„Hirte gesucht“: Die Präseswahl am 12. Juni 1971

Heute vor fünfzig Jahren traf die rheinische Landessynode eine personelle Richtungsentscheidung: Nach den langen Jahren der Ära von Präses Joachim Beckmann stellten sich gleich mehrere profilierte Kandidaten zur Nachfolge bereit. Die Wahl stieß daher auch auf das Interesse überregionaler Medien. Fünf Wochen vor dem Termin stellte der SPIEGEL unter dem Titel „Hirte gesucht“ die Kandidaten vor.

Weltläufigster Kandidat war sicherlich Eberhard Bethge (1909-2000), der enge Freund und Biograf Dietrich Bonhoeffers. Nach einer Auslandsstation als Pfarrer in London amtierte er seit 1961 als Leiter des Rheinischen Pastoralkollegs in Rengsdorf. Die Theologieprofessoren Hans Walter Wolff (1911-1993) und Helmut Thielicke (1908-1986) hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Kandidatur bereits wieder zurückgezogen.

Zwei Kandidaten kamen eher aus dem internen Machtapparat der Kirche: Ernst Heinz Bachmann (1915-2001), Superintendent von Köln-Nord, dort lokal bestens vernetzt sowie Karl Immer (1916-1984), der Sohn des gleichnamigen BK-Vorkämpfers in der NS-Zeit. Der „rote Immer“ hatte vor allem in den 1950er Jahren die politischen Positionen der Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland vertreten. Bereits seit 1958 Mitglied der Kirchenleitung, war er von der Landessynode 1968 zum Oberkirchenrat gewählt worden. Gegenkandidat war Bethge.

Präseswahl 1971 – Stimmenauszählung, aus: Der Weg, Evangelisches Sonntagsblatt für das Rheinland, Nr. 26, 27.06.1971, 26. Jg., Düsseldorf (zweiter von rechts Präses Beckmann)

Der in Wuppertal aufgewachsene Thielicke ließ sich dann noch kurzfristig während der laufenden Synode von der konservativen „Landessynodalen Arbeitsgemeinschaft“ zur Wiederaufnahme der Kandidatur bewegen. Ob dieser aber zum eher erdverbundenen Setting einer rheinischen Landessynode passte? Der Kirchenhistoriker Friedrich Wilhelm Graf hat gerade in einem aktuellen Beitrag Thielickes äußere Erscheinung so beschrieben:

„Der groß gewachsene, meist elegant gekleidete Mann mit blauen Augen, der sehr gern große Brillen trug, seine Krawatte oft mit einer Perle verzierte und auch mit einem protzig wirkenden Siegelring sich schmückte, blieb in den protestantischen Kirchenmilieus gerade wegen seiner außergewöhnlichen Erfolge in kirchendistanzierten bürgerlichen Öffentlichkeiten ein bunter, ebenso fasziniert wie argwöhnisch und auch neidvoll beobachteter Geistesvogel, dessen Eitelkeit – der Liebhaber guter Zigarren trat bei Empfängen und Partys in Hamburg oder auf Sylt oft im weißen Anzug auf und fuhr einen weißen Mercedes – bei Kirchenfunktionären mancherlei Spott provozierte“. (S. 111)

Die sonst eher zum Betulichen neigende Kirchenzeitung DER WEG publizierte am 27.6.1971 einen atmosphärisch dichten Wahlbericht:

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Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland wird erstmals ein „nicht-rheinischer“ Pfarrer

Das Amt des oder der Präses bezeichnet den leitenden Theologen oder die leitende Theologin der Evangelischen Kirche im Rheinland. Die Amtszeit beträgt acht Jahre. In diesem Blog wurden bereits einige Beiträge zu früheren Amtsinhabern veröffentlicht.

Am 14. Januar 2021 wurde Dr. Thorsten Latzel als Nachfolger von Manfred Rekowski zum Präses der EKiR gewählt. Wie ein Journalist in der Pressekonferenz nach der Wahl richtig bemerkte, ist Latzel der erste Präses der rheinischen Kirche, der vorher nicht Pfarrer in der EKiR gewesen ist. Er war bisher in Hessen und bei der Evangelischen Kirche in Deutschland tätig.

In der 70jährigen Geschichte der EKiR erstaunt das vielleicht. Da ist es doch interessant, der Frage nachzugehen, ob es denn in der Vergangenheit Kandidaturen außerrheinischer Pfarrer oder Pfarrerinnen für das Präsesamt gegeben hat:

Amtseinführung von Präses Gerhard Brandt 1981, in der Mitte der scheidende Präses Karl Immer, aus Bestand: AEKR 8SL 046(Bildarchiv), 01001_03
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