Warum sind die rheinischen Superintendenten geborene Mitglieder der Landessynode?

Wenn vom 12. bis 16. Januar 2020 die 73. Rheinische Landessynode tagt, dann wird möglicherweise auch ein Thema zur Sprache kommen, das schon ein Jahr zuvor im Zusammenhang mit Überlegungen zur Verkleinerung der Landessynode die Gemüter bewegt hatte – die Frage nämlich, ob es gerechtfertigt ist, dass alle rheinischen Superintendenten qua Amt automatisch Mitglieder der Landessynode sind. Eine von der Kirchenleitung eingesetzte Arbeitsgruppe konnte keine theologische Begründung für diese Regelung finden und sah ihre Ursprünge „in der preußischen konsistorialen Verwaltung“. Doch ist dies tatsächlich so? Es ist reizvoll, dieser Thematik anhand der Protokolle der Rheinischen Provinzialsynoden des 19. Jahrhunderts nachzugehen.

Deckblatt und erste Seite des Protokolls der Provinzialsynode der Provinz Großherzogtum Niederrhein vom 20. bis 26. April 1819. Da im Kirchenkreis Saarbrücken damals drei Superintendenten amtierten und im Kirchenkreis Kreuznach zwei, wurden aus diesen Kirchenkreisen keine weiteren Pfarrer zur Synode zuzgezogen. Die Kirchenkreise Trarbach, Sobernheim, Wied, Koblenz, Aachen, Altenkirchen, Braunfels, Wetzlar und Simmern waren mit dem Superintendenten und je einem weiteren Pfarrer vertreten. (AEKR Boppard, Bestand Kirchenkreis Koblenz, Reg.-Nr. 06-1-2)

1817 hatte der preußische König in allen Provinzen die Einberufung von Provinzialsynoden angeordnet. Auch in den damals noch zwei rheinischen Provinzen Jülich-Kleve-Berg und Großherzogtum Niederrhein traten daraufhin im November 1818 bzw. im April 1819 Provinzialsynoden zusammen, die freilich nur aus den vom König ernannten Superintendenten und einer weiteren Anzahl von Pfarrern, nicht jedoch aus Laienvertretern bestanden. Diese Zusammensetzung entsprach allerdings in keiner Weise der presbyterial-synodalen Tradition von Rheinland und Westfalen, in der das Prinzip der gemeinschaftlichen Beratungen von Theologen und Nichttheologen sowie das Wahlprinzip einen hohen Stellenwert hatten.

Nach zähem Ringen kam schließlich 1835 die Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung (RWKO) zustande, die einen Kompromiss zwischen rheinischer presbyterial-synodaler Tradition und preußischem konsistorial-obrigkeitlichen Ordnungsdenken darstellte. Das schlug sich auch in der Zusammensetzung der Provinzialsynode nieder. Die RWKO legte nämlich fest, dass sie aus den von den Kreissynoden gewählten Superintendenten als geborenen Mitgliedern und zusätzlich aus einem Pfarrer und einem Presbyter jeder Kreissynode bestehen solle. Im Unterschied zu den staatlichen Forderungen von 1817 war hier also eine Beteiligung von Nichttheologen an der Provinzialsynode festgeschrieben, aber eben nicht paritätisch, sondern 2/3 zu 1/3 – aus jeder Kreissynode wurde der Superintendent, ein weiterer Pfarrer und ein Presbyter zur Provinzialsynode entsandt.

§ 45 der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung von 1835 bestimmte, dass jeder Kirchenkreis den Superintendenten, einen weiteren Pfarrer und einen Presbyter in die Provinzialsynode entsendet.

Die Bestimmung der RWKO zur Zusammensetzung der Provinzialsynode ist differenziert zu bewerten. Einerseits ist sie wohl eine Nachwehe der staatlichen Bestimmungen von 1817, die das Theologenelement auf den Synoden eindeutig bevorzugten – insofern stammte die geborene Mitgliedschaft der Superintendenten in der Provinzialsynode in ihrem Ursprung tatsächlich aus der preußisch-konsistorialen Tradition. Andererseits ist aber zu bedenken, dass das rheinisch-westfälische Superintendentenamt seit 1835 seine Legitimation aus der Wahl durch die Kreissynode bezog und deshalb in der Wahrnehmung der Zeitgenossen auf den Provinzialsynoden durchaus ein Element „von unten“ darstellte – die Superintendenten wurden immer auch als Vertreter ihrer Kirchenkreise empfunden und nicht, wie ihre vom König ernannten Kollegen in den östlichen Provinzen, als kirchliche Obrigkeit.

