Der Evangelische Verein für Ferienkolonien zu Essen-Ruhr

Die Mädchen, die sich hier zusammen mit ihren „Führerinnen“ (so der zeitgenössische Begriff schon vor 1914) zum Fototermin geschart haben, waren Kinder aus Essener Arbeiterfamilien. Zur Sommerfrische waren sie im Gasthof Leopold Deckers in Marienbaum bei Xanten untergebracht.

Mädchenferienkolonie ca. 1930 auf dem Gasthof Deckers in Marienbaum bei Xanten. Aus Bestand: 4KG076(Essen-Altstadt), Protokollbuch des Ev. Vereins für Ferienkolonien (1906-1938).

Der Essener Verein war 1895 nach dem Vorbild anderer rheinischer Industriestädte gegründet worden. Die Ferienkoloniebewegung war im Kaiserreich weit verbreitet. In Essen bestanden bis 1914 neben dem evangelischen Verein auch ein katholisches Pendant sowie der „Verein für Ferienkolonien israelitischer Kinder“. Gemäß § 1 seiner Satzung diente der Verein dem Zweck, „schwächliche und kränkliche Schüler der evangelischen Volksschulen Essens, denen das Elternhaus die körperliche Kräftigung und Erholung, deren sie bedürfen, nicht zu bieten vermag, im Sommer während einiger Wochen in eine Ferienkolonie oder Kinderheilanstalt zu entsenden.“

Die erhaltenen Protokollbücher mit den gedruckten Jahresberichten bieten eine lebendige Überlieferung zu diesem Aspekt sozialer Fürsorge. Die Freizeitgestaltung wird detailliert beschrieben, gelegentlich sind Speisezettel beigeheftet. Exemplarisch seien die Berichte zu den Ferienkolonien im „Jahrhundertsommer“ 1911 ausgewertet. Damals fiel von Mai bis November in weiten Teilen Europas kein Regen, womit dieser Sommer statistisch noch trockener als 2018 ausfiel. Dies hatte natürlich konkrete Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung.

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Trinkerfürsorge und Suchthilfe im rheinischen Protestantismus

Alkoholfreies Restaurant u. Café des Frauenvereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke, Köln; aus Bestand: AEKR 5 WV 051 (Diakonisches Werk – Bestand Otto Ohl), 45.1.1

Nicht vegetarisch! Gleich viermal findet sich diese offenbar tröstlich gemeinte Empfehlung auf dem Werbezettel für ein alkoholfreies Restaurant in Köln aus dem Jahr 1912. Fehlender Trinkzwang und der Verzicht auf Trinkgelder mögen weitere sparsame Gemüter angesprochen haben. Betreiber des Etablissements war der Frauenverein gegen den Missbrauch geistiger Getränke.

Diese Werbung findet sich in den umfänglichen Aktenserien zur Süchtigenfürsorge aus der Amtszeit von Otto Ohl, von 1912 bis 1963 Geschäftsführer des Rheinischen Provinzialausschusses für Innere Mission (Az. 45). Der heitere Einstieg soll keineswegs den Ernst des Themas verhehlen. Der gestiegene Konsum von billigem Branntwein und anderen Spirituosen hatte im 19. Jahrhundert die Alkoholsucht unabhängig von allem bürgerlichem Moralismus virulent gemacht. Die Innere Mission entwickelte in der Folge eine eigene Trinkerfürsorge und suchte die Kooperation mit bereits bestehenden Vereinen.  Weiterlesen

Die Frauen halten letztlich den Laden zusammen: Neues zur Geschichte der Rheinischen Frauenhilfe

Mitgliedskarte der Frauenhilfe Rheydt mit Protrait der Kaiserin. (Archiv der Ev. Kirche im Rheinland, 801071_123)

Die 1899 in Berlin gegründete „Evangelische Frauenhülfe“ geht auf eine Initiative der Kaiserin Auguste Viktoria zurück. Bereits 1912 hatte sie reichsweit über 250.000 Mitglieder und bildete somit die größte evangelische Frauenorganisation.

Den Werdegang des rheinischen Zweigverbandes der Frauenhilfe hat nun Dr. Annett Büttner in einem Beitrag für das Portal Rheinische Geschichte anschaulich beschrieben. Einige der zahlreichen Abbildungen stammen auch aus dem Archiv der EKiR. Leider ist die Altregistratur der Rheinischen Frauenhilfe bei der Zerstörung ihres Vereinsheimes in Wuppertal-Barmen 1943 restlos vernichtet worden. Eine erstaunlich dichte Gegen- bzw. Ersatzüberlieferung bietet wiederum der Bestand Ohl, hier Nr. 2136-2150.

