„Männlich gestorben“: Evangelische Militärseelsorge am Standort Aachen 1939-1944

Im Zweiten Weltkrieg bestand neben der hauptamtlichen Wehrmachtsseelsorge beider Konfessionen ein Netzwerk nebenamtlich tätiger Geistlicher. Für Aachen haben sich die Handakten der beiden dort eingesetzten evangelischen Standortpfarrer erhalten. Sie illustrieren die bis Kriegsende blühende Bürokratie im NS-System und enthalten erschütternde Dokumente zum Umgang mit den Opfern der Militärjustiz.  

Reichsbischof Ludwig Müller in Aachen: v.l.n.r.: Zehn – Bruch – Müller – Staudte – Grünagel. ca. 1933/1934

Zunächst nahm der Aachener Superintendent Paul Staudte (1881-1971) die Militärseelsorge wahr. Politisch stand er dem NS-Staat loyal gegenüber, kirchlich distanzierte er sich teilweise von den Deutschen Christen und versuchte einen neutralen Kurs zu fahren. Das Foto zeigt ihn nichtsdestoweniger in inniger Gesellschaft mit dem DC-Reichsbischof Ludwig Müller und dem Aachener DC-Pfarrer Dr. Friedrich Grünagel. Zu Staudtes Amtspflichten am Standort gehörte regelmäßig die seelsorgerliche Begleitung von Soldaten, die wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt wurden und nicht zuletzt die persönliche Teilnahme an deren Hinrichtung.

Der Ablauf der Hinrichtungen war bis ins letzte Detail geplant.

Vollstreckungsurteil wg. Fahnenflucht, 30.04.1942. Aus Bestand: AEKR, 4KG 004 (Aachen), Nr. 134

Staudte korrespondierte im Anschluss mit den Hinterbliebenen und suchte sie mit recht konventioneller Pfarrerrhetorik zu trösten. Sein eigentlicher Fokus bei dieser Form der Seelsorge wird aber aus seinem am 7.2.1943 eingereichten Quartalsbericht deutlich:

„Die Seelsorge an diesen Armen wird dankbar entgegengenommen und ich habe es jedes Mal erreichen können, dass die Delinquenten männlich gestorben sind.“

Staudte bat aus Altersgründen im Frühjahr 1944 um seine Entbindung von der Standortseelsorge. Als Nachfolger wünschte er sich seinen jüngeren Aachener Amtskollegen Wilhelm Eichholz (1898-1973, nach 1945 Superintendent des Kirchenkreises Aachen). Zunächst Mitglied der Deutschen Christen und der NSDAP, war er 1936 zur Bekennenden Kirche gewechselt. Im Krieg geriet Eichholz in das Fadenkreuz der Gestapo und befand sich vom 11. Dezember 1941 an für fast drei Monate in Polizeihaft. Seine Entlassung erfolgt ohne Auflagen.

Superintendent Wilhelm Eichholz

Nachdem die fortbestehenden Einwände der Gestapo gegen seine Berufung ausgeräumt waren, richtete Eichholz am 5. Juli 1944 einen Antrag auf Gestellung eines Dienst-Fahrrades an das zuständige Wehrkreisamt.

Antrag Dienst-Fahrrad zur Ausübung der Wehrmachtseelsorge, 05.07.1944. Aus Bestand: AEKR, 4KG 004 (Aachen), Nr. 134

Dort befürwortete man den Antrag erstaunlich schnell am 11. Juli und informierte Eichholz, dass sein Gesuch „nunmehr der Wehrmachtkommandantur Aachen vorgelegt [werde], die es dann an das Generalkommando weiterzuleiten [habe].“ Ob Eichholz das Fahrrad noch erhalten hat, darf bezweifelt werden: Die erhaltenen Akten brechen im August 1944 ab und bereits Anfang Oktober 1944 begann die Eroberung Aachens durch amerikanische Truppen.  

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