Ein Kirchenbuch als Hingucker
Kirchenbücher sind normalerweise nüchterne Amtsbücher. Auf oftmals eng beschriebenen Seiten verzeichneten der Pfarrer die Namen der Getauften, Verheirateten und Begrabenen und fungierte damit vor Einführung des staatlichen Zivilstandswesen als eine Art Standesbeamter. Diese Funktion der Kirchenbücher als Personenstandsbeurkundungen, die sie für heutige Familienforscher zu so wertvollen Quellen macht, lässt manchmal in Vergessenheit geraten, dass die Kirchenbücher ursprünglich keinen primär juristischen, sondern vor allem einen theologischen Zweck erfüllen sollten.
Das Aufkommen von Kirchenbüchern ist in Deutschland nämlich eng verbunden mit der konfessionellen Entwicklung im Gefolge der Reformation. Seit das Luthertum der katholischen Kirche die alleinige Zuständigkeit für das Seelenheil der Menschen streitig machte (und erst recht nachdem es mit dem reformierten Bekenntnis noch eine dritte Konfession gab) wurde es zunehmend wichtig, einen genauen Nachweis darüber zu haben, wer denn tatsächlich der “richtigen” Glaubensgemeinschaft angehörte. Dies war der ursprüngliche Zweck der Kirchenbücher.
Manch ein Pfarrer der Zeit vor 1800 hat sich auch bei der äußeren Gestaltung der Kirchenbücher von dieser theologische Dimension leiten lassen. Ein besonders schönes Beispiel hierfür ist aus Langenlonsheim überliefert. Nachdem das bisher benutzte Buch der reformierten Gemeinde im Januar 1752 vollgeschrieben war, begann Pfarrer Johann Heinrich Sollingius einen neuen Band und fertigte hierfür ein liebevoll gestaltetes Titelblatt an. Die geistliche Bedeutung der Kirchenbuchführung drückte er durch ein Wort Jesu aus, das er, umrahmt von zwei Engeln, ganz oben auf die Seite setzte: “Freuet euch, dass euere Namen im Himmel geschrieben sind.” (Luk 10, 20). Wer in diesem Buch verzeichnet ist, so wollte er ausdrücken, wer also der reformierten Konfession angehört, der kann getrost darauf vertrauen, auch bei Gott seinen Platz zu haben.
Diese Selbstvergewisserung war in einem Ort wie Langenlonsheim, in dem reformierte, lutherische und katholische Christen nicht nur nebeneinander lebten, sondern auch die gleiche Kirche benutzen mussten, offenbar von besonderer Wichtigkeit. Wie war es zu dieser konfessionellen Gemengelage gekommen? Langenlonsheim gehörte zur Kurpfalz, deren Geschichte seit dem 16. Jahrhundert von häufigen Konfessionswechseln geprägt war. 1556 war das Land lutherisch geworden, doch schon sieben Jahre später trat Kurfürst Friedrich III. zum reformierten Bekenntnis über. Sein Sohn kehrte 1576 wieder zum Luthertum zurück, der Enkel wurde 1583 erneut reformiert – und die kurpfälzischen Pfarreien mussten diesen Wechsel jedes Mal mit vollziehen! Als im Dreißigjährigen Krieg die Spanier die Kurpfalz besetzten, wurde ganz Langenlonsheim zwangskatholisiert.
Es waren schließlich die schwedischen Truppen, die erstmals ein Nebeneinander der drei Konfessionen zuließen, wenn sie auch die Lutheraner bevorzugten. Nach dem Krieg blieb der Trikonfessionalismus in der Kurpfalz bestehen, doch unterstützte das reformierte Herrscherhaus nach Kräften die eigene Konfession. Die Langenlonsheimer Katholiken etwa durften die Kirche nicht mehr benutzen und mussten für ihre Gottesdienste nach Kreuznach gehen. Das änderte sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als eine katholische Linie des Herrscherhauses an die Macht gekommen war, die nun wieder die katholische Gemeinde förderte, unterstützt von den französischen Besatzungstruppen, die 1688 in die Pfalz eingefallen waren. Seit 1697 fanden deshalb neben der reformierten auch wieder katholische Gottesdienste in der Langenlonsheimer Kirche statt, ab 1700 außerdem auch lutherische.
Man kann sich also vorstellen, dass die Frage, welche Konfession denn nun eigentlich die selig machende sei, die Menschen im Langenlonsheim des 18. Jahrhunderts sehr bewegte, dass sie ein großes Bedürfnis nach Selbstvergewisserung in konfessionellen Dingen hatten. Das Titelblatt des reformierten Kirchenbuchs von 1752 zeugt von diesem Wunsch. Es ist zugleich ein schönes Beispiel dafür, dass ein kirchliches Amtsbuch der Frühen Neuzeit nicht nur rein verwaltungspraktischen, sondern durchaus auch theologischen und sogar ästhetischen Ansprüchen genügen konnte.