Ergänzend hinzuweisen ist noch auf weitere Facetten kirchlicher Frauenarbeit wie den gleichfalls im Kaiserreich entstandenen Deutschen Evangelischen Frauenbund (DEF). Dieser war gesellschaftspolitisch aufgeschlossener als die Frauenhilfe; exemplarisch erhalten ist das Archiv des DEF-Ortsverbandes Boppard von seiner Gründung an. Schließlich hat auch der rheinische Gustav-Adolf-Verein eine eigene Frauenarbeit geleistet.

Deutsche Auswandererseelsorge in Brasilien vor 1914

Pfarrersleute in Brasilien, in: 75 Jahre deutsch-evangelischer Diasporaarbeit in Nord- u. Südamerika – Eine deutsche evangelische Kirche im Urwalde Südbrasiliens, P.M. Dedekind, Elberfeld 1912

„Pfarrersleute in Brasilien“, so lautet der Titel dieser ca. 1912 entstandenen Aufnahme in der Festschrift der „Evangelischen Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Amerika“. Beim Blick auf das Pfarrerehepaar hoch zu Ross vermag man auch die praxisnahen „Ratschläge für die Ausrüstung“ (1,37 MB) nachzuvollziehen, die 1905 von der Gesellschaft für ausreisefreudige jüngere deutsche Theologen publiziert wurden. Dort wird den Pfarrfrauen unter anderem die Mitnahme eines Reitrocks, lang aus schwarzem, waschbaren Stoff, empfohlen. Dem Pfarrherrn wurde dringend nahegelegt: „1 guter Revolver mit Zentralfeuer und nötige Munition u. U. angenehm. Jagdflinte würde nur sehr seltenen Gebrauch finden. Praktisch ein längeres Jägermesser.“

Akten und Publikationen der 1837 ursprünglich in Langenberg gegründeten, später in Barmen beheimateten Gesellschaft befinden sich jetzt im Archiv der EKiR.

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Neues Online-Findbuch zur rheinischen Diakoniegeschichte 1849-1912

Wer sich mit diakonischer Arbeit im Rheinland vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigt, kommt an diesem Bestand nicht vorbei: Der Rheinische Provinzialausschuss für Innere Mission wurde 1849 gegründet und hatte seit 1852 seinen Sitz in Langenberg. Der Vorstand bestellte zur Durchführung der Arbeit sog. Agenten als Vereinsgeistliche. Diese Hilfsprediger wurden dann im Wesentlichen aus Spenden von Freunden der Inneren Mission besoldet.

In den 351 Verzeichnungseinheiten findet sich u. a. das erhaltene Schriftgut der Evangelischen Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Nordamerika. Zu den ältesten Beispielen von Missionsarbeit in speziellen Berufssegmenten zählt die Kellnermission. Zur Betreuung der wandernden Gesellen entwickelte sich ein dichtes Netzwerk an den sogenannten Herbergen zur Heimat. Sendboten des Provinzialausschusses wurden in den „Wilden Westen“ in den Saarbrücker Bergwerksdistrikt geschickt und verfassten Berichte über die haarsträubenden sozialen und hygienischen Bedingungen, unter denen die Bevölkerung in den ersten Jahrzehnten der Schwerindustrialisierung lebte. Berichte aus den rheinischen Heil- und Pflegeanstalten sowie zu kirchlichen Vereinen runden das breite Überlieferungsspektrum ab.

Bestände zur rheinischen Diakoniegeschichte zugänglich gemacht

Dr. Otto Ohl, Geschäftsführender Direktor des Rheinischen Provinzialausschusses für Innere Mission, 1957, Fotograf: Hans Lachmann, aus Bestand: AEKR 8SL 046 (Bildarchiv), 011_0084

Interessieren Sie sich z. B. für soziale Hilfsmaßnahmen während der Weltwirtschaftskrise, die Kinderlandverschickung im Zweiten Weltkrieg oder die Betreuung weiblicher Jugendlicher aus der SBZ nach 1945? Dann werden Sie fündig in der Registratur von Otto Ohl, der von 1912 bis 1963 als Geschäftsführer des Rheinischen Provinzialausschusses für Innere Mission in Langenberg amtierte.

Über den Schreibtisch dieses begnadeten Netzwerkers liefen für ein halbes Jahrhundert alle Korrespondenzen zu den Anstalten und Heimen der Inneren Mission im Rheinland ebenso wie die vielfältige Vereinsarbeit im sozialen und diakonischen Bereich. Das Findbuch zum „Bestand Ohl“ mit nicht weniger als 2347 Verzeichnungseinheiten ist nun online gestellt worden. Weiterlesen