Manchmal reichen auch einfache Bordmittel

In den letzten Jahren ließ sich im Archivwesen ein rasanter Wandel der Arbeitswelt feststellen und Archivarinnen und Archivare kommen zunehmend an ihre Grenzen. Denn die digitalisierte Welt stellt uns vor immer größere Herausforderungen, was vor allem technische Aspekte betrifft, die bei keinem von uns Teil des Studiums waren. Gerade kleine Archive mit nur wenigen Mitarbeitenden stehen daher vor einer Flut von Aufgaben, die zu den klassischen Archivaufgaben hinzu kommen. Einige dieser Aufgaben lassen sich an Dienstleister abgeben (z.B. Massendigitalisierung von Beständen), einiges lässt sich aber dennoch auch mit Bordmitteln lösen. Grundvoraussetzung ist dafür natürlich auch immer ein gewisses Grundverständnis für vor allem technische Dinge und die Bereitschaft, sich in neue Themengebiete einzuarbeiten. Zumeist ist das gelingen von Projekten mit Eigenmitteln auch immer ein Produkt aus Teamwork. So konnten wir in den letzten Jahren unsere Homepage und unseren Blog selbständig pflegen, ein System zur Digitalisierung unseres Bildarchivs entwickeln und umsetzen. Weiterhin haben wir damit begonnen, bedeutende bzw. oft angefragte Bestände zu digitalisieren mit dem Zwecke, diese der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Screenshot Homepage AEKR
Screenshot Blog AEKR

Ein weiteres Praxisbeispiel stellte mich erst kürzlich wieder vor eine Herausforderung. In meinem Bestand, den ich zurzeit verzeichne, befanden sich Audiokasetten. Um die Inhalte der Kassetten erschließen zu können, bestellte ich im Internet ein Gerät zum Abspielen, welches gleichzeitig auch eine Digitalisierungsfunktion hat. Nach kurzen Einlesen in die Bedienungsanleitung, gelang es, die Kassetten abzuspielen (diese sind schon über 20 Jahre alt) und diese anschließend in MP3-Dateien umzuwandeln. Somit konnten wir unser Repertoire an digitalen Dateien um Audiodigitalisate erweitern.
Worauf ich aber eigentlich hinaus will: Mir haben die letzten Jahre Berufserfahrung gezeigt, dass man in kleinen Archiven Generalist ist und sich stetig über seine Kernaufgaben hinaus weiter entwickelt und das finde ich schön. Denn man darf als Archiv auch einmal stolz darauf sein, was man ohne die Hilfe seiner IT, Dienstleister oder Fördermittel aus eigenen Ressourcen leisten kann.

„…davon seynd die acta meine Zeugen…“: Dokumente zum Baumholderer Kirchenbau

Den größten und wichtigsten zusammenhängenden Bestand des kürzlich neu verzeichneten Archivs der Evangelischen Kirchengemeinde Baumholder bilden die Akten zum Baumholderer Kirchenbau. Anhand von umfangreichen Konvoluten aus dem Zeitraum von 1666 bis 1782 mit Schriftverkehr u.a. zwischen der fürstlichen Regierung, dem Oberamt Lichtenberg, der Geistlichen Güterverwaltung, der Rentkammer, der Kirchengemeinde Baumholder, Zehnt- und Lehnsherren sowie dem Kirchenschaffner lassen sich Vorgeschichte, Rechtsgrundlagen, Finanzierung, Grundsteinlegung und Einweihung der Kirche minutiös nachverfolgen. Bittschriften, Stellungnahmen, Prüfungen oder Besichtigungsprotokolle zeigen, wie die Notwendigkeit einer großen Reparatur oder eines Neubaus über viele Jahre immer dringender wurde. Alle Entscheidungsprozesse vom Abriss der alten Kirche bis zur Fertigstellung des neuen Gotteshauses werden lückenlos dokumentiert, ebenso daraus resultierende Rechtsstreitigkeiten. Sahnehäubchen der Überlieferung ist ein separates Findbuch zu diesen Akten mit ausführlicher Einzelblattverzeichnung (s.u.).

