325-1711 umfasst sowie gut 200 Akten und Amtsbücher wie Pfarrstellenakten ab 1553, Vermögen ab 1487, Bauwesen und Religionsstreitigkeiten ab 1600 und Schulwesen ab 1563. Auch das Neue Archiv mit einer sehr breiten Überlieferung Schwerpunktmäßig auf dem Rechnungswesen und den Amtsbüchern setzt bereits 1624 ein. Das jüngst retrokonvertierte und überarbeitete Findbuch der Kirchengemeinde ist jetzt online verfügbar.
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