Kann man Pfarrer ohne Theologiestudium werden?

Ein Pfarrer hat Theologie studiert! Das ist eine der Errungenschaften der Reformation!

So heißt es allgemein. Und grundsätzlich stimmt dies natürlich. Aber keine Regel ohne Ausnahme. In diesem Fall: ohne Ausnahmen. Während und kurz nach den beiden Weltkriegen, als viele Pfarrer eingezogen oder in Gefangenschaft waren, wurden sie durch Missionare ersetzt, die nicht in ihr Missionsgebiet zurückkehren konnten. In den 1960er Jahren kamen dann noch besondere Wege ins Pfarramt hinzu, im Rheinland waren es die Gemeindemissionare.

Aber hier will ich von einer individuellen Ausnahme berichten. Wir schreiben das Jahr 1795.

 

Das linksrheinische Gebiet ist seit drei Jahren von französischen Truppen besetzt. Im April zieht sich die geschlagene preußische Armee über den Rhein zurück. Der Soldat Georg Philipp Rodrian bleibt jedoch. Er war 1751 in der Nähe von Kreuznach, in Neu-Bamberg, als Sohn des lutherischen Pfarrers geboren worden, hatte in Kreuznach das Gymnasium besucht und hätte wohl, wie viele Männer in seiner Familie, Pfarrer werden sollen. Aber er wollte nicht. Der sieben Jahre jüngere Johann Georg Webner, seit 1810 luth. Pfarrer in Meisenheim, hat ihn schon damals gekannt: „Gar wohl erinnre ich mich aus meiner Jugend, wie er das damals in ziemlichem Ruf gestandene Gymnasium meiner Vaterstadt Creutznach frequentierte. Etwa im Jahr 1768 verließ er dasselbe, und zwar, wie ich als Knabe zu beobachten Gelegenheit hatte, mit besonderem militairischem Geist. Er ging nach Halle. Sein großer und starker Körperbau, in Gemeinschaft erwähnten Geistes, brachte ihn nun gar bald unter das Königl.-Preußische Militair. Etliche und zwantzig Jahre brachte er in diesem Stande zu.“ Superintendent Webner weiß nicht, ob Rodrian formal korrekt seinen Abschied bekam. Aber 1814, als die preußische Armee, und diesmal siegreich, wieder im Lande war, bekam er keine Probleme mit ihr. Also wird es ihm 1795 irgendwie gelungen sein die Armee legal zu verlassen. Jedenfalls geht er nicht in sein Elternhaus, sondern zu einem Verwandten, der luth. Pfarrer in Hundsbach war. Sein Verwandter erkrankte bald, Georg Philipp Rodrian vertrat ihn. Es war niemand da, der dies hätte verhindern können, das zuständige Konsistorium in Zweibrücken arbeitete nicht mehr, eine neue Kirchenleitung gab es noch nicht. Bald darauf starb der Pfarrer, es gab keine Bewerber auf die Stelle. Webner schreibt dazu: „Die Gemeinde dingte sich diesen Rodrian zum Pfarrer. Ob er je examiniert worden, und durch wen? Auch das ist mir noch nie zur Kenntniß gekommen.“ Auch heute wissen wir es nicht. Nach Mitteilung der Universität Halle hat er dort jedoch nicht studiert, und von anderen Aufenthaltsorten wissen wir auch nichts. Wir müssen also davon ausgehen, daß seine einzige Qualifikation zum Pfarramt war, daß er Sohn eines Pfarrers war. Die Gemeinde muß aber mit ihm zufrieden gewesen sein, denn 1804, als die Verhältnisse endlich neu geordnet wurden, konnte er im Amt bleiben. Und er blieb es weiterhin. Auch als 1815 das Oberamt Meisenheim, und damit Hundsbach, zur Landgrafschaft Hessen-Homburg kam. Nur dem Meisenheimer Pfarrer und Präsidenten des luth. Lokalkonsistoriums Johann Georg Webner gefiel dies nicht. Dieser schrieb am 21. Dez. 1820 nach Homburg: „Was ich seit meinem Hierseyn Anfangs Jahres 1810 schon gewünscht, das scheint denn nun sich seiner Erfüllung zu nähern, daß nemlich der bißherige Pfarrer zu Hundsbach, Georg Philipp Rodrian, dem Pfarramte entzogen werden mögte.“ Aus diesem Schreiben stammen auch die obigen Zitate. Quelle: AEKiR Düsseldorf 3MB 002 ( Kirchenkreis Meisenheim),11-4

Ende des Jahres geht Georg Philipp Rodrian, im Alter von 69 Jahren, in den Ruhestand. Ihm wird, angesichts seiner fehlenden formalen Voraussetzungen, die weitere Ausübung pfarramtlicher Tätigkeiten (zum Beispiel Vertretungsübernahmen) untersagt. Am 11. Juni 1833 stirbt er in Neu-Bamberg.

Aufgrund der chaotischen Situation der Zeit ab 1792 konnte er fünfundzwanzig Jahre de facto Pfarrer der lutherischen Kirchengemeinde Hundsbach sein: ohne Studium, ohne Examen, ohne Ordination.

Findbuch >> Meisenheim PDF 89 KB

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