Mit der vollständigen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8./9. Mai 1945, dem Ende kriegerischer Auseinandersetzungen auf europäischem Boden (global endete der Krieg erst mit der Kapitulation des japanischen Kaiserreichs am 2. September 1945) und dem Zusammenbruch des Dritten Reiches galt es Deutschland für den demokratischen Neustart zu positionieren. Essentiell hierfür wurde die Ausmerzung der nationalsozialistischen Ideologie angesehen. Die Entnazifizierung Deutschlands wurde zur obersten Priorität und wurde dementsprechend im Schlussdokument der Potsdamer Konferenz vom 2. August 1945 festgehalten.
Im weitesten Sinne zielte die Entnazifizierung darauf ab, alles was nationalsozialistisch behaftet war – wie Gesetzgebung, Organisationen, Symbole, Schriften etc. – auszurotten. Im engeren Sinne versteht man heute darunter die Entfernung belasteter Personen aus allen wichtigen Ämtern der politischen, wirtschaftlichen wie sozialen Lebensbereiche. Die Sphäre der Kirche sollte hiervon nicht ausgenommen bleiben. Der für den Bereich der Nordrheinprovinz zuständige Major General schrieb diesbezüglich am 27. Juni 1945 recht missmutig in einem Brief u.a. an die SHAEF (Supreme Headquarters, Allied Expeditionary Force – Oberstes Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte):
„1. At the present time the one place where the German people can gather together in large numbers and yet where little check can be kept on proceedings is in their Churches.
2. At the same time the one class of Germans of standing who have not been screened is the clergy.
3. This position ist obviously unsatisfactory. Steps will be taken to have the clergy fill in Fragebogen forthwith and to have these examined in the usual way (…)“ (1OB 005 Nr. 31).
Für die Kirchenleitung im Rheinland, nach van Norden eine Koalitions-Kirchenleitung aus Vertretern der BK und des Konsistoriums, stand außer Frage, dass der Neubeginn der Evangelischen Kirche im Rheinland nur gelingt, wenn man ihre Ämter und Einrichtungen von allen schadhaften nationalsozialistischen Elementen löst. Den Kontakt zur Militärregierung in Düsseldorf suchte man daher bereits im Juni 1945 und signalisierte dieser Kooperationsbereitschaft hinsichlich der Entnazifizierung auf kirchlichem Gebiet. Erreicht werden sollte dieses Ziel durch die Errichtung von Spruchkammerverfahren und einem Entnazifizierungsausschuss.
Grundlage für die Spruchkammerverfahren war die „Ordnung für das Verfahren bei Verletzung von Amtspflichten der Geistlichen“. Diese Ordnung wurde gemeinsam von der westfälischen und rheinischen Kirche beschlossen und trat zum 1. September 1945 in Kraft. Zunächst wurden drei Kammern mit je drei von der Kirchenleitung ernannten Mitgliedern gebildet. Bis Mitte 1946 wurden sie um drei weitere Kammern erweitert. In den Spruchkammern wurden Disziplinarverfahren gegen Geistliche verhandelt, die Irrlehren verbreitet hatten und DC-Mitgliedschaften aufwiesen (nicht zu verwechseln mit den Spruchkammern in der amerik. Besatzungszone, die Entnazifizierungsauschüsse darstellten). Bei einer Verurteilung konnten drei Arten von Strafen verhängt werden: Entlassung aus dem Dienst der Kirche, Entlassung aus dem Amt oder die Versetzung. Gegen das Urteil der Spruchkammerverfahren konnte man Berufung beim Rechtsausschuss der eigenen Kirche einlegen. Dieses Urteil konnte angefochten werden, indem man in Berufung beim Rechtsausschuss der anderen Kirche ging. Dieses Urteil war dann aber endgültig.
Im Entnazifizierungsausschuss, dem sog. „Denazification Panel for the Ev. Church of North Rhine Westphalis“, lag der Fokus nicht auf der Verbreitung etwaiger Irrlehren. Hier sollte vielmehr überprüft werden, ob bei Mitarbeitenden der Kirche eine Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Gliedorganisationen vorlag und damit gemäß den Verordnungen der Alliierten ausschlaggebend für ein Berufsverbot wäre. Parteiliche Aktivitäten sollten mit Fragebögen eruiert werden, womit bereits im Oktober 1945 begonnen wurde. Die Entnazifizierung wurde jedoch nicht einheitlich verfolgt. Die britische Militärregierung beschloss etwa, dass Pfarrer in ihrer Zone einen von der Education and Religious Affairs Branch ausgearbeiteten spezifischen Fragebogen („Fragebogen for Clergy“) auszufüllen hatten. Dieser Fragebogen wurde nicht in der französischen oder amerikanischen Besatzungszone verwendet. Das Gouvernement Saar hatte wiederum einen eigenen speziellen saarländischen Fragebogen.

Bestand 1OB 005

Bestand 1 OB 005

Bestand 1 OB 005
Die brit. Zonen-Instruktion Nr. 3 vom 17. Januar 1946 sah vor, dass deutsche Entnazifizierungsausschüsse eingerichtet werden sollten, die die Fragebögen bearbeiten und mit einer Urteilsempfehlung an die zuständigen Besatzungsoffiziere der Public Safety Branch zukommen lassen sollten. Der Rheinischen Kirche wurde gestattet eigene Ausschüsse zu bilden. Die französische Militärregierung überlies die Entnazifizierung der Pfarrern ebenfalls weitesgehend der Kirche. Die ausgefüllten Fragebögen sollten über die jeweiligen Superintendenten nach Düsseldorf verschickt werden. Im Gegensatz zur britischen griff die französische Militärregierung aber bei benannten Verdächtigen mit Verhaftungen härter durch.
Am 15. März 1946 richtet die Kirchenleitung zur Bearbeitung der Fragebögen einen Entnazifizierungsausschuss ein. Gemäß den Vorgaben der Militärregierung hatte er aus Theologen (Beckmann, Held, Schlingensiepen, Rößler) und Laien zu bestehen (Juristen Ulrich, Dr. Schulze zur Wiesche und Regierungsdirektor Luyken). Rößler wurde später durch den Rechtsanwalt Wenderoth ersetz und Dr. Schulze zur Wiesche schied aus. Der Ausschuss hatte alle eingereichten Fragebögen zu sichten und ggf. bei politisch Belasteten Sanktionen zu verhängen. Alle Unterlagen, samt Anhängen wie Entlastungsbescheinigungen („Persilscheine“) sowie entsprechende Sanktionsvorschläge wurden anschließend an die Militärregierung gesandt. Die dortigen eingesetzen Sachbearbeiter prüften wiederum alle Dokumente, die dann entweder genehmigt oder abgelehnt wurden. Eingebrachte Einsprüche konnten vor Revisionskammern, deren Mitglieder ebenfalls von der Kirchenleitung ernannt wurden, verhandelt werden. Wie beim Entnazifizierungsausschuss mussten diese von der Militärregierung bestätigt werden. Gleichwohl man die Kirche in den Entnazifizierungsprozess einbezog, behielt sich die Militärregierung im Zweifelsfall immer die finale Urteilssprechung vor. Erst im Sommer 1949 kamen alle Entnazifizierungsmaßnahmen zum Abschluss.
Die Dokumente zu den Spruchkammerverfahren und zur Entnazifizierung bilden im Archiv der EKiR den Bestand 1 OB 005, der nun digitalisiert vorliegt. Im Zuge der Digitalisierung wurde auch das Findbuch retrokonvertiert und ergänzt. Alle Digitalisate finden sich auf der Website unter „Digitale Angebote“.