Ebenfalls sehr gut – auch fotografisch – dokumentiert ist die mehrfache Umgestaltung des Innenraums der Kirche im vergangenen Jahrhundert. Die älteste Innenaufnahme zeigt die Kirche entsprechend dem Grundriss von 1748, noch ohne die spätere rundlaufende Empore und mit der 1879 eingebauten Stumm-Orgel im Originalzustand. Das Dach der Kirche war ursprünglich zum Getreidespeicher ausgebaut worden, dessen Last mächtige Säulen im Innenraum trugen. Bei der Einweihung der Kirche 1750 wurde denn auch bemängelt, „daß der Baumholderer Kirchbau mehr zu räumlichen Fruchtspeichern als zu einer Kirche eingerichtet worden, in dem nicht allein […] diese mit 10 hölzernen Pfosten, aller Gewohnheit und dem Endzweck der Kirche zuwider, versperrt und verstellt, sondern auch das Gespärre zu drei übereinander liegenden Speichern eingerichtet wurde, sodaß man von mehr als der Hälfte der Plätze aus den Pfarrer nur hören, aber nicht sehen kann.“

Weiterlesen

Schulanfänger-Gottesdienst 1975

Die Sommerferien sind zu Ende. Heute beginnt in NRW das neue Schuljahr. Für die i-Dötzchen ist heute ein ganz besonderer Tag. Der erste Schultag wird mit Einführungsveranstaltungen der Schulen, der Übergabe der Schultüten durch die Eltern an ihre Kinder und dem Schulanfänger-Gottesdienst gefeiert. Aus diesem Anlass soll hier ein Einblick auf einen Liturgieentwurf eines Schulanfänger-Gottesdienstes vom 2. September 1975 von Pastorin Ruth Brücher (1928-2019) in der Evangelischen Kirchengemeinde Derschlag gegeben werden.

Zwei Mädchen gehen zum Schulanfängergottesdienst, Fotograf: Hans Lachmann, Datum: ca. 1979, Ort: Düsseldorf-Urdenbach, Signatur: AEKR 8SL046, BRD_1979_1175, Schachtel BRD 29
Schulanfängerin mit Schultüte, Fotograf: Hans Lachmann, Datum: ca. 1976, Signatur: AEKR 8SL046 (Bildarchiv), BRD_1976_1121 Schachtel BRD 28
Ruth Brücher (1928-2019) Pastorin in Derschlag, Kirchenkreis An der Agger, Datum: ca. 1963
aus 1 OB 023M, Bd. 2 – Nr. 67
Signatur: AEKR 8SL 046 (Bildarchiv), 012B_0273 

Mit Ihrer Ordination am 28.9.1975 wurde Ruth Brücher die erste Frau im Pfarramt im Kirchenkreis An der Agger und prägte zeitlebens das Gemeindeleben in Derschlag. Ihr Weg in den Kirchendienst begann 1953 in der Gemeinde Derschlag. Am 1. Januar 1953 wurde Frau Ruth Brücher mit der Verwaltung des Pfarrbüros betraut. Sie leistete neben ihrer Verwaltungstätigkeit auch Kindergottesdienst-, Jungschar-, Mädchen- und Berufstätigen-Arbeit in der Gemeinde. Nach einer Schulung im Predigerseminar Essen und zwei bestandenen Prüfungen als Gemeindehelferin schloss sie 1975 eine Ausbildung zur Gemeindemissionarin ab. Die Kirchengemeinde Derschlag betraute sie mit der Verwaltung der neu eingerichteten zweiten Pfarrstelle, die sie bis 1988 innehatte. Neben dem Pfarramt setzte sie sich in den 1980er Jahren für die Gründung eines Weltladens für fairen Handel ein, eine ökumenische Fraueninitiative, deren Ehrenvorsitzende sie bis zu ihrem Tod blieb.

In der folgenden Predigt von Pastorin Brücher zum Schulanfang 1975, die auch heute genauso gehalten werden könnte, appelliert Sie dazu, die Mitmenschlichkeit dem Leistungsprinzip vorzuziehen.

Weiterlesen

Die zeitlose Kreativität der Versicherungsbranche – Ein Beispiel aus dem Jahr 1921

Otto Ohl (1886-1973) amtierte über ein halbes Jahrhundert als Vereinsgeistlicher beim Rheinischen Provinzialausschuss der Inneren Mission in Langenberg. Wir würden heute eher von einem Geschäftsführenden Direktor sprechen. Ohl verkörperte früh den Typus des Multifunktionärs, der in unzähligen Gremien sitzt und den überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit auf Dienstreisen verbringt.

