Frauenkalender gab es schon vor 115 Jahren

Frauenkalender, 1906, Archivbibl. Sig. ZK 1245

Hätten Sie gedacht, dass es schon vor 115 Jahren Kalender im Taschenbuchformat mit dem Titel „Frauenkalender“ gab? Das verbindet man doch eher mit der Emanzipationsbewegung der 1970er Jahre. Vor mir liegt der „Frauenkalender für 1906, herausgegeben vom Deutsch-Evangelischen Frauenbunde“, der im Verlag von Edwin Runge in Gr. Lichterfelde-Berlin seit 1904 erschienen ist.

Der Deutsch-Evangelische Frauenbund war 1899 gegründet worden, „die größtenteils aus bürgerlichem Milieu stammenden Mitglieder setzten sich für den gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Beruf für Mädchen und Frauen ein“ (Wikipedia).

Was hat nun dieser Kalender seinen Leserinnen geboten? Ganz modern, ist dem Titelblatt ein Werbeblatt vorgeschaltet, mit ganzseitiger Reklame für „Palmin – feinste Pflanzenbutter“ und „Leonhardi’s Tinten“. Nach den obligatorischen Monats-Kalenderseiten folgen so praktische Angaben wie Maße und Gewichte und Post- und Telegraphen-Gebühren.

Frauenkalender, 1906

Nach einer Neujahrsgeschichte wird es dann aber ernst, wenn Magda von Hindersin fragt: „Brauchen wir eine Frauenbewegung?“ und die Frage am Schluss ihres ausführlichen Referats mit „Ja“ beantwortet. Der praktischen Betrachtung „Sitzgelegenheit für die Angestellten in offenen Verkaufsstellen“ folgen ein Lebensbild von Amalie Sieveking, die Forderung „Weibliche Fabrikinspektion“ und ein Bericht über die Veranstaltung von Kursen zur „Einführung der Frau in ihre Aufgaben im Volksleben“ (von Agnes von Reden).

Die folgenden fast 60 Seiten informieren über Berufe und Ausbildungsanstalten für gebildete Frauen in acht Berufssparten von „Sozialer Arbeit und Innerer Mission“ bis zu „Kunst und Kunstgewerbe“. Im Rheinland boten sich z. B. das Seminar für Ausbildung von Erzieherinnen in der Fürsorgearbeit im Ev. Fürsorgeheim für Mädchen, Gummersbach, unter der Leitung von Pastor Rühle, oder für den Pflegeberuf der Evangelische Hilfsverein für Privatpflege in Koblenz, Pfarrer Seeger, an. Unter den wissenschaftlichen Berufen ist die Bibliothekarin aufgeführt (kein Studium, sondern Ausbildung), aber nicht die Archivarin. Als gewerblich-technische Ausbildung bot sich im Rheinland die „Preußische Höhere Fachschule für Textil-Industrie in Crefeld“ an.

Frauenkalender, 1906

Über die Struktur der Ortsgruppen des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes informiert die „Arbeitstabelle der Ortsgruppen“ mit vier Kommissionen (Ausbildung, Liebes- und Hilfstätigkeit, Sittlich- und Mäßigkeit, Rechtsausschuss). Es folgt auf den nächsten 80 Seiten das Mitgliederverzeichnis des Frauenbundes. Dieser bot auch eine „Stellenvermittelung für gebildete Frauen und Mädchen“ mit örtlichen „Vertrauensdamen“, z. B. in Aachen Frau Lünenschloß, in Bonn Frau Pastor Lammers, in Cleve Frau Oberlehrer Cron, in Coblenz Frau Oberlehrer Wölbing, in Elberfeld Frau Pastor Graeber, in St. Goar Frau Superintendent Rehmann, in Neuwied Frl. L. Gauke, in Wetzlar Frau O. Kellner. Unter „Allerlei“ finden sich Tipps gegen kalte Füße u. a., und der Kalender endet mit ca 30 Werbeseiten.

In unserer Archivstelle Boppard verwahren wir das Archiv des Ortsverbandes Boppard des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes (Bestand 5WV 024) mit Dokumenten seit der Gründung 1904. Hinweisen möchte ich auf den Aufsatz von Sigrid Lekebusch: Die Evangelische Frauenhilfe im Rheinland und der Deutsch-Evangelische Frauenbund. Ein Vergleich von Aufbau, Zielvorstellung und Frauenbild in der Weimarer Republik, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 50 (2001), S. 141-174.

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