Friedrich Wilhelm Raiffeisen reformierte auch das Schulwesen in Schöneberg

Titelseite der Akte; aus Bestand: AEKR Boppard 4KG 146B (Schöneberg)

Im Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde Schöneberg findet sich ein Dokument des bekannten Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen, das dessen Engagement für das Schulwesen während seiner Zeit als Bürgermeister der Bürgermeisterei Flammersfeld in den Jahren 1848 bis 1852 beleuchtet. Es handelt sich um die Dienst- und Einkommensanweisungen für den Kirchspielslehrer in Schöneberg aus dem Jahr 1852. Die hoch auf dem Westerwald gelegene Kirchengemeinde zählte damals etwa 700 Einwohner, größtenteils ärmere Ackerbauern. Raiffeisen war ein bürgernaher und engagierter Gemeindevorsteher, der stets ein offenes Ohr für die Probleme und Bedürfnisse der Bevölkerung hatte und aktiv daran arbeitete, die Lebensverhältnisse zu verbessern. Seine Erfahrungen als Kommunalbeamter prägten nicht nur seine Sozialreformen, sondern legten auch die Grundlage für seinen späteren Einsatz in der Genossenschaftsbewegung.

In Flammersfeld übernahm er sein Amt in einer schwierigen Zeit, die von Armut und wirtschaftlicher Not geprägt war. Er setzte sich nicht nur für die allgemeine Verbesserung der Lebensbedingungen ein, sondern legte einen besonderen Schwerpunkt auf das Schulwesen. Von ihm ist das Zitat überliefert: „Der beste Kampf gegen die Armut ist eine gute Schulbildung.“ Da viele Schulen in einem desolaten baulichen Zustand waren, veranlasste Raiffeisen an verschiedenen Orten den Bau neuer Schulgebäude. Sein Ziel war es, die Bildungssituation der ländlichen Bevölkerung zu verbessern, wo der Analphabetismus weit verbreitet war. Er beschränkte sich aber nicht nur auf den Bau von Schulen, sondern engagierte sich auch für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Dorfschullehrer, deren Ansehen und Einkommen oft dürftig war.

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Biografien „gefallener Mädchen“- weitere Quellen des Magdalenenstifts in Boppard online

Emilie Kaiser geboren in Elberfeld von Ernst Liborius Kaiser und Anna Marie Hagenhaus aus Münster in Westphalen. Die Mutter starb im Jahre 1844. Es sind noch 5 Geschwister vorhanden. (…) Diese Verwahrlosung der ganzen Familie rührt wohl hauptsächlich daher daß der Vater die Kinder selbst zum Diebstahl angehalten hat, und die Mutter den Vater wieder durch die Kinder bestehlen ließ. Emilie ist im Ganzen nur 3 Jahre in die Schule gegangen, (…). Seit dem 8ten Jahre musste sie in die Fabrik von H. in Barmen gehen. (…) Dort hörte und sah Emilie viel Böses. (…) kam dann als Magd in einen Dienst zu Abraham Werth auf den Hofkamp. (…) Sie hörte nichts als Fluchen, und fluchte wieder, überhaupt war die Behandlung roh. (…) Nun kam sie wieder nach Elberfeld, blieb zwei Monate im Hause des Vaters, und es fing das alte Lasterleben des Stehlens und Hurens von Neuem an. Weil sie aber den jüngsten Bruder immer schlug, so trieb sie der Vater mit Schlägen aus dem Hause, und so irrte sie 3 Tage und 3 Nächte unter Friren (sic) hin mal umher, oder lag in Scheunen der Bauern…“(Bl. 2-5).

Das Leben von Emilie Kaiser, zur Welt gekommen am 26. Oktober 1828, war kein leichtes. In Armut hineingeboren musste sie bereits als Kind mit anpacken. Harte Arbeit, (häusliche) Gewalt, Diebstahl, Zuchthaus, Prostitution, Obdachlosigkeit, Bettelei und Asylaufenthalte prägten ihr Dasein.

Notizbuch über die Heimbewohnerin des Magdalenenstifts Bethesda in Boppard. Eintrag zu Emilie Kaiser Bl. 2ff, AEKR 5WV 025B – Nr. 38.

