Karl August Groos (1789-1861) – Ein Pfarrerleben in Zeiten des Umbruchs

Karl Groos als Konsistorialrat (Quelle: Jubilate! Denkschrift zur Jahrhundertfeier der evangelischen Gemeinde Coblenz, 1903, S. 93. Bei der Namensschreibung „Groß“ handelt es sich um einen Irrtum)

Zum 230. Mal jährt sich heute die Geburt eines Mannes, der als Pfarrer in der Geschichte der rheinischen Kirche weitestgehend vergessen ist und allenfalls noch als Vertoner des bekannten Gedichts von Max von Schenkendorf „Freiheit die ich meine“ gelegentlich Erwähnung findet: Karl August Groos. Die Biographie dieses Theologen, der als junger Mann in den Befreiungskriegen gegen Napoleon mitkämpfte und sein Leben schließlich als Konsistorialrat in der Kirchenverwaltung der Rheinprovinz beschloss, war in vielerlei Hinsicht typisch für die evangelischen Pfarrer seiner Generation. Es lohnt sich deshalb, seinen Werdegang, der über Jahrzehnte hinweg eng mit der Geschichte des rheinischen Protestantismus in den ersten zwei Dritteln des 19. Jahrhunderts verbunden war, in den wesentlichen Zügen nachzuzeichnen.

Wittgensteiner Wurzeln

Karl Groos war kein Rheinländer, sondern ein Sohn des Wittgensteiner Landes. Am 16. Februar 1789 in Saßmannshausen bei Laasphe geboren, entstammte er einer alteingesessenen und weitverzweigten Familie, die über Generationen hinweg viele Staatsbeamte, Ärzte und Theologen hervorgebracht hatte. Schon sein Urgroßvater und sein Großvater waren Pfarrer gewesen, ebenso ein Großonkel, zwei Onkel und ein Vetter. Andere Mitglieder der Familie Groos hatten der kleinen Grafschaft Wittgenstein und später dem preußischen Staat als Hüttenverwalter und höhere Verwaltungsbeamte gedient. Karls  jüngerer Vetter Wilhelm Groos brachte es zum Landrat des Kreises Wittgenstein; Wilhelms Brüder Emil und Eduard Groos wurden angesehene Mediziner mit dem Titel eines fürstlichen Hofrats und Ehrenbürger von Laasphe.

Die politische Sozialisation des jungen Karl Groos stand ganz im Zeichen des gesellschaftlichen Umbruchs, den die Französische Revolution, die in seinem Geburtsjahr 1789 ausgebrochen war, in ganz Europa ausgelöst hatte. Als der 17jährige Groos im Jahr 1806 das Theologiestudium in Marburg aufnahm, hatte seine Wittgensteiner Heimat soeben aufgrund der Rheinbundakte vom 12. Juli ihre Reichsunmittelbarkeit verloren. Wenige Wochen später hörte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auf zu existieren, und im Oktober desselben Jahres wurde die preußische Armee bei Jena und Auerstedt von den Truppen Napoleons vernichtend geschlagen. All diese Ereignisse – das Ende der deutschen Kleinstaaterei, die Auflösung des Alten Reichs und die von vielen Zeitgenossen als nationale Schmach empfundene Niederlage gegen die Franzosen – dürfte den jungen Karl Groos zutiefst geprägt haben. Auch seine studentische Tätigkeit als Erzieher in der Familie des 17 Jahre älteren Reichsgrafen Christian Detlev Karl zu Rantzau, eines aufgeklärten Geistes, der 1793 in der Deutschen Monatsschrift den Essay „Über die Nationalgleichgültigkeit der Deutschen gegen öffentliche Denkmäler“ publiziert hatte, brachte ihn in Kontakt mit der frühen Nationalbewegung. Die Söhne Heinrich und Ernst zu Rantzau begleitete er nach Genf und Berlin und trat 1813 mit dem damals 17jährigen Heinrich als Freiwilliger ins preußische Garde-Jäger-Bataillon ein, das eine wichtige Rolle in den Befreiungskriegen 1813/14 spielte.

