Neujahrsgedicht von Carl Jatho

Neujahrsgedicht von Carl Jatho

Das neue Jahr hat nun auch im Landeskirchenamt und damit auch im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland begonnen. Mit vielen guten Vorsätzen geht es wieder ans Werk. Der eine hat sich vielleicht vorgenommen, etwas ordentlicher zu sein, der andere möchte gelassener an die Herausforderungen des Alltags herangehen, ein wieder anderer gibt das Rauchen auf… Fast jeder kennt diese Vorhaben, die mit dem Jahreswechsel einhergehen. Das war wohl auch um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert nicht anders.

Den Kern solcher Vorsätze hat der Kölner Pfarrer Carl Jatho (1851-1913)  in diesem kurzen Gedicht in seiner 1906 veröffentlichten Neujahrspredigt über 1. Petrus 4, 8-11 mit dem etwas martialisch anmutenden Titel „Treu bis in den Tod“ beschrieben:

Niemals, niemals wird auf Erden
Wahrer Gottesfriede werden,
Wenn wir nicht in mächt’gem Ringen
Unser eignes Selbst bezwingen;
Wenn wir nicht in heil’gem Streiten
Die Vernunft zur Wahrheit leiten;
Wenn wir nicht die Herzen wenden,
Liebe wecken, Segen spenden.
Aus uns selbst wölbt sich die Brücke
Zu des Friedens goldnem Glücke.

Pfarrer Carl Jatho

Pfarrer Carl Jatho

Bekannt geworden ist Carl Jatho (1851-1913) nicht nur als begnadeter Prediger – die Kölner Kirchen sollen von Anfang an voll gewesen sein, wenn Jatho predigte -, sondern auch als erster und lange Zeit einziger Pfarrer, der aufgrund des preußischen Irrlehregesetzes von einer Spruchkammer seines Pfarramtes enthoben wurde: Der sogenannte „Fall Jatho“. Nach seinem Studium der Theologie in Marburg und Leipzig war Jatho zunächst Pfarrer an der deutschsprachigen Gemeinde in Bukarest und in Boppard, bevor er 1891 nach Köln kam. Seine Ansichten waren liberal und pantheistisch. Der „Glaube an Menschenwert und Menschenglück ist [für ihn] die höchste Religion, der festete Halt im Leben. Denn es ist Gott selbst, an den wir auf diese Weise glauben.“ Die Göttlichkeit Jesu lehnte er ab, ebenso die Erlösungslehre und das Jenseits – und damit die Grundpfeiler des christlichen Glaubens. Auch in dem voranstehenden Neujahrsgedicht wird dieser Geist deutlich.

Durch die Veröffentlichung seiner Predigten stieg seine Bekanntheit. Presse und Kollegen widmeten sich seinen Texten in kontroversen Diskussionen, sodass sich der Evangelische Oberkirchenrat (EOK) in Berlin zum Eingreifen veranlasst sah. Es blieb aber erst einmal bei Ermahnungen.

Erst im Jahr 1910 eröffnete der EOK das Lehrbeanstandungsverfahren gegen Carl Jatho. Der Urteilsspruch im folgenden Jahr verkündete Jathos Entlassung aus dem Pfarramt. Der EOK hielt ihn für nicht mehr tragbar.

Ausgetreten ist Jatho deswegen nicht aus der Evangelischen Kirche. Spaltungen und Abgrenzungen innerhalb der Religionen hielt er für einen falschen Weg.

Was aus dem „Fall Jatho“ einen wirklichen „Fall“ machte, war wohl eher die generelle Frage, ob es einer evangelischen Kirche zusteht, Amtsenthebungen aufgrund von Lehrbeanstandungen auszusprechen, als die konkrete Auseinandersetzung mit den Lehren Jathos. Interessant zu lesen sind seine Texte trotzdem.

 

Lit.: Siegfried Kuttner, Pfarrer Carl Jatho, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlands, Jg. 52 (2003), S. 213-224;

Thomas Martin Schneider, Der Fall Jatho. Irrlehrer oder Opfer?, in: Joachim Conrad/ Stefan Flesch u.a. (Hrsg.), Evangelisch am Rhein. Werden und Wesen einer Landeskirche, Düsseldorf 2007, S. 182-184

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