„Wie wir erfahren haben, wird bei dem dortigen Gemeindeamt ein Halbjude beschäftigt.“ Diese Denunziation traf am 23. August 1935 bei dem Gemeindeamt der evangelischen Kirchengemeinde Essen-Altstadt ein, adressiert an Pfarrer Karl Siebel als derzeitigem Vorsitzenden des Presbyteriums. Es folgen dann Zitate aus Luthers 1543 publiziertem Gewaltaufruf „Von den Juden und ihren Lügen“. Der Brief schließt mit der gehässigen Empfehlung, diese Schrift im nächsten Essener Pfarrkonvent zu verlesen.
Bei dem Absender handelte es sich um den Verwaltungsangestellten Walter Hindrichs, der bis März 1935 in einem evangelischen Gemeindeamt in Wuppertal tätig gewesen war. Nachdem sich die Kirchengemeinde wegen seiner DC-Aktivitäten von ihm getrennt hatte, versah er in Oberhausen die Geschäftsstelle des Gau Rheinland der Deutschen Christen.
Hintergrund ist die am 22. Juli 1935 erfolgte Anstellung des Studenten Heinz Karl Ladwig als Aushilfsstenotypist im Gemeindeamt Essen-Altstadt. Er wurde 1912 geboren als Sohn des evangelischen Kohlensyndikatsbeamten Robert Ladwig und seiner jüdischen Ehefrau Bertha/Betty geb. Ruhr. Nach dem frühen Tod des Vaters 1932 und einer eigenen Erkrankung konnte er sein Bergbaustudium an der TH Aachen seit dem Frühjahr 1935 nicht mehr fortsetzen.
Die Denunziation löste in Essen-Altstadt hektische Aktivitäten aus. Noch am Eingangstag wurde Ladwig dazu genötigt, um seine Entlassung zum 31.8.1935 zu bitten. Dies ermöglichte es der Gemeinde, das DC-Schreiben ohne Gesichtsverlust als „überholt“ abzuheften. Dort haben wir es bei der Bestandsordnung unter dem unauffälligen Aktentitel „Diverse Aushilfskräfte“ entdeckt. Heinz Karl Ladwig erhielt formal korrekt ein Arbeitszeugnis, das ihm „vollste Zufriedenheit“ seines Arbeitsgebers und „tadellose Führung“ bescheinigte.
Wie verlief nun das weitere Schicksal der Familie Ladwig?
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