Zechen, Unzucht, Zauberei: Das Zensurprotokoll des Kirchspiels Thalfang 1757-1783

Im kürzlich verzeichneten Archiv der Kirchengemeinde Thalfang wird ein ledergebundener Foliant aufbewahrt, der einen beeindruckend detaillierten Einblick in den Lebenswandel der evangelischen Einwohner der Mark Thalfang in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bietet. Es handelt sich um das Protokollbuch der Kirchenzensur, einem Sendgericht zur Behandlung und Bestrafung von religiösen und sittlichen Vergehen der Gemeindeglieder. Die dafür bestellten Zensoren achteten penibel auf den regelmäßigen Gottesdienstbesuch und ein anständiges Leben der Märker.

Einband des Zensurprotokolls; aus Bestand: AEKR Boppard 4KG 132B Nr. 105

Zu den häufigsten Vergehen der Gemeindeglieder gehörte der Verstoß gegen die Sonntagsheiligung. Wer etwa statt des Kirchgangs „im Wirtshauß unter dem Vormittags Gottesdienst gesessen und getrunken“ und noch dazu „das Chartenspiel auf Sonn- und andere Tage stark getrieben“ hatte oder aber als Händler „mit irden Geschirr auf den Markt nach Hermeskeill gefahren“ war, musste mit empfindlichen Zensurstrafen rechnen, meist in Form von Geldbußen in ganz unterschiedlichen Währungen wie Kopfstück, Ortsgulden, Moselgulden, Rheinischer Gulden oder Reichstaler. In schweren Fällen drohten der (vorübergehende) Ausschluss vom hl. Abendmahl bzw. der Verstoß aus der kirchlichen Gemeinschaft. So wurde bei einem Mann aus Hilscheid eine Strafe von einem Reichstaler angesetzt, „da selbiger gestern vor 8 Tagen abends trunken nach Hauß gekommen und seine Frau und Schwiegermutter mit harten Worten und Stößen übel mißhandelt, darauf aus dem Haus in die Nacht gegangen und neuen Lerm im gantzen Dorfe erregt, daß die gantze Nachbarschaft darüber unruhig worden. Ja, als der Censor Klein ihn zur Ruhe verwiesen, ihn gescholten, auf die Brust gestoßen und allerhand anzügliche Worte ihm vorgeworfen.“ Sollte der Mann solchen Unfug nochmals begehen, würde er von der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen und als ein „unruhiger Friedensstöhrer“ der weltlichen Gerichtsbarkeit übergeben.

Zur Eindämmung der Trunkenheit wurden „alle hiesigen Wirthe vorbeschieden und ihnen bedeutet, daß sie von nun an unter dem Vor- und Nachmittags Gottesdienst keinen Einheimischen zu Gast haben noch Wein denselben einschenken sollen, auch auf Sonntägen keinen einheimischen Gast länger als biß sechs Uhr, sommers aber biß sieben Uhr behalten sollen.“ Auch ausufernde Feierlichkeiten waren den Zensoren ein Dorn im Auge, die wiederum einen Mann aus Hilscheid zu einem Moselgulden Strafe verdonnerten, weil „bey seiner Kinder Hochzeit die Jugend [drei Tage lang] biß Mitten in die Nacht getanzet“ hätte, und wetterten auch gegen die Abhaltung von kostspieligen „Gelagen und Zechen“ nach Beerdigungen, wodurch die ausrichtenden Familien nicht selten finanziell ruiniert wurden.

