„Franzosenzeit“ im Rheinland

Die französische Herrschaft in den Rheinlanden seit 1794/95 bringt den Protestanten in den Kurfürstentümern Trier und Köln die lang ersehnte Gleichberechtigung. Neue Gemeinden entstehen nun u. a. in Aachen, Koblenz, Köln und Neuss, die auch erstmals eigene Kirchen zugewiesen bekommen.

1802 geben die „Organischen Artikel“ Napoleons den zersplitterten evangelischen Landeskirchen eine neue einheitliche Struktur. Im gleichen Jahr veröffentlichen der lutherische Pfarrer von Stolberg und sein reformierter Kollege ein gemeinschaftliches Gesangbuch mit nicht weniger als 1.300 (!) Liedern. Die von der Aufklärung beeinflusste Sammlung soll „zur Beförderung einer vernünftigen Gottesverehrung und einer wahrhaft christlichen Toleranz“ dienen. Eindrücklich dokumentiert sie, wie die bisherigen innerprotestantischen Konfessionsunterschiede zwischen Reformierten und Lutheranern zugunsten des Unionsgedankens zurücktreten.

Gemeinschaftliches Gesangbuch der beyden protestantischen Gemeinen in Stollberg bey Aachen, herausgegeben von Johann Reisig und Heinrich Simon von Alpen, Frankfurt / Main 1802 aus AEKR 8SL 046 (Bildarchiv), 57_0006

Heftige Konflikte entspannen sich vielmehr wie meist um das liebe Geld, auch und vor allem um die Besoldung der lutherischen und reformierten Pfarrer. Diese wurden nun vom Staat besoldet und dafür auch ganz handfest als Propagandisten des Empires in die Pflicht genommen. Das feste Jahressalär von 500 Francs brachte viele Kirchengemeinden auf die Idee, ihre althergebrachten örtlichen Sach- und Geldleistungen für das Pfarrergehalt einzustellen. Der Präsident des für die Lutheraner zuständigen „Generalkonsistoriums Augsburger Konfession in Köln“ Johann Friedrich Jacobi war darob recht indigniert und publizierte am 12. November 1806 einen Plakataushang, der in allen Kirchen seines Verwaltungsbezirkes zu verlesen und öffentlich anzubringen war:

„Mit eben soviel Erstaunen als Missvergnügen vernehme ich, dass sich in mehrern Pfarrgemeinden Zwistigkeiten erheben, über die Verpflichtung der Gemeinden gegen ihre Pfarrherren in Betreff der versprochenen Besoldungen. Es wird nämlich durch einige wenige Gemeindeglieder der Gedanke in Umlauf gebracht, als hätten die Verpflichtungen der Gemeinden aufgehört, dasjenige den Pfarrherren ferner zu leisten, was denselben bei ihrer Anstellung versprochen worden ist; seitdem kaiserliche Majestät die Gnade gehabt haben die protestantische Geistlichkeit zu besolden.

Die Unbilligkeit dieser unüberlegten Behauptung wird jedem Unbefangenen in die Augen leuchten, der die Lage der katholischen Pfarrherren mit den protestantischen vergleicht… Das geringste Jahrgehalt eines katholischen Pfarrers ist aber 1.000 Francs, und dasjenige der Desserventen der Succursalkirchen (=Geistliche auf Widerruf in Hilfspfarreien, S.F.) 500 Francs, wobei nicht zu vergessen, dass die katholische Geistlichkeit dem ehelosen Stande unterworfen ist.

Nun betrachte man dagegen die Lage unserer Pfarrherren, welche mit Frau und Kindern leben müssen… Kann nun, bei so bewandten Umständen, ein gerecht und billig denkender Mann, vernünftiger Weise begehren, die Großmut kaiserlicher Majestät gegen dürftige Pfarrer zu seinem Privatvorteil benutzen zu wollen? Für einen Pfarrer sind 500 Francs festes Gehalt allerdings eine sehr wichtige Unterstützung; allein ganz unbedeutend ist es, was jedes Gemeindeglied gewinnt, wenn es dem Pfarrer seinen Beitrag zum Predigergehalt ungroßmütiger Weise zurückhält.“

Jacobi, selbst ein erfolgreicher Tuchfabrikant, finanziell unabhängig und Mitglied der Ehrenlegion, musste freilich 1809 in einem weiteren Rundbrief konstatieren, dass sich diese Boykotthaltung der kirchlichen Basis in den letzten Jahren eher noch verschärft hätte.

Zahlreiche Dekrete und Verlautbarungen der französischen Kultusverwaltung ergossen sich seit 1802 über die neu etablierten rheinischen Konsistorialkirchen. So erließ Napoleon 1807 von seinem Feldlager im ostpreußischen Osterode aus den Befehl, das strikte Mindestalter von 25 Jahren für die Berufung zum evangelischen Pfarrer einzuführen. Zwei Generationen zuvor hatte die reformierte Duisburger Generalsynode von 1740 eine gleichlautende preußische Vorgabe noch ins Leere laufen lassen mit dem Argument, „weilen aber solchergestalt fähige ingenia in ihrem Eifer gehemmet und zurückgehalten werden…“

Erlass Napoleons – Mindestalter Weihe und Abendmahl, aus Bestand: AEKR 1OB 020 (Provinzialkirchenarchiv), 700, Nr. 8

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