“Schatzsuche” – aus der Arbeitspraxis eines Archivars

Quellenrecherche Anstaltskirchengemeinde Theodor- Fliedner-WerkAnruf einer Mitarbeiterin des Kirchenkreises “An der Ruhr” in Mülheim: Es muss geklärt werden, welche Gebiete die “Anstaltskirchengemeinde bei der Theodor Fliedner Stiftung” umfasst, also wer Mitglied dieser Gemeinde ist. Dazu muss man wissen, dass es neben den “normalen” Kirchengemeinden auch solche bei den großen selbständigen diakonischen Einrichtungen gibt. Diese Umschreibungen des Gemeindegebietes stehen in der Regel in der Errichtungsurkunde, jedenfalls bei den in den letzten 150 Jahren entstandenen Kirchengemeinden. Diese Unterlagen hat man nicht greifbar, das liegt in der Vergangenheit, dafür ist das Archiv zuständig.

Der erfahrene Archivar weiß, dass die Theodor Fliedner Stiftung in Mülheim früher Diakonenanstalt zu Duisburg hieß.

Einen Überblick über diese Anstalt bietet der Artikel in Albert Rosenkranz’ Gemeinde- und Pfarrerbuch “Das Evangelische Rheinland”, Bd. 1 (1956), S. 182f. Aha, “am 1.XII.1852 bekam die Anstalt die Rechte einer selbständigen Gemeinde”. 1852 liegt vor dem Beginn des “Kirchlichen Amtsblatt des Königlichen Consistoriums der Rheinprovinz” im Jahr 1860; dort werden die Errichtungsurkunden veröffentlicht. Also keine Chance. Ein Blick in das Findbuch über die Akten der Werke der Inneren Mission – erst seit etwa 50 Jahre sagt man “Diakonie” – zeigt die nächste Pleite: Der erste Band der Akten über die Diakonenanstalt ab 1844 ist durch Kriegseinwirkung vernichtet worden!

Hilfreich könnte es nun sein, wenn es in den letzten Jahrzehnten noch eine Beurkundung gegeben hat. Da ist doch der Hinweis auf den Wechsel der Anstaltskirchengemeinde vom Kirchenkreis Duisburg nach “An der Ruhr” (Mülheim) um 1989. Die herangezogene Festschrift “Pastoralgehilfenanstalt – Diakonenanstalt – Theodor Fliedner Werk” (Köln 1994) nennt das genaue Datum: 1.4.1990. Außerdem wird dort berichtet, dass diese “mit Vertrag vom 1.4.1987 … mit den Rechten einer Kirchengemeinde … ausgestattet” wurde. Noch zwei Chancen im Amtsblatt?

Im Amtsblatt 1990 ist die Bekanntmachung des Kirchenkreiswechsels als “Urkunde zur Änderung der Urkunde über die Errichtung einer Anstaltskirchengemeinde beim Theodor-Fliedner-Werk vom 27.Mai 1953″ rasch ermittelt. Von einer Errichtungsurkunde 1953 war bislang noch nicht die Rede gewesen. Im Band 1953 ist die Suche im Inhaltsverzeichnis zunächst unter diversen Stichworten erfolglos. Aber da ist ja noch die digitalisierte Fassung des Amtsblattes. “Diakonenanstalt” ist schnell gefunden und damit die Urkunde: “Zuerkennung der Rechte einer Kirchengemeinde”. Dass das jetzt neben 1852 und 1987 die dritte Rechteausstattung als Kirchengemeinde zu sein scheint, soll jetzt nicht interessieren. In § 2 ist geregelt: “Glieder … sind die innerhalb des Anstaltsgeländes wohnenden Anstaltsinsassen und Anstaltsbediensteten.” Das ist ja schon mal eine Aussage.

Jetzt begeht der Archivar eine kleine Nachlässigkeit: Da im Inhaltsverzeichnis 1987 unter den bekannten Stichworten wie “Urkunde”, “Kirchengemeinde” nichts über die Anstaltskirchengemeinde zu finden ist, ruft er die Verwaltungsmitarbeiterin in Mülheim an und verkündet seinen Fund. Diese freut sich und bittet um einen Scan der Urkunde von 1953. Die Kollegin des Archivars, die den ersten Anruf der Mitarbeiterin aus Mülheim entgegengenommen hatte und nun den wechselvollen Gang der Recherche erfährt, regt einen Blog-Artikel darüber an, weil er einen Einblick in den Arbeitsalltag des Archivs gäbe. So, und das “i-Tüpfelchen” ist nun, dass der Archivar beim Schreiben dieses Beitrages die Recherche erfolgreich abschließen konnte, als er in der digitalisierten Fassung des Amtsblattes 1987 eine weitere “Urkunde zur Änderung der Urkunde über die Errichtung einer Anstaltskirchengemeinde beim Theodor-Fliedner-Werk vom 27.Mai 1953″ entdeckt, die detailliert das Gebiet mit jedem einzelnen Flurstück der Grundbücher (Mülheim-) Selbeck, Duisburg-Huckingen und Lintorf auflistet. Also: Trotz aller Sorgfalt bedarf es manchmal eines zweiten Anlaufes oder einfach nur eines Quentchen Glücks!

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