Freiheit die ich meine

In diesem hochpolitisierten Umfeld ist es wohl auch zu intensiven Kontakten des inzwischen in seinen mittleren Zwanzigern stehenden Karl Groos mit den Berliner Patriotenkreisen gekommen, die sich leidenschaftlich für die Befreiung von der französischen Fremdherrschaft und die Erneuerung Preußens im aufgeklärt-liberalen Sinn einsetzten. Eine Schlüsselfigur in diesem Umfeld war der Verleger Georg Andreas Reimer, der Pächter der Königlichen Realschulbuchhandlung, dessen Wohnung in der Zeit der französischen Besetzung Berlins zu einem regelrechten konspirativen Treffpunkt wurde. Reimer, der ein enger persönlicher Freund des Theologen Friedrich Schleiermacher war, verlegte nicht nur die Werke der großen Romantiker wie Novalis, Kleist, Jean Paul, E.T.A. Hoffmann, Arnim und der Brüder Schlegel, sondern gab auch Sammelwerke politischer Lyrik heraus, die die Befreiungskriege ideologisch-belletristisch flankieren sollten. Hier kam der musikalisch begabte Karl Groos ins Spiel, hatte er doch einige der Gedichte seiner Altersgenossen Friedrich Rückert, Ludwig Uhland und Max von Schenkendorf vertont – das bekannteste von ihnen ist Schenkendorfs „Freiheit die ich meine“. Von diesem 1813 entstandenen und 1815 erstmals veröffentlichten Gedicht gab es allerdings mehrere Vertonungen. Neben Karl Groos hatte auch der vier Jahre jüngere Kölner Dommusikdirektor Bernhard Klein eine Melodie verfasst, die zunächst in die 1818 bei Reimer gedruckte Sammlung „Deutsche Lieder für Jung und Alt“ aufgenommen wurde.

Bernhard Kleins Vertonung von „Freiheit die ich meine“ im Erstdruck der „Deutschen Lieder für Jung und Alt“ von 1818;

Populär geworden ist „Freiheit die ich meine“ aber erst durch die ebenfalls 1818 entstandene Melodie von Karl Groos, die ab 1825 im Druck überliefert ist. Welche Anteile er und Bernhard Klein bei der Entstehung der „Deutschen Lieder für Jung und Alt“ im Einzelnen hatten, ist nicht mehr zu rekonstruieren, da das Werk 1818 ohne Herausgebernamen erschien und lediglich die Berliner Realschulbuchhandlung als Verlag angegeben ist. In den gedruckten Bücherverzeichnissen des 19. Jahrhunderts werden aber immer Karl Groos und Bernhard Klein als Herausgeber angegeben, und es ist überliefert, dass das Werk üblicherweise und wohl auch mit einem leichten Augenzwinkern als „Deutsche Lieder für Jung und Alt von Groos und Klein“ tituliert wurde.

Die Vertonung von „Freiheit die ich meine“ von Karl Groos (Auswahl Deutscher Lieder, Leipzig 1825)

Stationen im Pfarramt

1819, ein Jahr nach dem Erscheinen der „Deutschen Lieder“, änderte sich das politische Klima in Preußen grundlegend. Durch die Karlsbader Beschlüsse war jegliche politische Betätigung im patriotischen oder freiheitlichen Sinn unter strenge Strafe gestellt. Ob dies der Grund war, weshalb Karl Groos, der nach Ende der Befreiungskriege sein Studium in Berlin beendete, die preußische Hauptstadt gerade in jener Zeit verließ, ist den Quellen nicht zu entnehmen – plausibel wäre es. Groos kehrte nach dem 2. theologischen Examen zunächst wieder in seine Wittgensteinische Heimat zurück, absolvierte den Hilfsdienst in Laasphe und heiratete hier die Pfarrerstochter Christiane Hinzpeter, mit der er in den nächsten Jahren vier Söhne bekam.  Das junge Paar zog nach der Hochzeit 1821 ins mittelrheinische Bendorf, etwas nördlich von Koblenz, wo Karl Groos seine erste reguläre Pfarrstelle übernahm. Der erneute Abschied vom Wittgensteiner Land mag ihm aufgrund der historischen Verbindungen seines neuen Dienstortes zur alten Heimat vielleicht etwas leichter gefallen sein – liegt doch auf dem Bendorfer Gemeindegebeit mit Schloss und Burg Sayn einer der ursprünglichen Stammsitze der Grafen von Sayn-Wittgenstein. Den Quellen, die aus der Zeit überliefert sind, in der Karl Groos das Bendorfer Gemeindepfarramt inne hatte, sind keinerlei Hinweise auf die Fortsetzung seines  freiheitlich-nationalen Engagements zu entnehmen, das er in den Berliner Jahren an den Tag gelegt hatte. Einerseits nahm ihn sicherlich der Gemeindepfarrdienst voll und ganz in Beschlag, andererseits war es vor dem Hintergrund des politischen Umschwungs ab 1819 für einen preußischen Pfarrer auch nicht mehr opportun, sich in dieser Weise zu betätigen.

