„Vorsicht ist besser als Nachsicht“ ist ein für alle Archive universell geltender Leitspruch, wenn es um Notfallvorsorge und Notfallmanagement geht. Wie wichtig diese Themen für Archive sind, zeigen die folgenschweren Katastrophen und Havarien, die sich national und international allein in den letzten zwei Dekaden ereignet haben. Dazu gehören etwa das Elbhochwasser 2002, der Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek 2004, der Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009, der Brand im Nationalmuseum in Rio de Janeiro 2018, das Feuer im Krakauer Stadtarchiv 2021 und einige Monate später die Hochwasserkatastrophe in Deutschland (unser Kollege aus Boppard berichtete aus Bad Neuenahr). Die Hiobsbotschaft der russischen Invasion der Ukraine 2022 und die dabei gezielte Zerstörung ukrainischen Kulturerbes machten erneut deutlich, wie wichtig der Schutz unserer Kulturgüter ist. Der 55. Rheinische Archivtag 2022 widmete sich daher ganz dem Thema des Katastrophen- und Krisenmanagements.
Notfallvorsorge und Notfallmanagement sind integrale Elemente der Bestandserhaltung und somit Teil des Aufgabenspektrums archivischer Arbeit. Jedes Archiv hat also die Pflicht, sich Gedanken zu machen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um sich bestmöglich für Notfälle zu wappnen. Glücklicherweise müssen Archivar:innen hier das „Rad“ nicht neu erfinden. Vielmehr kann man mittlerweile auf zahlreiche Literatur, Handlungsempfehlungen oder Online-Kurse (https://bestandserhaltung.eu/) zurückgreifen. Im Rheinland hat man zudem die Möglichkeit den Ernstfall sogar zu proben. Denn das LVR-Archivberatungs-und Fortbildungszentrum bietet jährlich ein Seminar mit Workshop zur Notfallvorsorge in Archiven, Bibliotheken und Museen an.
Das eintägige Seminar gliederte sich in einen Theorie- und einen Praxisteil. Matthias Senk vom LVR-AFZ referierte zum Einstieg über Notfallmanagement im Archiv. Er verwies darauf, wie wichtig Vorsorge und Prävention für Archive sein kann. Zur Vorsorge gehöre etwa für etwaige Probleme im Archiv und in der eigenen Verwaltung zu sensibilisieren, Risiken zu analysieren (Risikomatrix), die eigenen Magazine für Notfälle vorzubereiten (Verpackung der Bestände, Bergungswege ablaufen, Bestände priorisieren, Digitalisierung) und natürlich die Erstellung eines auf das eigene Haus zugeschnittenen Notfallplans (z.B. Bereithaltung von Kontaktdaten der Mitarbeitenden, Dienstleister, Workflows). Interessant war der Hinweis, dass man mittels online zugänglicher Hochwasser- oder Niederschlagskarten ermitteln kann, ob das eigene Archiv in einem möglichen Überschwemmungsgebiet liegt oder nicht. Eine schnelle Google-Recherche zeigte, dass das für das Archiv der EKiR zum Glück nicht der Fall ist (klopf auf Holz!).
Um Feuer- oder Wassernotfälle im Archiv ging es anschließend im Vortrag von Anna Katharina Fahrenkamp. Das oberste Gebot in jedem Notfall ist der Schutz von Menschenleben vor Kulturgut! Gehandelt wird nur, wenn die Sicherheit für alle Beteiligten gewährleistet ist, z.B. erst wenn die Feuerwehr grünes Licht gibt. Anhand verschiedener Schadensbilder wurde der Blick der Kursteilnehmenden für potentielle Gefahrenquellen geschärft (Elektrogeräte, Wasserleitungen). Gleichzeitig wurde aufgezeigt, wie man diese am Besten von Beginn an vermeidet (Magazinbau, Warn- und Meldeanlagen). Weiter ging es um Schutzkonzepte, Maßnahmen und Übungen. Besonders informativ waren die „first steps“ und die Frage, wie in einem konkreten Notfall zu handeln ist. Durchgespielt wurden die ersten Schritte und Handlungsabläufe am Beispiel eines Wasserschadens. Von der Schadensdokumentation über die Bergung und Erstversorgung bis schließlich hin zur Nachsorge wurden alle Aktionen genau erklärt, sodass man einen ersten wichtigen Überblick erhielt.
Theoretisch geschult ging es für die Teilnehmenden nach einer leiblichen Stärkung nun ans Eingemachte. In zwei Gruppen wurde das Erlernte in zwei parallel stattfindenden Workshops einem Test unterzogen. Im Workshop zu Feuer wurde der Frage nachgegangen, wie man sich bei einem Entstehungsbrand verhalten sollte. In einer Löschübung wurde der Umgang mit einem Feuerlöscher erklärt und jede:r Kursteilnehmer:in durfte die Handgriffe selber anwenden und ein kleines Feuer löschen. Besonders anschaulich war die Demonstration an den Archivalien (selbstverständlich wurden hierfür nur kassable Unterlagen verwendet). Es wurde aufgezeigt, welchen Schaden Feuer an Archivalien anrichten kann und welche erste wichtige Schutzbarriere Archivkartons darstellen können. Aufschlussreich war zu sehen, welche unterschiedlichen Ergebnisse verschiedene Löschmittel (Wasser, Schaum, Pulver) haben und welches Löschmittel (Wasser) für Archive am geeignetsten ist, besonders mit Blick auf die Nachsorge der Archivalien.
Im nächsten Workshop ging es um das Verhalten und Vorgehen bei einem Wasserschaden. D.h. das Schadensbild muss dokumentiert werden (Bild, Video), geschädigte Objekte sollten gekennzeichnet werden (Magazin, Regal, Bodennummer) bevor sie geborgen und zu einer Erstversorgungstation gebracht werden. Hier werden sie grob gesichtet und je nach Schädigungsgrad wird entschieden, ob sie luftgetrocknet werden können oder zuerst gereinigt werden müssen. Ist letzteres der Fall kommt das verschmutzte Gut zu einer Grobreinigungsstation, wo man mit klarem Wasser Verschmutzungen wie Dreck oder Schlamm abspült. Wichtig ist, dass man dabei die Archivalien nur von außen reinigt (mit einer Brause oder Schwamm) und nicht etwa Akten öffnet, um zwischen den Unterlagen zu reinigen. Dies könnte die Archivalien nämlich weiter beschädigen. Anschließend gelangen die Archivalien zu einer Verpackungsstation, wo sie in Folie gewickelt, dokumentiert und so für den Transport und die Gefriertrocknung vorbereitet werden.
Es heißt ja siebenmal gelesen ist so viel wert, wie einmal geschrieben. Ähnlich ließe sich diese Analogie auf die Notfallvorsorge anwenden. Es ist wichtig und richtig, sich in die Themen der Notfallvorsorge und des Notfallmanagements einzulesen und sich damit näher auseinander zu setzen. Ein zusätzlicher Workshop mit einem konkreten Übungsfall wirkt aber besonders einprägsam, veranschaulichend und lehrreich. Sicherlich ist ein Workshop keine Garantie dafür, sich im Falle des Falles „richtig“ zu verhalten. Auch kann nichts und niemand jemanden auf ein Jahrhunderthochwasser vorbereiten oder auf einen Brand, der das ganze Gebäude erfasst. Aber eine praktische Übung kann helfen, das Gefühl der Hilflosigkeit und der Überforderung zu mindern und sich ggf. in einem Notfall schneller zu orientieren. Dann heißt es: „first steps first“ und jedes Vorwissen kann extrem hilfreich sein. Schließlich macht ja Übung bekanntlich den Meister.