Neue Digitalisate zum Bestand Stiftung Bethesda – St. Martin: Kriegstagebuch aus Boppard

Aufzeichnungen der Mitarbeiterin der Stiftung Bethesda, Else Plathner (1893-1980) über die letzten Kriegstage und der Beginn der amerikanischen Besetzung vom 10.3.-7.4.1945; AEKR Bestand 5WV 025B, Nr. 138.

Gerade einmal 16cm x 22,7cm misst das kleine Heftchen, welches als Kriegstagebuch unter der Nummer 138 im Bestand Stiftung Bethesda – St. Martin (5WV 025B) in Boppard verwahrt wird. Es enthält knapp 28 eingeheftete Blätter, ist maschinenschriftlich abgefasst und umspannt den kurzen Zeitraum vom 10. März bis zum 7. April 1945. Das mag nun auf den ersten Blick nicht besonders umfangreich erscheinen, so ist es doch besonders inhaltsschwer.

Samstag, den 10.3.45: Sehr unruhiger Tag mit starken Überflügen und fernen Artillerieschiessen. Es hiess, die Amerikaner seien über die Mosel gesetzt und ständen auf dem Hunsrück und in Koblenz“.

Sonntag, den 11. März 45: Sehr unruhiger Tag mit starken Überflügen. Abends gegen 18 Uhr erscheint ein Dr. Schepukat zu einer Vorbesprechung und stellt in Aussicht, dass man am nächsten Tage St. Martin als Kriegslazarett beschlagnahmen würde, da kein geeignetes Haus in Boppard zu finden wäre. Als wir im klarmachten, dass doch hier im Hause ca 140 Mädchen seien, die vom Staat hier untergebracht wären, hatte er nur ein verächtliches Lächeln und meinte, solch minderwertige Elemente hätte kein Recht mehr auf ein warmes Zimmer und ein Bett, die gehörten kaserniert, im wäre es gleich, wo sie blieben, er hätte nur für seine Soldaten zu sorgen (…)“.

Mit diesen Zeilen beginnt das Kriegstagebuch. Niedergeschrieben wurden sie von Else Plathner (1893-1980). Sie ist vom 1. April 1941 bis zum 14. Dezember 1959 Mitarbeiterin der Stiftung Bethesda gewesen, welche auf ein Magdalenenaysl für „gefallene Mädchen“ von 1855 zurückgeht. War die Arbeit mit den problematischen und auffälligen Mädchen in Friedenszeiten an sich schwer genug, wurde sie durch den Krieg weiter verschärft. Es mangelte an Lebens- und Gebrauchsgütern, der Alltag wurde durch Kampfhandlungen in und um Boppard erschwert, die Stadt durch Phosphorgranaten in Brand gesetzt und durch Bombeneinschläge beschädigt, flüchtende Familien baten um Unterschlupf, deutsche sowie später amerikanische Truppen verlangten Verpflegung und Unterbringung.

Nacht vom 20. zum 21. März 45: Sehr starker Beschuss aufs rechtsrheinische Ufer. – Wieder Einquartierung von 10. Amerikanern im Schweizerhaus, die von dort aus in der Nacht aufs andere Ufer feuern. Sie haben den Medizinschrank erbrochen und von unserem Abendmahlswein und Sekt geklaut“.

Doch als wären die Kriegswirren nicht genug, hatten es die Mitarbeiterinnen der Stiftung darüber hinaus mit renitenten Mädchen zu tun, die Fluchtversuche aus dem Heim unternahmen. Meistens gelang es diese wieder zur Rückkehr zu bewegen, einige kehrten irgendwann freiwillig zurück, andere blieben fort.

Donnerstag, den 29 März 45 (…) Nachmittags entweichen von St. Martin Christel Sch. und Ruth F. mit ihren gesamten Sachen. Sie werden von Herrn L. noch auf dem Wege nach Salzig mit amerikanischen Soldaten gesehen“.

Mit ihrer Niederschrift zeichnet Else Plathner bildlich und einprägsam die letzten Kriegswochen in Boppard nach. Der Alltag ist gekennzeichnet durch große Not und zahlreiche Strapazen. Dennoch erhält sich Else Plathner den Blick für erfreuliche und hoffnungsvolle Momente, etwa wenn sie vom Frühlingsbeginn, Geburtstagsfesten und Gottesdienstfeiern schreibt. Das Tagebuch hält ganz individuelle Beobachtungen der verschiedenartigsten Aspekte des Lebens im Krieg fest und macht es damit zu einem wertvollen Ego-Dokument.

Das Tagebuch wurde digitalisiert und kann online auf unserer Homepage im Original gelesen werden. Weitere Quellen zur Arbeit und Leben in der Stiftung sollen digital bereit gestellt werden.

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