Korrespondenzpartner Schleiermachers

Abdruck von Auszügen eines Briefs Friedrich Schleiermachers an Karl Groos („an einen Freund am Rhein“)

Dabei hielt Groos seine alten Verbindungen nach Berlin durchaus noch aufrecht. Aus dem Jahr 1826 etwa ist ein Briefwechsel mit Friedrich Schleiermacher, den er wohl über den Kreis um Reimer kennengelernt hatte, überliefert. In der Korrespondenz ging es um aktuelle kirchenpolitische Fragen, wie die synodale Verfassung der Kirche, den Agendenstreit, in dem der König der gesamten preußischen Landeskirche eine einheitliche Liturgie aufoktroyieren wollte, oder – für Groos als Komponisten besonders interessant – die Frage einer Gesangbuchreform. Vor allem aber interessierte Groos Schleiermachers Reaktion auf die Vorwürfe des Pantheismus und Spinozismus, die der Bonner Philiosophieprofessor Ferdinand Delbrück an den Berliner Theologen gerichtet hatte. Schleiermacher bekundete wenig Neigung, sich zu der Streitschrift Delbrücks öffentlich zu äußern, autorisierte Groos aber immerhin, die entsprechenden Passagen aus einem Brief Schleiermachers an ihn drucken zu lassen. Unter dem Titel „Erklärung des Herrn Dr. Schleiermacher über die ihn betreffenden Passagen der Streitschrift. Aus einem Briefe an einen Freund am Rhein“ publizierte Karl Groos im Jahr 1827 diese Auszüge.

Pfarrer in Koblenz

Ist die Korrespondenz zwischen Karl Groos und Friedrich Schleiermacher im Jahr 1826 nicht zuletzt vor dem kirchenpolitischen Hintergrund des preußischen Agendenstreits von Interesse, so hatte diese Auseinandersetzung einige Jahre später auch direkte Auswirkungen auf Groos‘ berufliche Laufbahn. Im Jahr 1835 nämlich wurde der Agendenstreit im Rheinland durch einen Kompromiss gelöst: Die rheinischen Gemeinden akzeptierten die neue, mit einem provinzialkirchlichen  Anhang versehene Agende, während der König im Gegenzug die Rheinisch-Westfälische Kirchenordung mit ihren presbyterial-synodalen Elementen gewährte. Der Koblenzer Gemeindepfarrer, Superintendent und Konsistorialrat Johann Justus Cunz allerdings, der die Seele des Widerstandes gegen die Agende gewesen war, trat aus Protest gegen diesen Kompromiss vom Koblenzer Gemeindepfarramt zurück; seiner synodalen und konsistorialen Ämter war er schon zuvor enthoben worden. Die preußische Verwaltung bestimmte daraufhin Karl Groos, der zum Jahreswechsel 1827/28 vom Bendorfer Gemeindepfarrer zum Koblenzer Garnisonsprediger und 1833  zum Militäroberpfarrer geworden war, als Nachfolger in der Koblenzer Gemeinde. Das Presbyterium wollte diese Anweisung von oben aber nicht akzeptieren und pochte auf sein Pfarrerwahlrecht. Der König und die Berliner Ministerialbürokratie blieben jedoch hart, und so musste die Gemeinde 1838 zähneknirschend Groos als ihren neuen Pfarrer akzeptieren.

Der Widerstand der Gemeinde war vor allem gegen die obrigkeitliche Art und Weise der Pfarrstellenbesetzung und weniger gegen die Person Karl Groos gerichtet – dieser wird in allen Schriften übereinstimmende als ein hochgebildeter, aber überaus freundlicher Mann beschrieben. In den 1830er Jahren  hatte er eine persönliche Krise durchlebt, denn seine Frau war 1832 im Alter von nur 41 Jahren gestorben und hinterließ ihn als Witwer mit vier Halbwaisen im Alter zwischen drei und neun Jahren. Im Jahr 1835 fand er aber eine zweite Ehefrau, Henriette Aster, die Schwester eines bekannten Koblenzer Generals, der unter anderem als Namensgeber des Forts und heutigen Koblenzer Stadtteil Asterstein in Erinnerung geblieben ist.