1855 kam sie mit 27 Jahren als „gefallene Frau“ nach Boppard in das Magdalenenstift. Hier sollte sie mit Hilfe des christlichen Glaubens wieder auf den rechten Pfad zurück gebracht und hauswirtschaftlich ausgebildet werden. Schließlich sollte sie nach dem Aufenthalt einem „anständigen Berufe“ nachgehen und auf eigenen Beinen stehen können. Zu Emilie Kaiser wurde vermerkt:

Emilie zeigte sich im Verlauf des ersten halben Jahres herrschsüchtig und zanksüchtig gegen ihre Mitzöglinge, jähzornig und ungehobelt in Allem, was sie thut. Sie hieb sich eines Abends mit einem Beil in den Fuß, daß die große Zehe gespalten wurde. Mit der Zeit mußte sie das Zimmer hüten und betrug sich, wenn die Andren zur Arbeit in den Garten gingen, so verkehrt, raisonnirte laut, fluchte, sang wüste Lieder, als wäre der leibhaftige Satanas in sie gefahren….“ (Bl. 6).

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Die Tagebücher der Bahnhofsmission Bonn 1946-2022, oder: Aspirin hilft immer

Es ist ein schöner Zufall, dass uns nur eine Woche nach dem Erscheinen des Blogbeitrages zur Tracht der Bahnhofsmission eine Neuerscheinung für die Archivbibliothek erreichte: „Nächste Hilfe an Gleis 1. 125 Jahre Bahnhofsmission Bonn. Ausgewählte Tagebucheinträge 1946-2022.“ In bislang nicht weniger als 77 Kladden haben die ehrenamtlichen Mitarbeitenden ihre Erlebnisse während der jeweiligen Schicht handschriftlich festgehalten. Damit spiegeln die Einträge politische und gesellschaftliche Entwicklungen wider, die sich gerade in Bahnhöfen wie in einem Brennpunkt bündeln.

Aus der Auswahl von ca. 900 Einträgen seien drei eher harmlose Begebenheiten exemplarisch herausgegriffen:

21.1.1946: 2 Soldaten zum Bahnhofsbunker verwiesen, desgl. 1 Mann. 2 amerik. Soldaten mit Wasser bewirtet. 1 Soldat, who has got a little tipsy, mit Aspirin versorgt.

12.5.1960: Junge Frau, die sich beim Einkauf verausgabt hatte, haben wir Fahrkarte nach Siegburg verweigert. Man hält sich doch wohl erst das Fahrgeld zurück und dann kaufe ich lustig ein.

21.11.1997: Total betrunkener, gut gekleideter älterer Herr vom Bahnsteigdienst aufgegriffen. Ehemaliger Oberst; immer, wenn er seine Pension kriegt, haut er auf die Pauke. Der Bahnpolizei bekannt. Altersheim Bad Breisig angerufen, holen ihn ab.

Das Buch ist beim cmz-Verlag erschienen. Es kann auch gegen eine Spende direkt bei der Bahnhofsmission erworben werden.

Von Lodenmänteln und Baskenmützen: Der Versuch einer Trachtordnung für die Evangelische Bahnhofsmission 1948

Über die verdienstvolle Arbeit der Bahnhofsmission am Beispiel des Hbf Düsseldorf ist bereits vor einiger Zeit im Blog berichtet worden.

Plakat „Bahnhofsmission“ mit überkonfessionellen Kontaktinformationen zu Anlaufstellen. Aus Bestand: 8SL049(Plakatsammlung), Nr. 1338

In der Nachkriegszeit kümmerte sich die energische Hauptgeschäftsführerin der Evangelischen Bahnhofsmission Armgard von Alvensleben auch um ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild der Mitarbeiterinnen. Großzügige Stofflieferungen des Hilfswerks der EKD aus Auslandsspenden boten ihr hier die materielle Grundlage.

Das typisch deutsche Vehikel zur praktischen Umsetzung sollte dabei die 1948 erlassene Trachtordnung bilden.

