Eine Polit-Posse oder: Demokratieverständnis bedarf der Einübung

Luise Rehling am Schreibtisch (Quelle: Konrad Adeanuer Stiftung / Archiv für Christlich-Demokratische Politik (KAS/ACDP)

Luise Rehling am Schreibtisch (Quelle: Konrad Adeanuer Stiftung / Archiv für Christlich-Demokratische Politik (KAS/ACDP)

Im Juni 1955 sollte die CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Luise Rehling als Referentin bei einer Tagung der Evangelischen Akademie in Mülheim/Ruhr mitwirken. Auf direkte Weisung des damaligen Präses Heinrich Held wurde sie kurzfristig ausgeladen. Was war der Hintergrund dieser Aktion und was waren die Folgen?

Anfang Mai 1955 stand Dipl.-Volkswirt Martin Donath, Mitarbeiter der Evangelischen Akademie in Mülheim/Ruhr vor den üblichen Schwierigkeiten eines Tagungsplaners. Am 9.-12. Juni sollte wieder eine sog. Sekretärinnentagung stattfinden. Unter dem schönen Titel „Weltmacht Sekretärin? Mensch unter Menschen“ wurden ca. 60 Mitarbeiterinnen aus Wirtschaft und Verwaltung erwartet. Als aktuelles politisches Vortragsthema wollte Donath „Die gesamtdeutschen Probleme nach der Ratifizierung der Verträge“ anbieten. Hierfür wandte er sich an die CDU-Bundestagsabgeordnete und spätere erste Bundesministerin Dr. Elisabeth Schwarzhaupt. Diese war terminlich verhindert und schlug stattdessen ihre Fraktionskollegin Dr. Luise Rehling vor. Auf die Anfrage Donaths sagte Frau Rehling am 11. Mai den Vortrag zu.

Sekräterinnentagung 1955

Was der fleißige Briefschreiber Donath nicht bedacht hatte, war ein Vorfall, der sich am 18. Dezember 1954 im Deutschen Bundestag zugetragen hatte. Bei der Aussprache über die Pariser Verträge (Ende des Besatzungsstatuts, Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu WEU und NATO) hatte Fritz Erler von der SPD auf das sog. Düsseldorfer Wort verwiesen, das von mehreren evangelischen Funktionsträgern vor allem aus dem rheinisch-westfälischen Raum eingebracht worden war. Es äußerte sich kritisch gegen die geplante Abstimmung und war auch vom rheinischen Präses Heinrich Held unterzeichnet worden. In der lebhaften Debatte hatte dann Frau Rehling folgenden Zwischenruf an Erler gerichtet:

„Ich möchte Sie fragen, ob Sie der Überzeugung sind, dass diese Pfarrerbruderschaften und die Kirchenpräsidenten, die uns diese Erklärungen zugesandt haben, über die nötigen Sachkenntnisse verfügen oder ob es sich hier um völlig risikolose Stellungnahmen handelt, durch die wir in unserer politischen Entscheidung beeinflusst werden sollen.“

Der Präses als Hausherr der Akademie wies Donath nun an, die Abgeordnete wieder auszuladen. Dieser peinlichen Aufgabe versuchte sich Donath durch einen Brief vom 31. Mai 1955 zu entledigen, der von Frau Rehling postwendend am 2. Juni beantwortet wurde. Der gut vernetzten und erfahrenen Politikerin fiel es nicht schwer, entsprechenden Gegendruck aufzubauen. Am 16. Juni wandte sich eine Gruppe von sechs Bundestagsabgeordneten der CDU an den Präses. Unter ihnen waren so prominente und kirchennahe MdBs wie der Kölner Bankier Robert Pferdmenges und Gisela Praetorius, Ehefrau des während der NS-Zeit inhaftierten Pfarrers Will Praetorius. Sie baten um Aufklärung über das Vorgehen gegen ihre Fraktionskollegin und resümierten:

„… Auf diese Weise ist das Referat von Frau Dr. Rehling nicht zustande gekommen als Folge eines Vorgehens, das uns so ungewöhnlich und mit dem Geiste einer christlichen Kirche so wenig vereinbar erscheint, daß wir Sie herzlich bitten möchten, uns eine aufklärende Darstellung und persönliche Stellungnahme hierzu zu geben.“

Nach einem Erinnerungsschreiben vom 16. Juli stellte Held ein Treffen nach seinem Urlaub in Aussicht. Am 15. Oktober schrieb der nunmehr von den Abgeordneten beauftragte Remscheider Notar und Landessynodale Erwin Krefting und bat um dringende Erledigung. Hierauf verwies Held am 17. Oktober auf „das Gedränge dienstlicher Verpflichtungen“ und die jetzt anstehende Landessynode, nach deren Beendigung er sicher Anfang November einen Termin vereinbaren werde. Am 10. November kündigt Krefting an, er weile am 21. November in Düsseldorf und würde gern in der Inselstraße 10, dem Amtssitz des rheinischen Präses, vorsprechen. Hierauf wendet sich Präses Held am 14. November 1955 an seinen westfälischen Amtsbruder Wilm in Bielefeld:

„Im Laufe des frühen Sommers war auf meine Veranlassung Frau Rehling von einem Vortrag im Haus der Begegnung entbunden worden. Diese Ausladung hat mir einen nicht unerheblichen Anpfiff einiger Bundestagsabgeordneter eingetragen. In Kürze soll über diese Angelegenheit verhandelt werden. Da ich mich damals aus Gründen der Solidarität mit Euch zu diesem Schritt entschlossen hatte, wäre es mir lieb, von Dir über Euer jetziges Verhältnis zu Frau Rehling in Kenntnis gesetzt zu werden.“

Eine Antwort ist nicht überliefert, ein Treffen kam weiterhin nicht zustande. Krefting schrieb nun am 22. Dezember an Oberkirchenrat Joachim Beckmann, den Stellvertreter des Präses, und erinnerte an die notwendige Erledigung der „Angelegenheit“. Nach einer weiteren Erinnerung im Januar bequemte sich Held zur Einberufung einer Besprechung am 1. Februar 1956. Dieser Termin fand nun auch definitiv statt, wie wir aus einem Schreiben Kreftings einige Wochen später erfahren. Es ist aber kein Protokoll o. ä. überliefert, weder in den kirchlichen Akten noch in dem im Bundesarchiv verwahrten Nachlass Rehling. Der genaue Teilnehmerkreis und vor allem die Beantwortung der Frage, ob der schwelende Konflikt dabei ausgeräumt werden konnte, sind nicht zu klären. Es gibt aber ein starkes Indiz, dass es zu keiner Verständigung gekommen ist: In dem Brief Kreftings nach der Besprechung mahnt er nochmals „den Aufsatz von Herrn Professor Thielicke in der Zeitschrift Evangelische Verantwortung“ an, den der Präses ihm hatte zur Verfügung stellen wollen. Es handelt sich um Helmut Thielickes Beitrag „Kirchlicher Neutralismus“ (Evangelische Verantwortung 1955/1, S. 8-13). Darin nimmt er die Unterzeichner des Düsseldorfer Wortes ausdrücklich in Schutz vor „diffamierender Verharmlosung“ seitens einiger Zwischenrufer im Bundestag.

Im Rückblick lässt die Kontroverse nur Verlierer zurück. Der polemische Debattenbeitrag von Frau Rehling löste eine ebenso nicht gerechtfertigte Retourkutsche seitens des Präses aus. Einer klärenden Aussprache entziehen sich in der Folge beide Seiten. Den Umgang mit nicht genehmen Meinungsäußerungen musste die junge Bundesrepublik noch kräftig üben.

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