Im Konsistorium

Als Theologe war Karl Groos noch ganz ein Mann des ersten Jahrhundertsdrittels, geprägt von der Aufklärung und mit wenig Zugang zu den praktisch-seelsorgerlichen Seite des Pfarrdienstes, die die ab den 1830er Jahren mehr und mehr dominierende Erweckungstheologie auszeichnete. Seine Predigten werden im Rückblick vornehm als „mehr gediegen und geistvoll als praktisch und erwecklich“ bezeichnet, sein Konfirmandenunterricht als „reichlich lehrhaft“, und „der seelsorgerliche Verkehr mit seinen Gemeindegliedern litt einigermaßen durch die Belastung mit Nebenämtern“ – insbesondere dem als nebenamtlicher Konsistorialrat – sowie „durch seine mit den Jahren zunehmende Schwerhörigkeit“ – so die Festschrift zum 100jährigen Koblenzer Gemeindejubiläum vom 1903.

So wurde es allseits als eine glückliche Lösung empfunden, als die Regierung im Jahr 1843 das Amt des Konsistorialrats vom Koblenzer Pfarramt trennte. Der inzwischen 54jährige Karl Groos, der im Jahr zuvor von der theologischen Fakultät der Universität Bonn den Ehrendoktortitel verliehen bekommen hatte, fungierte fortan als hauptamtliches Mitglied des Konsistoriums , während das Gemeindepfarramt von Ferdinand Schütte übernommen wurde. Auch von seinen Kollegen im Konsistorium wird Groos durchweg als eine absolut integere, pflichtbewusste und verbindliche Persönlichkeit geschildert, die jedoch in den praktischen Verwaltungsdingen, nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden körperlichen Gebrechen, nur mit mäßiger Effizienz wirken konnte. Der Geheime Regierungsrat Gerd Eilers charakterisierte ihn in seinen 1858 erschienenen Erinnerungen so: „Er erschien mir, dem Raschgeschäftigen, etwas zu langsam und bedächtig in seinen Gedankenbewegungen. Welch ein Reichthum des theologischen und philosophischen Wissens, welcher Adel der Gesinnung in allem Menschlich-Edlen und Schönen, und welche seltene christliche Gemüthsbildung hinter dieser Langsamkeit und Bedachtsamkeit verborgen lag, das wurde mir erst durch längern Umgang klar. […] Seine große Gewissenhaftigkeit ließ ihn bei praktischen in das kirchliche Leben eingreifenden Fragen nur langsam zu einem sichern Urtheile kommen; hatte er aber ein solches gewonnen, dann stand es auch felsenfest und bewährte sich stets als das beste.“ Und der Bonner Theologe Willibald Beyschlag, der seinen Hilfsdienst 1849/50 in Koblenz absolviert hatte, äußerte sich über Groos folgendermaßen: „Er war eine Anima candida, eine für alles Edle und Heilige und wider alles Gottlose und Gemeine glühende Nathanaelseele, und dafür kannten und liebten ihn alle. […] Seit Jahren schwerhörig, trug er in sich eine unerschöpfliche Quelle frischen Geisteslebens, die in den halbverstandenen Zusammenhang der Unterhaltung oft umso wirksamer hineinsprudelte; denn unverdrossen durch jene Mühsal nahm er an allen des Interesses würdigen Dingen mit Fröhlichkeit und Wohlwollen Theil. Auch der Gang der Zeitgeschichte, der ihn tief bewegte und betrübte, hatte die christliche Freudigkeit seines Hoffens und Wirkens nicht zu dämpfen vermocht.“

Nachruf auf Karl Groos im Kirchlichen Anzeiger der evangelischen Gemeinde zu Coblenz, Nr. 48/1861

Spielt Beyschlag im letzten Satz offenbar auf das politische Engagement des jungen Karl Groos im Zeitalter der Befreiungskriege an, so geht aus seinen Zeilen doch auch deutlich hervor, wie die gesundheitlichen Einschränkungen Groos nach und nach das Leben schwer machten. Die einschneidenste Zäsur in dieser Hinsicht war allerdings ein Schlaganfall, den der 65jährige Karl Groos 1854 erlitt und der zu Lähmungen und Sprachverlust führte. Noch weitere sieben Jahre war er bettlägrig, bis er schließlich durch seinen Tod am 20. November 1861 von seinem Leiden befreit wurde. Unter großer Anteilnahme seiner früheren Gemeinde wurde er drei Tage später auf dem Koblenzer Hauptfriedhof beigesetzt.

 

Heute bloggt auch das „siwiarchiv“ über Karl Groos und widmet ihm einen Beitrag: Heute vor 230 Jahren: Karl Groos geboren. Siehe auch ein weiterer Beitrag im Blog des Stadtarchivs Koblenz: „Karl August Groos (1789-1861), evangelischer Pfarrer und Konsistorialrat in Koblenz“. Eine Blogkooperation!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert