Bei den Vorbereitungen zur Sicherheitsverfilmung des Bestands „Konsistorium der Evangelischen Kirche der Rheinprovinz“, Signatur: 1OB 002, fand unsere Mitarbeiterin Marlis Stempel in der Akte Nr. 2189 einen Umschlag mit 24 Fotos des Kinderlagers in Hünxe. Der Fotograf war der Provinzialjugendpfarrer Theodor Voß. Diese Aufnahmen fügte er einem Schreiben an Konsistorialrat Euler bei, in dem er um weitere finanzielle Unterstützung bat. Ihm wurden 600 RM aus dem „Jugenderholungsfürsorgefond“ bewilligt.
Das Zeltlager fand auf dem Katerbergköppel statt, den die Evangelische Kirchengemeinde Hünxe 1931 erwarb und der provinzialkirchlichen Jugendarbeit zur Verfügung stellte. Er lag unmittelbar neben der Jugendherberge Hünxe und war ca. 60 Morgen groß, verfügte über Wiese, Wald und Heide sowie einen kleinen Badeteich. Mit Hilfe des Freiwilligen Arbeitsdienstes (FAD) wurde der Platz ausgebaut und Baracken und Gebäude errichtet. Im Herbst 1931 fanden die ersten beider Kinderlager statt. 1938 schloss die Staatspolizei das Lager.
Die ersten zwölf Aufnahmen dokumentieren das Zeltlager der Jungen am 10. August 1932 und die zweiten zwölf Aufnahmen die Anreise der Mädchen mit dem Zug und dem Autobus am 18. August 1932. Voß hat jedes Foto mit wenigen Stichworten versehen. Einen Teil der Fotos präsentieren wir Ihnen hier mit der Bitte, uns zusätzliche Informationen zu geben. Wenn in Ihrem Familienalbum weitere Bilder zu diesem oder anderen evangelischen Kinderlagern (Jugendferienlagern) zu finden sind, würden wir uns freuen, wenn Sie uns diese für unsere Fotosammlung überlassen könnten (Adresse: Evangelische Kirche im Rheinland, Landeskirchliches Archiv, Hans-Böckler-Straße 7, 40476 Düsseldorf). Selbstverständlich können wir Ihre Fotos einscannen und sie anschließend an Sie zurücksenden.
Stichwort: Kinderlager
Die evangelischen Kinderlager entstanden in Reaktion auf die Arbeit der „sozialistischen Kindernfreunde“. Jenseits der bündischen Jugend (Bibelkreise, Jungschar, Pfadfinder) sah die evangelische Kirche die Notwendigkeit, Kinder anzusprechen, deren Eltern keine oder nur eine lockere Bindung an ihre Kirche hatten. Die wirtschaftliche Not Ende der 1920ziger Jahre, insbesondere die grassierende Kinderarmut, verschärft durch rigide Einsparungen kommunaler und staatlicher Träger der Sozialhilfe, veranlasste die evangelische Kirche, diese Arbeit aufzunehmen. Schlesien und Schleswig-Holstein machten 1929 den Anfang, Hamburg, Sachsen, Braunschweig und Westfalen folgten 1930 mit eigenen Kinderlagern. 1931 wurden bereits über 6000 Kinder betreut.
Zielgruppe war vornehmlich die „gefährdete“ Jugend der großen Städte und Industriebezirke. In den Lagern sollten sich die Kinder in erster Linie körperlich erholen und kräftigen. Zugleich sollen sie in „eine fröhliche und gesunde Lebensgemeinschaft [sc. hineingestellt werden], in der sie all das finden, was sie zu Hause entbehren müssen“. Evangelisches Kinderlager will „Lebensgemeinschaft sein auf bewußt christlicher Grundlage; es dient damit von selbst dem sozialen Ausgleich, der Bejahung des Staates und der Familie, der Liebe zu Volk und Heimat.“ Die Gemeinschaft in den Lagern fußt auf „einen sorgfältig durchdachten, wohlgeordneten Ablauf der täglichen Verrichtungen und Erlebnisse“. Ein Tagesplan muss nicht nur aufgestellt, sondern auch eingehalten werden. In Westfalen etwa galt folgender Tagesablauf:
7 Uhr Wecken
7-8 Uhr Freiübungen, Morgengymnastik
8-8.30 Uhr Waschen, Anklieden, Zimmer aufräumen (Bettenmachen)
8.30-9 Uhr Frühstück
9-10 Uhr Hilfsdienst (Haus und Garten)
10-12 Uhr Spielen
12-1 Uhr Mittagessen
1-3 Uhr Mittagsruhe („Stille Freizeit“)
3-4 Uhr Hilfsdienst
4-7 Uhr Kaffeetrinken, dann Spielen, Wandern
7 Uhr Abendessen
9 Uhr Zubettgehen
Die Zuversicht, die sich mit den evangelischen Kinderlagern verband, artikulierte Hans Werner Piutti 1932: „Was hier in der evangelischen Jugend auf weltanschaulichem Boden wächst und stark wird, das könnte eines Tages wohl geeignet sein, einen Weg zu weisen heraus aus dem Parteihader und der öden Politisierung alles Lebens.“
Quellen:
Bestand „Konsistorium der Evangelischen Kirche der Rheinprovinz“, Signatur: 1OB 002, Akte Nr. 2189
Literatur:
Hans Werner Piutti, Das evangelische Kinderlager. Berlin-Steglitz 1932