Martin Luther als modischer Trendsetter? Die Einführung des schwarzen Talars

Bei seiner Entscheidung, 1811 einen schwarzen Talar als Amtstracht der protestantischen Geistlichen einzuführen, ließ sich der preußische König Friedrich Wilhelm III. dem Vernehmen nach von Martin Luther inspirieren, der auf der Kanzel (nicht jedoch am Altar, was der Monarch aber geflissentlich ignorierte oder auch einfach übersah) das zeittypische dunkle Gelehrtengewand trug, wie auf zahlreichen Luther-Bildern dargestellt. Der Reformator in typischer Pose stand daher auch Modell für einen Kupferstich, den die Regierungskanzlei an alle protestantischen Geistlichen des Königreichs versandte, um ihnen zu visualisieren, wie genau ihre neue Amtsbekleidung auszusehen habe.

Amtskleidung für die protestantische Geistlichkeit der preußischen Länder, 1811; aus Bestand: AEKR Boppard 4KG 128B Kirchberg, Nr. A 54

Mit der Absicht, „die Würde des protestantischen Gottesdienstes auch durch eine angemessene, vom Gebrauch des gemeinen Lebens abgesonderte, weder der oft auffallenden Willkühr Einzelner, noch dem Wechsel der Mode unterworfene Kleidung der Geistlichen zu befördern“ hatte der König folgende Kleiderordnung erlassen:

  1. Ueber die schwarze Bekleidung wird eine Robe von Ratine oder anderem leichten wollenen Zeuge getragen.
  2. Der weiße Halskragen unter dem Kinn bleibt unverändert, der bisherige Prediger-Mantel aber fällt weg. In dem Tragen des Haares ist auf eine schickliche Gleichförmigkeit zu sehen, und wird ungepudertes verschnittenes Haar hinten kurz, vorn bis an die Stirn ins Gesicht gekämmt, am angemessensten gefunden. Geistliche aber, welche über 55 Jahr alt, und an Perrucken gewohnt sind, mögen sie beibehalten.
  3. Statt des Huths soll […] eine Kopfbedeckung in angemessener Form von schwarzem Dammet oder Manchester dienen.

Der Talar, den die Geistlichen aus eigenen Mitteln anschaffen mussten, sollte „bei allen Amtsverrichtungen und bei großen feierlichen Gelegenheiten, als Leichenbegängnissen, Prozessionen, Repräsentationen u. dergl. gebraucht werden, außerdem bei der Introduktion von Geistlichen, Abnahme der Gastpredigten, Kirchenvisitationen, Kranken-Kommunionen und anderen geistlichen Funktionen.“ Auch außerhalb der Amtsgeschäfte „werden die geistlichen Behörden dafür Sorge tragen und darüber wachen, daß die in der bisherigen bürgerlichen Kleidung der Prediger […] nicht selten vorgekommenen Unziemlichkeiten vermieden werden, und die außerordentliche Kleidung der Geistlichen überall ihrer Würde gemäß und so eingerichtet sey, daß man den geistlichen Stand nicht verkenne.“

Das Vorbild: Der predigende Martin Luther in der Wittenberger Stadtkirche, Gemälde (Altarbild) von Lucas Cranach d. Ä., 1547

In der Praxis erwies sich das Tragen oder Mitführen des Talars besonders in den flächenmäßig großen Kirchengemeinden des ländlichen Raums mit seinen weit verstreuten Gehöften, die meist noch zu Fuß über schlechte Wege angesteuert werden mussten, jedoch zuweilen lästig. Den Pfarrern wurde daher gestattet, dass Amtshandlungen wie Haustaufe, -kommunion oder -trauung in großer Entfernung zum Pfarrhaus wenigstens „in der sogenannten kleinen Amtstracht, d.h. in anständiger schwarzer Kleidung nebst dem weißen Halskragen unter dem Kinn verrichtet werden“ durften.

Mit dem Übergang des Rheinlands an Preußen 1815 wurde die Amtstracht auch in den neuerworbenen Provinzen des Westens eingeführt. Der abgebildete Kupferstich erreichte daher Mitte September 1816 Pfarrer Karl Ludwig Schneyder in Kirchberg und hat im Archiv der Kirchengemeinde, das kürzlich in der Evangelischen Archivstelle Boppard verzeichnet wurde, die letzten zwei Jahrhunderte überdauert.

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