Geschichte in Geschichten

Ein Praktikum im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland

 

Man kennt ihn mitunter hauptsächlich aus Geschichten – den Archivar.  Ein alter, grauhaariger Mann mit Brille sitzt in einem Ohrensessel hinter einem Schreibtisch, um ihn Türmen sich Bücher, Akten, lose Papiere auf Boden, Tischen und in zahllosen Schränken. Kontakt mit Mitarbeitern und Nutzern pflegt er selten, lieber wacht er aufmerksam über seine papierenen Schätze und ist stets darauf bedacht, diese sorgsam zu be- und verwahren. Dass dieses Bild jedoch heutzutage bereits selbst Geschichte ist, habe ich während meines Praktikums im Archiv der EKiR erfahren.

 

Die ersten zwei Tage der vierwöchigen Praktikumszeit verbrachte ich mit einer  archivtypischen Aufgabe: dem Recherchieren. Dabei sollte sich bereits vom ersten Moment an das Internet als bedeutendstes Hilfsmittel herausstellen. Im Nachlass Dr. J.F. Gerhard Goeters‘  (7NL 015) befindet sich eine Kupferstichsammlung Stiche Band 855 (PDF 57 KB), die zahlreiche (oft nur regional bekannte) evangelische Geistliche des 16. bis 18. Jahrhunderts porträtiert. Mithilfe der Hinweise, die die Konterfeis mir zur jeweiligen Person lieferten, ermittelte ich ihre (volkssprachlichen) Namen, die Lebensdaten und Wirkungsorte der Theologen. Auch Besonderheiten mancher Bildnisse, wie zum Beispiel eingefügte Wappen, biblische Symbole oder charakteristische Gegenstände wurden im Findmittel vermerkt. Oft ertappte ich mich während dieser Aufgabe dabei, noch mehr über eine besonders interessante Persönlichkeit herausfinden, in ihrer Geschichte lesen zu wollen. Oftmals bleibt den ArchivarInnen jedoch keine Zeit, mit Geschichten des Archivs dem eigenen Forschungsinteresse nachzugehen, denn an Arbeit mangelt es ihnen nie.

Im Anschluss sollte ich mich nun für zwei Wochen meiner Hauptaufgabe widmen: dem Nachlassfragment des Superintendenten Dieter Munscheid (7NL 037) in seiner Funktion als Vorsitzender des Öffentlichkeitsausschusses der EKiR. Die Handakten wurden sortiert und chronologisch bzw. thematisch gegliedert, von Metall befreit und in säurefreie Mappen umgebettet, in Archivkartons verpackt und eingelagert. Von besonderer Bedeutung war jedoch das Entwickeln einer Bestandsklassifikation und das Erstellen des Findbuchs (PDF 34 KB), um den Bestand der Öffentlichkeit und den Nutzern zugänglich und recherchierbar zu machen. Auch an dieser Stelle ist die Arbeit mit einem Computer und das Pflegen und Verwalten der Webpräsenz und Onlinedatenbank des Archivs unumgänglich, die Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft  besonders spürbar.

Umkartonierung

Umkartonierung – alt gegen neu (10B 008 Ortsakten)

In den letzten 1,5 Wochen meines Praktikums lernte ich das ganze Spektrum der Archivarbeit kennen. Ich half beim Umbetten alter Ortsakten (Kirchengemeinden), dem Beantworten von Nutzeranfragen und begann damit, eine große Fotosammlung (Hans Lachmann 8SL 071) zu verzeichnen. Besonders aufschlussreich war für mich ein Termin in der Registratur des LKA. Auch dort ist modernste Technik ein unabdingbarer Faktor für die tägliche Arbeit und ein Garant für das Wiederauffinden sämtlicher Schriftstücke neueren Datums. Darüber hinaus hatte ich die Möglichkeit, an zwei Außenterminen teilzunehmen und meine paläographischen Fähigkeiten auf die Probe zu stellen.

Ich habe in den vier Wochen vieles gelernt. Über die Strukturen des  Archivs der EKiR und die rheinische Kirchengeschichte, die Bedeutung von Ordnung und Registratur, Archivpflege und Bestandserhaltung, vor allem aber über die vielfältigen Arbeitsfelder und das Archiv als Vermittlungsort zwischen Vergangenheit und Moderne. Dies spiegelt sich vor allem in den Aufgaben eines Archivars oder einer Archivarin der neuen Generation wider. Neben klassischen, fast schon historischen Tätigkeiten wie Recherchieren, Ordnen, Strukturieren, Verzeichnen und Umbetten der Bestände (physische Fitness ist hier nicht zu vernachlässigen!) gehören vor allem IT-Kenntnisse und die Präsenz in den modernen Medien zum Arbeitsalltag vieler (junger) Archivare und Archivarinnen,  die mit frischen Ideen archivische Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Ziel ist es, sich selbst einen Namen im World Wide Web zu machen und mögliche Nutzer auf das Archiv und seine Bestände aufmerksam zu machen. So ist zum Beispiel der Blog des Archivs der EKiR eine moderne und spannende Möglichkeit, sich über Ereignisse, Personen und Archivalien rund um die Evangelische Kirche im Rheinland zu informieren und auszutauschen.

Es ist also an der Zeit, die verstaubte Brille ab- und sich selbst an den Computer zu setzen. Das Archiv ist längst in der Gegenwart angekommen und freut sich auf jeden Nutzer der online oder vor Ort in seinen Geschichten stöbern mag.

Anna Krakowski, Studentin der Universität Duisburg-Essen

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