Trachtordnung, für die Berufskleidung der Evangelischen Bahnhfsmissionarin. Aus Bestand 5WV 051(Diakonisches Werk – Bestand Ohl), Nr. 2056

Demnach waren folgende Bestandteile der Tracht vorgesehen:

1. Lodenmantel, der außer im Winter auch im Sommer im Reisedienst oder bei schlechtem Wetter übergezogen wird.

2. Wollkleid: Es wird im Allgemeinen mit aufgenähtem weißem Kragen getragen, und zwar insbesondere bei Rüsttagen, Arbeitsbesprechungen, Behördengängen, gemeinsamem Kirchgang u. ä. Das dauernde Tragen im täglichen Dienst wird nicht erwartet, da sich das Kleid dann sehr schnell abnutzen würde.

3. Kittel. Er ist der eigentliche Arbeitsanzug für den Innen- und Außendienst am Bahnhof und in der Heimarbeit. Es ist möglich, ihn mit langen oder kurzen Ärmeln und ohne untergezogenes Kleid zu tragen.

4. Baskenmütze. Sie wird etwas schräg aufgesetzt und soll die Haarfrisur weitgehend bedecken.

5. Armbinde. Sie ist das Dienstzeichen der Bahnhofsmission und darf nur im Dienst mit auf Befragen vorzuzeigendem Ausweis getragen werden. Sie wird am linken Oberarm so hoch angebracht, dass sie nicht im Ellbogengelenk Falten schlägt. Notfalls muss sie etwas schmäler getragen werden. Beim Ausscheiden einer Trägerin aus dem Dienst ist sie abzugeben. Ehrenamtliche Helferinnen erhalten sie nur stundenweise am Bahnhof ausgeliehen.

6. Brosche. Die Brosche wird links in Höhe über der Brusttasche des Kittels getragen.

7. Schuhe

8. Strümpfe

Selbstverständlich folgte noch ein knappes Dutzend weiterer Detailvorschriften. Eine kleine Auswahl davon sei zitiert:

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Bericht über die Evakuierung der Stadt Eschweiler und den Zustand der kirchlichen Gebäude beim Verlassen der Stadt

Kreip, Friedrich, Pfarrer (1901-1965);
ca. 1926. Signatur AEKR 8SL 046 (Bildarchiv), 012K_0179.

Anbei übersende ich den erbetenen Bericht über die Evakuierung der Stadt Eschweiler und für die Finanzabteilung eine Aufstellung über das Vermögen der Evangelischen Gemeinde Eschweiler, soweit mir Unterlagen dafür zur Verfügung standen“ (1OB 008 Ortsakten, Nr. 5940).

Als Pfarrer Friedrich Kreip (1901-1965) diese Zeilen am 5. Januar 1945 an das Konsistorium in Düsseldorf verfasste, hatte er Eschweiler bereits verlassen und befand sich in Holpe. Freiwillig ging Pfarrer Kreip indes nicht aus seiner Kirchengemeinde. Doch vorrückende feindliche Truppen und die Zunahme militärischer Kampfhandlungen machten den Verbleib der Zivilbevölkerung in Eschweiler im Herbst 1944 unmöglich. Die Bürger selber wurden angewiesen, bis Mitte September die Stadt zu verlassen. Die Evakuierungsmaßnahmen gestalteten sich jedoch schwierig: „Der Abtransport sollte vom Hauptbahnhof durch Züge erfolgen. Eine große Zahl von Einwohnern begab sich daufhin (sic) zum Bahnhof, um sich in Sicherheit zu bringen. Der erste Zug mit Evakuierten wurde indes von Tieffliegern beschossen und bombardiert, wodurch etwa 50 Todesopfer entstanden und eine größere Anzahl von Personen mehr oder weniger schwer verletzt wurde“ (s.u.).

Pfarrer Kreip harrte mit seiner Frau nach Möglichkeit in Eschweiler aus. Dies bescheinigte zumindest das Presbyterium der Ev. Gemeinde Eschweiler: „Er hat während der Beschiessung (sic) Eschweilers bei seiner Gemeinde ausgehalten, bis die Gemeinde restlos evakuiert war und er selbst durch die Massnahmen (sic) der Partei gegen seinen Willen gezwungen wurde, seinen Pfarrsitz zu verlassen“ (1OB 005 Spruchkammerverfahren und Entnazifizierung, Nr.38, Bl. 94).

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