Das wurde besonders deutlich, als in den 1870er Jahren wieder Bewegung in die Diskussion über die Zusammensetzung der Provinzialsynode kam. Als 1873 – vor dem Hintergrund einer liberalen Verwaltungsgesetzgebung in Preußen – auch die östlichen Provinzen der Monarchie (Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen) eine Kirchengemeinde- und Synodalordnung bekamen, schrieb diese in § 59 Abs. 1 den Grundsatz der Parität von geistlichen und weltlichen Mitgliedern der Provinzialsynoden fest. So gesehen ging diese Ordnung weiter als die RWKO, die ja 1835 einen Zweidrittel-Eindrittel-Schlüssel bestimmt hatte. Die neue Ordnung in den östlichen Provinzialkirchen war nun für Rheinland und Westfalen der Anlass, auch in den Westprovinzen das Thema Parität wieder auf die Agenda zu setzen.

In der jetzt beginnenden Diskussion ging es unter anderem darum, ob es sinnvoll sei, die Parität durch eine Vergrößerung der Provinzialsynoden, d.h. durch eine Aufstockung mit mehr weltlichen Mitgliedern, oder durch eine Verkleinerung, also durch eine Verringerung der Zahl der Geistlichen, zu erreichen. Von den Gegnern einer Vergrößerung der Synoden wurde u.a. ins Feld geführt, dass eine Vergrößerung negative Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit der Synode habe und sie außerdem eine größere finanzielle Belastung der Gemeinden mit Blick auf die Reisekosten mit sich bringen würde. Die Alternative wäre eine Verkleinerung der Provinzialsynoden gewesen – etwa nach dem Vorbild der Kirchengemeinde- und Synodalordnung für die östlichen Provinzen von 1873, in der festgelegt worden war, dass die Provinzialsynoden sich aus „von den Kreissynoden oder Synodalverbänden der Provinz zu wählenden Abgeordneten, geistlichen und weltlichen in gleicher Zahl“ zusammensetze, und in der somit die Superintendenten keine geborene Mitglieder waren. Das war aber im Rheinland nicht mehrheitsfähig, und zwar mit dem expliziten Argument, dass die Superintendenten als geborene Mitglieder im Hinblick auf die Arbeitseffizienz der Synode ein Element der Kontinuität darstellten, zumal sie nicht, wie die östlichen Superintendenten, von oben ernannt, sondern von den Kreissynoden gewählt würden und damit ein wesentliches Element der presbyterial-synodalen Ordnung darstellten.

Auszug aus dem Protokoll der Rheinischen Provinzialsynode von 1877 mit der Diskussion über die Vergrößerung der Mitgliederzahl. In der Mitte der rechten Seite ist das Argument zu lesen, dass die Superintendenten als gewählte Vertrauensleute der Kreissynoden ihre Funktion als geborene Mitglieder der Provinzialsynode behalten sollten.

Die Diskussion zog sich über mehrere Jahrzehnte hin und wurde letztlich erst im Jahr 1908 beendet – und zwar im Sinne einer Vergrößerung der Provinzialsynode. Im Zuge einer grundlegenden Revision der RWKO legte man fest, dass fortan jeder Kirchenkreis den Superintendenten, einen weiteren Pfarrer und zwei Presbyter zur Provinzialsynode entsendet. Diese Regelung griff erstmals bei der 29. Provinzialsynode im September 1908.

Die Ursprünge der geborenen Mitgliedschaft der rheinischen Superintendenten in der Provinzial- und heutigen Landessynode liegen also nur zu einem Teil in der preußischen konsistorialen Verwaltung. Seit Inkrafttreten der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung von 1835 war vielmehr ihre in der presbyterial-synodalen Ordnung begründete Funktion als von den Kreissynoden gewählte Vertrauensleute, die durch ihre oft langjährige Mitgliedschaft in der Provinzialsynode ein wertvolles Element der Kontinuität darstellten, das weitaus wichtigere Argument, um an ihrer geborenen Mitgliedschaft im Leitungsgremium der Rheinischen Kirche festzuhalten.

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