Ebenso häufig musste sich das Gericht mit Beleidigung, übler Nachrede und Diebstahl befassen, etwa bei einem Mann aus Immert, der gestand, einem anderen Mann „den Beutel abgeschnitten“ zu haben, wofür er eine Zensurstrafe von einem Reichsthaler erhielt. Die Protokolle dokumentieren außerdem Verfahren wegen Hexerei, Zauberei oder Aberglaubens. Diese muten mitunter kurios an wie im Fall eines Immerter Mühlenbesitzers, der mit seinem katholischen Müller „auf einen Sonntagabend auf den Kirchhof gegangen und abergläubische gottlose Mittel gebraucht, den Dieb des ihnen gestohlenen Korns zu entdecken“. Der Mühlenbesitzer leugnete dies zunächst und gab „eine natürliche Nothdurft“ an, musste nach Zeugenaussagen seine Tat aber doch gestehen und wurde dafür mit dem Ausschluss vom hl. Abendmahl und einer (aufgrund seiner Armut) geringen Geldbuße bestraft. Im Falle der Hexerei lautete der Vorwurf meist, anderen Personen Krankheiten „angehext“ zu haben, für den Vorwurf der Zauberei ist eine Anklage von 1774 beispielhaft, „daß ein gottloser Mensch sich gar mit Zauberey Künsten abgebe und andere Leuthe zu bereden suche, er sey im stand, gestohlene Sachen wieder herbey zu bringen, und gar denen, die es gestohlen, durch seine Teuffelische Kunst Schaden an ihrem Leibe zuzufügen.“

Beispiel für ein Verhör wegen „Unzucht“, 1760; aus Bestand: AEKR Boppard 4KG 132 B Nr. 105, S. 13f.

Die mit Abstand meisten Verfahren jedoch drehten sich um „Unzucht“, „Sünde“ oder „Hurerey“, wie eine un-, vor- oder außereheliche „fleischliche Vermischung“ von Mann und Frau in den Protokollen bezeichnet wurde. Strafbar war auch die Beihilfe dazu: So wurde 1773 ein Mann angeklagt, der einem anderen beim Einsteigen in das Schlafzimmer seiner Auserwählten geholfen haben sollte – offenbar war der Brauch des Fensterlns auch im Hunsrück bekannt. War ein Paar dann frisch verheiratet, achteten die Zensoren genau auf den zeitlichen Abstand zwischen der Hochzeit und der Geburt des ersten Kindes. Kam das Kind einige Monate früher, als zu erwarten war (was häufig passierte), musste sich der Ehemann vor Gericht verantworten, „daß er wider christliche Ordnung und Zucht sich vor der Copulation zu seiner gegenwärtigen Frau gethan.“ Bei ungewollten Schwangerschaften hingegen waren Mittel und Methoden bekannt, diese abzubrechen, wie zwei Fälle aus den Jahren 1767/68 zeigen: So gestand eine Witwe „endlich nach vieler Weigerung öffentlich und frey“, daß sie mit einem Bergschmied aus Wolfstein „zu dreyen malen sich fleischlich vermischt […]; sagt aber, sie seye nicht schwanger von ihm, habe auch keine böse abtreibende Mittel gebraucht“. Eine weitere Frau aus Dhronecken, die durch „Unzucht“ tatsächlich schwanger geworden war, wurde von den Zensoren ausdrücklich ermahnt, dass sie „auf keine Art der Leibesfrucht Schaden zufügen möge, damit nicht ihre Sünde und zugleich Strafe noch erschröcklicher und größer werde“. Dieser Fall ist auch in anderer Hinsicht beispielhaft, denn eine ungewollt Schwangere hatte es schwer, den Vater des unehelichen Kindes zur Verantwortung zu ziehen, sofern dieser hartnäckig leugnete. Der von ihr als Vater genannte Mann, ein umherziehender Sattler, hatte „vor der Weltlichen Obrigkeit durch einen Cörperlichen Eyd sich purgiret, daß er […] frey von dieser gottlosen That seye“.

Vor dem kirchlichen Gericht allerdings sind einige Verfahren dokumentiert, in denen der angeklagte Mann nach längerem Verhör die Vaterschaft schließlich doch gestand und in eine Heirat mit der Mutter des Kindes einwilligte, „weil ihm in der Welt sonst kein anderes Mittel übrig sey, den Schandfleck von dieser Person sowohl als von sich selbst einiger Maßen abzuwischen als eben dadurch und fernerhin durch ein ausgezeichnetes Christliches Gottgefälliges Leben.“ Ganz unberührt von jeglicher sozialer Kontrolle hingegen lebte 1822 ein Paar in Thalfang „schon seit mehreren Jahren in wilder Ehe bei- und miteinander“ und und weigerte sich, „trotz aller ertheilten Mahnungen und Erinnerungen, […] eine Ehe auf dem Wege christlicher Ordnung abzuschließen.“

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