Kirchenglocken als Kriegswaffe

Der Handaktenbestand des landeskirchlichen Orgel- und Glockenamtes der EKiR, ehemals Provinzialkirchliches Orgel- und Glockenamt, wird derzeit neu erschlossen. Die Laufzeit beträgt schwerpunktmäßig die Jahre 1940-1970 und der Umfang des Bestandes bemisst sich auf vier Regalmeter.

Ein besonders historisch wertvoller Teil des Bestandes sind die Unterlagen zur Glockenbestandsaufnahme im Kriegsjahr 1940. Am 26. März d.J. wurde im Auftrage des Vierjahresplans das Rheinische Konsistorium aufgefordert alle kirchlichen Bronzeglocken anzumelden und abzuliefern. Um den Bestand an Bronzeglocken ermitteln zu können, verschickte das Provinzialkirchliche Orgel- und Glockenamt Fragebögen an alle evangelischen Kirchengemeinden der Rheinprovinz. Die Gemeinden waren angehalten im Eilverfahren einen Fragebogen für jede Glocke auszufüllen und diesen umgehend an das Glockenamt zurückschicken. Anhand dieser Informationen kategorisierte das Glockenamt jede Glocke in die Gruppen A-D und gab dem Provinzialkonservator der Rheinprovinz darüber Mitteilung. Gruppe A bedeutete sofortige Abnahme und Verhüttung. In Gruppe D eingeteilte Glocken stellten einen so großen unersetzlichen wissenschaftlichen, geschichtlichen oder künstlerischen Wert dar, sodass sie von der Abnahmepflicht befreit werden konnten. Auf einem Sonderbogen konnten die Gemeinden die wertvollen Einzelglocken benennen und ihren betreffenden Wert begründen. Viele der angefragten Kirchengemeinde waren sich im Besitz einer solchen Glocke sicher und erklärten ausführlich und teilweise mit beigelegten Gutachten den besonderen Wert der Glocken.

Um ein Beispiel zu nennen, sei hier die Ev. Kirchengemeinde Sobernheim aufgeführt. BK-Pfarrer Dr. Lukas Viëtor (1877-1968) schrieb einen ausführlichen Brief zur Ergänzung der Fragebögen am 15. Mai 1940 an das Provinzialkirchliche Orgel- und Glockenamt, dass im (Ersten) Weltkrieg bereits zwei Glocken abgeliefert und nicht ersetzt worden seien. Die zwei verbliebenen Glocken hätten einen besonderen historischen und musikalischen Wert und stünden unter Denkmalschutz. Anbei fügt er folgende Abbildung der Evangelischen Kirche Sobernheim.

Abbildung der Ev. Kirche Sobernheim aus Bestand: AEKR 6HA078 (Günter Eumann _Orgel- und Glockenamt), Nr. 11

Pfarrer Viëtor warb vor allem für die große Bronzeglocke (1952 kg) aus dem Jahre 1884, die „wegen ihres hohen musikalischen Wertes damals nicht abgeliefert“ werden musste. Die zweite noch vorhandene Glocke sei 550 kg schwer und ergebe „mit der herrlichen grossen Glocke ein erfreuliches Geläute.“ Die Glocken werden vom Orgel- und Glockenamt in die Gruppen A und B eingeteilt. Da jeder Gemeinde die kleinste Glocke als Läuteglocke belassen werden durfte, ist die kleinere Bronzeglocke aus dem Jahre 1743 im Turm verblieben und die größere Glocke musste abgeliefert werden.

Ausgefüllter Fragebogen zu den Kirchenglocken in Sobernheim aus Bestand AEKR 6HA078 (Günter Eumann – Orgel- und Glockenamt), Nr. 11
Ausgefüllter Fragebogen zu den Kirchenglocken in Sobernheim, 04.04.1940 aus Bestand AEKR 6HA078 (Günter Eumann – Orgel- und Glockenamt), Nr. 11

Laut eines Berichtes des Kirchenmusikdirektors Hans Hulverscheidt, Evgl.-kirchl. Orgel- und Glockenamt, vom 31.12.1947 wurden im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland in den Jahren 1941-1943 insgesamt 915 Bronzeglocken abgeliefert, davon 745 der Gruppe A, 55 der Gruppe B, 106 der Gruppe C und 9 der Gruppe D.

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