Das Archiv der Kirchengemeinde Kappel enthält ein umfangreiches Konvolut zum Verhältnis der beiden christlichen Konfessionen im 18. Jahrhundert. Die evangelischen und katholischen Bewohner des Hunsrücksdorfes nahe Kirchberg waren seit 1688 in einem Simultaneum zusammengepfercht, das wiederholt zu Konflikten führte und sich in unzähligen Eingaben an vorgesetzte Behörden niederschlug. Es gab Streit um das Geläut, den Bau des Schulhauses und vor allem hinsichtlich der gemeinsamen Nutzung der Kirche. 1742 war ein neues Gotteshaus anstelle eines maroden Vorgängerbaus errichtet worden, der sich auf einer in demselben Bestand erhaltenen, „daß dorff Cappel“ überschriebenen und sicherlich idealisierten oder symbolischen Darstellung von 1726 als hellrot getünchtes Gebäude mit Rundfenster im Turm und steilem, schiefergedecktem Turmhelm zeigt.
In der neuen Kirche sorgte vor allem der begrenzte Platz in Kirchenschiff und Chorraum von Anfang an für Gezänk. Bereits am 26. August 1742 beschwerten sich die Reformierten: „Kaum ist sie [die Kirche] aufgerichtet gewesen, als die Catholischen anfingen, uns in unserer Andacht laufende Verhinderungen in den Weg zu legen. Sie schafften unseren, in der Alten Kirche […] im Chor oder Thurm unverrückt gestandenen Comuniontisch in das Schiff. Bey dem Hl. Abendmahl verwehrten Sie uns den unentbehrlichen Umgang im Chor. Sie befestigten Ihre Comunion-Bank, die Sie sonst wärend unseres Gottesdienstes auf die Seithe zu thun hatten. Sie verschlossen uns das Chor ganz. Sie versperrten uns die Auswendig Thür zu demselben und außer dem großen Altar führten Sie noch einen Neben Altar im Schiff auf. […] Sie versetzen die Canzel und den Pfarr-Stuhl.“ Der Umgang um den Altar war ein unverzichtbarer Bestandteil des Abendmahls, weshalb die Katholiken behördlicherseits verpflichtet wurden, „denen Reformirten so viel im Schiff bey Haltung des Heiligen Abendmahls zum Umbgang belassen werden solle, alß hierzu erforderlich“. Die aber dachten gar nicht daran, sondern versperrten die Kommunionbank sogar noch mit „verdeckten Schlössern“, weshalb die Reformierten befürchteten, „von dem gemeinschaftlichen gebrauch der Kirchen zuletzt gäntzlich außgeschlossen“ zu werden. Auch an der Kanzel machten sich die Katholiken wiederholt zu schaffen. So eschauffierten sich die Reformierten etwa am 16. April 1756 gegenüber dem Oberamt in Kirchberg, dass „heute auf das Neue die Cantzel wieder abgebrochen, und dieselbe bis etwa 1 oder 1 ½ Schuh in das Schiff hineingerücket“ worden sei, obwohl die Katholiken angewiesen seien, „bey schwerster straff und andung keine Eigenthättige Neuerung Vorzunehmen, sondern die Verrückte Cantzel auf seinem alten Platz alßo gleich hinzusetzen, und künftig ohne Vorwissen allhiesigen Hochfürstlichen Oberambts Von dergleichen abzusehen“.
Aber auch die katholische Seite hatte Grund zur Klage, wie wir aus einem empörten Schreiben Pastor Wittums vom 8. April 1772 erfahren: „Da die herren reformierte schon vor einem Monath eigenmächtig gegen die herrschaftliche, ihnen wohl bekannte ergangene befehl, denen catholischen das ave Maria läuthen nit gestattet und die catholischen gewalt anlegen wollen, um sich in der bisherigen possession zu souteniren, so habe Ich den catholischen, damit die ruhe nit gestört wurde, solches auf das strengste verbotten. 2tens da die reformirte gemeinde alhier schier um eben diese Zeit nach vollendetem reformiertem gottesdienst den abendmahl tisch allzeit in mitten des gangs stehen gelassen, also zwar das man nit ohne hindernuss zu dem hohen altar gehen konnte. da doch […] der tisch allzeit auf der seite gestanden, so haben die catholischen aus unzeitigem eifer den tisch misshandlen wollen. Ich aber habe […] nur alleine befohlen, den tisch auf den von gnädigster herrschaft angewiesenen Platz zu stellen.“ In den kommenden Wochen wiederholte sich dieses Schauspiel, weshalb Pastor Wittum schließlich der Kragen platzte: „Als […] Ich in die Kirch kame, stunde der tisch wieder in der mitte des gangs. Ich namme also den tisch und stellte ihn auf die banck ueber der kantzel, dan Ich bin der herren reformirten ihr knecht nit, das Ich den tisch hinstellen soll, wo sie schuldig sein, ihn hinzustellen.“
Wie zu erwarten, entbrannte 1779 auch Streit hinsichtlich der Beschriftung der drei neuen Glocken, die die Kirche erhalten sollte. Die Reformierten favorisierten für die eine Seite der Hauptglocke den Schriftzug „Inscriptio Reformatorum est Dictum Petri Actorum IV. VS. 12“ („Und in keinem andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden.“), ein in reformatorischen Schriften und Predigten des 16. Jahrhunderts häufig zu findendes Bibelzitat, die Katholiken pochten darauf, auf der anderen Seite die Inschrift „Maria vocor“ („Maria heiße ich“) von der Vorgängerglocke zu übernehmen und wünschten außerdem die Beschriftung „Benedicta sit sanctissima Trinitas“ (der schließlich auf der kleinen Glocke platziert wurde). Die daraus resultierenden Misshelligkeiten veranlassten erneut Pfarrer Wittum, dem Oberamt in Kirchberg wortreich zu klagen, dass „die reformierte gemeinde allhier nit concediren will, daß auf die neu zu gießende Glocken eine nach dem system der heiligen Chatholischen Kirchen gewöhnliche und nach den principiis der Chatholischen Religion nothwendige inscription geschehen soll, wo dan hieraus weiter zu folgern wäre daß Catholici allhier kein Liberum und integrum exercitium sua Religionis ausüben dürften, weilen die Reformati ihnen einer solchen inportanten und wesentlichen ceremoni ausübung nit gestatten wollen, da doch ohne solche inscription die glocken Vor Chatolische glocken können auf keine Weise angesehen werden.“ Die Kirchberger Behörde musste also wieder einmal das interkonfessionelle Gezänk schlichten und verdonnerte beide Seiten zu einem Kompromiss: Der Schriftzug der Katholiken „Maria vocor“ wurde ergänzt um die Namen der vier Evangelisten, der Spruch der Reformierten pikanterweise erweitert zu der Inschrift „Inscription Reformatorum et Catholicorum est Dictum Petri Actorum IV. VS. 12“. Das Geläut hat in die Gegenwart überdauert, und so erschallt die Hauptglocke der (seit 1899 allein) Evangelischen Kirche in Kappel bis heute in Erinnerung an die einst nur selten schiedlich-friedliche Koexistenz zweier christlicher Konfessionen auf dem Hunsrück.
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