Trinkerfürsorge und Suchthilfe im rheinischen Protestantismus

Alkoholfreies Restaurant u. Café des Frauenvereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke, Köln; aus Bestand: AEKR 5 WV 051 (Diakonisches Werk – Bestand Otto Ohl), 45.1.1

Nicht vegetarisch! Gleich viermal findet sich diese offenbar tröstlich gemeinte Empfehlung auf dem Werbezettel für ein alkoholfreies Restaurant in Köln aus dem Jahr 1912. Fehlender Trinkzwang und der Verzicht auf Trinkgelder mögen weitere sparsame Gemüter angesprochen haben. Betreiber des Etablissements war der Frauenverein gegen den Missbrauch geistiger Getränke.

Diese Werbung findet sich in den umfänglichen Aktenserien zur Süchtigenfürsorge aus der Amtszeit von Otto Ohl, von 1912 bis 1963 Geschäftsführer des Rheinischen Provinzialausschusses für Innere Mission (Az. 45). Der heitere Einstieg soll keineswegs den Ernst des Themas verhehlen. Der gestiegene Konsum von billigem Branntwein und anderen Spirituosen hatte im 19. Jahrhundert die Alkoholsucht unabhängig von allem bürgerlichem Moralismus virulent gemacht. Die Innere Mission entwickelte in der Folge eine eigene Trinkerfürsorge und suchte die Kooperation mit bereits bestehenden Vereinen. 

Der 1883 entstandene Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke (DVMG) war dabei der bedeutendste bürgerliche Mäßigkeitsverein im Kaiserreich. Zahlreicher waren die auf völlige Abstinenz zielenden Vereine wie das Blaue Kreuz oder die Guttempler: 1914 gab es 70 dieser Vereine mit ca. 400.000 Mitgliedern, die sich oft auf einzelne Berufs- und Interessengruppen bis hin zu den „abstinenten Schachspielern“ spezialisiert hatten.

Der „Deutsche Bund enthaltsamer Pfarrer“ hatte es hingegen im Rheinland nicht leicht. Von seinen reichsweit ca. 900 Mitgliedern gehörten nach Ausweis des Mitgliederverzeichnisses von 1917 gerade einmal 20 der Rheinischen Provinzialkirche an. Das Rheinland bildete denn auch im Verein die einzige deutsche Region ohne eigene Landesgruppe.

Suchtberatung

Aufnahmegespräch mit dem Hausvater Diakon Fritz Kuhn; Kurhaus Siloah der Diakonenanstalt Duisburg; Lintorf bei Düsseldorf, Fotograf: Hans Lachmann; aus Bestand: AEKR 8 SL 046 (Bildarchiv), 7_000702

Ältestes „Trinkerasyl“ der Inneren Mission im Rheinland war das Haus Siloah in Lintorf bei Düsseldorf. Benannt nach dem in Joh 1,1-7 zitierten Teich Siloah in Jerusalem wurden dort 1879 zunächst 20 Plätze für „Trunkfällige aus gebildeten Ständen“ eingerichtet. 1935 geschlossen, wurde es 1952 wieder eröffnet. Heute gehört Siloah als moderne Rehabilitationsklinik zum Theodor Fliedner Werk.

Ein Gedanke zu „Trinkerfürsorge und Suchthilfe im rheinischen Protestantismus

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