Dr. Otto Ohl, Geschäftsführender Direktor des Rheinischen Provinzialausschusses für Innere Mission, 1957, Fotograf: Hans Lachmann, aus Bestand: AEKR 8SL 046 (Bildarchiv), 011_0084

In seiner Funktion hatte er sich auch mit zahlreiche Versicherungsangeboten für die Einrichtungen der Inneren Mission und deren Mitarbeitende zu beschäftigen. Neben den Standardprodukten der Branche begegnet hier auch die „Begräbnisgeld-Versicherungsanstalt für den deutschen Beamtenstand“. Eher makaber mutet eine im August 1914 angebotene „Kriegsversicherung für Kriegsteilnehmer“ an, deren Auszahlungsquote an die (vergleichsweise geringe) Gefallenenrate des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 indexiert war.

Für sich selbst schloss Ohl 1921 bei der Kölnischen Unfallversicherung eine „Lebenslängliche Eisenbahn- und Dampfschiff-Unglücksversicherung“ ab.

Anrtragsformular der Kölnische Unfall – Versicherungs AG auf eine lebenslängliche Eisenbahn-, Dampfschiff- Unglücks-Versicherung. Aus Bestand: AEKR 5WV 051, Nr. 997

Die Police beschreibt detailliert die versicherten Verkehrsmittel. Hierzu zählten alle nur denkbaren Bahnsysteme weltweit, was für Ohl Priorität hatte. Personenschäden im Schiffsverkehr waren hingegen en detail bis hin zur Angabe von Breitengraden geografisch eingegrenzt. Explizit mitversichert waren die bereits damals beliebten Seereisen nach den Kanarischen Inseln, Azoren und Madeira.

Anrtragsformular der Kölnische Unfall – Versicherungs AG auf eine lebenslängliche Eisenbahn-, Dampfschiff- Unglücks-Versicherung. Aus Bestand: AEKR 5WV 051, Nr. 997

Ergänzung der Protokolle der Saarbrückener Kreissynode

Seit Mai 2022 sind die Protokolle aller verfügbaren Kreissynoden der Jahre 1850 bis 1933 auf der Homepage des Archivs online einsehbar. Der Kirchenkreis Saarbrücken wies dabei leider einige Lücken auf. Diese können zwar nicht ganz gefüllt werden, doch können nun erfreulicherweise die Protokolle der Jahre 1918, 1925 und 1926 ebenfalls auf der Website als Digitalisate zur Einsicht nachgereicht werden.

Protokoll der Kreissynode Saarbrücken 1918

Die Protokolle der Kreissynoden sind nicht nur ein wichtiger Quellensatz für die Kirchenkreisgeschichtsforschung, sondern auch ein Spiegel für politische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse, Umbrüche und Entwicklungen. Gerade die ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts sind besonders ereignisreiche: Kriegseuphorie, Kriegsermüdung und Niederlage, Hungersnot, Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches, Weimarer Republik, Rheinbesetzung, Inflation, etc. All diese Problemlagen finden Eingang in die Protokolle, die wiederum Einblick in Alltag und Mentalität der Menschen gewähren.

Die Kreissynode des Jahres 1918 etwa, welche vor mehr als 100 Jahren am 6. August in Saarbrücken tagte, steht noch ganz im Zeichen des Ersten Weltkrieges.

„Aber diese Augusttage bedeuten auch den Eintritt in das 5. Kriegsjahr. Das fordert uns auf zum Rückblick und zum Ausblick. 4 Jahre unsäglicher Kämpfe, 4 Jahre der Not des Leidens, 4 Jahre gnädige Gotteshilfe liegen hinter uns. Je länger es dauert, um so schwerer wird die Last, die auf unserem Volke liegt. (…) Und war es allem zum Trotz bisher möglich die Besinnung unseres Volkes hochzuhalten, so hat die evang. Kirche ihr redlich Teil dazu auch im vergangenen Jahr beigetragen. Freilich das ist uns nicht möglich gewesen, den Wuchergeist zu dämpfen und die mancherlei Umtriebe und Unehrlichkeiten, die mit dem Hamstern zusammenhängen, zu hindern – und daß die Vergnügungssucht und die Ausschweifung trotz all unserer Gegenwirkung nicht weniger, sondern mehr geworden, ist tief zu beklagen. Diese Klage geht durch Stadt und Land“ (S.2f).

Weiterlesen