Ein „junges Gedächtnis“ wird gewünscht: Der Ost-West-Dienst in Berlin 1961-1975

Der Bau der Berliner Mauer durch das Regime der DDR drohte 1961 auch die Kommunikation zwischen den beiden Kanzleien der EKU in West- und Ostberlin zu unterbinden. Die Evangelische Kirche der Union, seit 1953 die Nachfolgerin der ehemaligen Kirche der Altpreußischen Union (APU), war (und ist seit 2003 nunmehr als UEK) der Verbund der unierten Landeskirchen in Deutschland und umfasste sowohl West- wie Ostkirchen.

Im Mai 1962 richtete daher Oberkirchenrat Johannes Schlingensiepen an den befreundeten Duisburger Superintendenten Vetter folgende Bitte:

„Lieber Otto! Die Kanzlei der EKU braucht 14-tägig wechselnd einen rheinischen Theologen (durchgestrichen: Pfarrer), der die Vermittlung zwischen den Kanzleien im Osten und Westen herstellt, da die West-Berliner ja selbst nicht durch die Mauer kommen. Es handelt sich dabei um fast tägliche Botengänge, um Teilnahme an den Sitzungen der Kanzleien und um Übermittlung der zur Diskussion stehenden Angelegenheiten. Die Entsandten müssen noch über ein junges (durchgestrichen: brauchbares) Gedächtnis verfügen, so dass sie entscheidende Dinge (vor allem Beschlüsse) wörtlich wiederzugeben in der Lage sind… Wir bitten dich, eine Reihe von Duisburger Brüdern für diesen Dienst willig zu machen.“

Die potentiell altersdiskriminierende Wortwahl „junges Gedächtnis“ wurde in den späteren Rundschreiben durch das neutralere „gute Gedächtnis“ ersetzt. Das Pendeln zwischen den Kanzleien in der Jebensstraße 3 (West) und Auguststraße 80 (Ost) wurde im Regelfall für 14 Tage geleistet. Bald wurden alle rheinischen Synoden angefragt und auch die westfälische und die badische Landeskirche in die Organisation dieses Kurierdienstes einbezogen. Unser Bestand Ost-West-Dienst enthält die Listen mit den Freiwilligen und die Terminplanung sowie einige Korrespondenzen. So stieß 1966 die Berufung eines für die DFU (Deutsche Friedensunion) aktiven Theologen auf Widerstand. 1970 wurden die Kuriere auf die Erfordernis hingewiesen, an der Sektorengrenze einen neuen Reisepass vorzulegen, der nach Möglichkeit auch keine Berufsangabe enthalten sollte. Ebenso sollten mit Blick auf Personenkontrollen keinesfalls schriftliche Dokumente über die Beauftragung mitgeführt werden.

Oskar Söhngen, 1945-1969 Geistlicher Vizepräsident des EOK und der Kirchenkanzlei der EKU

Erster nachweisbarer Kurier war aber bereits im September 1961 ein junger Westfale gewesen: Vikar Kock, Assistent an der Theologischen Hochschule in Bethel, hatte dabei nach der Einschätzung Oskar Söhngens von der Kirchenkanzlei „seine Sache ausgezeichnet gemacht.“ Es handelte sich um niemand anderen als den späteren rheinischen Präses und EKD-Ratsvorsitzenden Manfred Kock.

Präses Manfred Kock

Im Februar 1975 wurde der Kurierdienst eingestellt, vor allem in Hinblick auf die eingetretenen innerdeutschen Reiseerleichterungen. Nach der Wiedervereinigung wurde zum 1. Januar 1992 die Bereichsgliederung der EKU in Ost und West aufgehoben.

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