Kürzlich bin ich durch eine Anfrage auf diesen sehr interessanten Aktenfundus gestoßen:
Im Bestand des Provinzialkirchenarchivs 1OB 020 gibt es eine Abteilung mit dem Namen Ronsdorfiana. Unter diesem Klassifikationspunkt finden sich insgesamt 27 z.T. dicke Aktenbände mit bis zu 400 Seiten. Mehr als über jede andere Gemeinde innerhalb des Einzugsbereichs der reformierten Provinzialsynode.
Geschuldet ist dies den ungewöhnlichen Vorgängen, die 1741 zur Abspaltung der Gemeinde Ronsdorf von der reformierten Gemeinde Elberfeld und schließlich sogar von der Bergischen Synode führten.
Die Vorgeschichte: In Elberfeld hatte sich bereits in den 1720 Jahren eine Separationsbewegung um Anna vom Büchel gebildet, die bei Seancen in ihrem Elberfelder Haus göttliche Weissagungen aussprach. Zu ihrem Anhängerkreis gehörte auch Elias Eller, der neben ihr zur zentralen Figur der radikalpietistischen Gruppierung wurde. 1734 heirateten die beiden.
Gemeinsam gründeten sie eine philadelphische Sozietät, die von der reformierten Gemeinde geduldet wurde. Bereits in den Anfangsjahren sollen mehrere hundert Personen der Prophetin gefolgt sein. Vehement forderte sie den Auszug ihrer Anhänger aus Elberfeld und die heilsame Abschottung von der dortigen verderbten Gemeinde, durchdrungen von der Erwartung des herannahenden Anbruchs des tausendjährigen Reiches Gottes auf Erden für seine Auserwählten.
Zentrale Schrift der Anhänger Ellers und vom Büchels war die sogenannte Hirtentasche, eine von zwei religiösen Schriften Ellers, die aber nicht erhalten geblieben sind. Daher auch die zeitgenössische Bezeichnung als Ellerianische Gesellschaft oder Ellerianer Secte.
In seinem Aufsatz „Das Neue Jerusalem im Rheinland: Eine Untersuchung zu den Motiven der Stadtgründung von Ronsdorf bei Wuppertal“ hat Claus D. Bernet auf das Potential zur Stadtgründung durch radikalpietistische Abgrenzung hingewiesen.
Diese wurde zunächst räumlich vorangetrieben. In den späten 1730 Jahren begann der Aufbau einer eigenen Siedlung auf dem Klosterbusch, einem Grundstück das Elias Eller eigens dafür gekauft und zur Verfügung gestellt hatte. In der ersten Bauphase waren die Häuser der Siedlung so ausgerichtet, dass alle Straßen sternförmig um das Haus Ellers verliefen, sodass die sogenannte „Stiftshütte“ von jedem anderen Gebäude aus gesehen werden konnte. Dieses Konzept ließ ich allerdings nicht auf Dauer durchhalten, denn die Siedlung wuchs in den kommenden Jahren stetig an. Eine erfolgreiche Florettbandmanufaktur sorgte dafür, dass die neue Siedlung auch wirtschaftlich prosperierte.
Bereits 1741 erteilte der katholische Landesherr Kurfüst Karl Philipp von Pfalz-Neuburg auf Betreiben des reformierten preußischen Königs Friedrich II. die Konzession zur freien Religionsausübung als selbstständige reformierte Gemeinde Ronsdorf. So erhielt die neue Gemeinde das Recht, eine eigene Kirche zu errichten und einen Pfarrer zu wählen. Erster Pfarrer der Gemeinde Ronsdorf wurde Daniel Schleyermacher, Kirchmeister wurde Elias Eller. Gerade mal ein Jahr später war mit finanzieller Hilfe von zahlreichen mit der jungen Gemeinde sympathisierenden Gemeinden bereits ein geräumiger Kirchbau fertiggestellt. Zentraler Mittelpunkt für sakrale Handlungen blieb allerdings trotz des repräsentativen Kirchbaus die „Stiftshütte“ von Elias Eller und seiner Frau.
Die Erteilung von Stadtrechten war die Konsequenz aus dieser fortschreitenden Entwicklung der Ronsdorfer Siedlung. 1745 erhielt Ronsdorf die Gerichtsfreiheit. Erster Bürgermeister und erster Beisitzer im Schöffengericht wurde – wie könnte es anders sein – Elias Eller. Damit baute Eller seine unangefochtene Stellung innerhalb der Gemeinde weiter aus.
Die Mitglieder der Gemeinschaft sahen in ihrer neuen Gemeinde das „Neue Jerusalem“, verstanden sich als die „wahren Christen“. Elias Eller wurde von Ihnen als „Vater Zion“, Anna vom Büchel als „Mutter Zion“ bezeichnet und auch weitere Mitglieder der Gemeinde bekamen als Ehrenzeichen einen neuen biblischen Namen zugeteilt. Die Mitglieder dieser zionitischen Gemeinde wurden in einem Verzeichnis aufgeführt und als „Versiegelte“ bezeichnet. Einige Personen wurden von Anna vom Büchel auch mit persönlichen Weissagungen bedacht, die auf einem gefalteten Zettel vermutlich in einem Amulett am Leib getragen wurden. Sakrale Handlungen fanden überwiegend in der „Stiftshütte“ statt, auch nachdem Anna Eller 1743 verstorben war. Die Predigten, die der jeweilige Prediger beim Sonntagsgottesdienst in der Kirche hielt, mussten zuvor von Elias Eller begutachtet werden, beim Beten hatte man sich in Richtung der „Stiftshütte“ zu wenden. Ein theokratisches System, dass entschieden von reformierter Gemeindepraxis abwich.
Trotz der scharfen Abgrenzung von der Elberfelder Gemeinde war es nicht das Bestreben der Ronsdorfer eine eigene Religion zu gründen. Trotz massiver Konflikte mit den Kirchenbehörden verblieben sie im Synodalverbund und beteiligten sich bis 1749 aktiv an den Sitzungen der reformierten Bergischen Synode. Bezüglich ihrer kultischen Handlungen übten sie strenge Geheimhaltung. Dennoch wurde der Verdacht gegen die „Rechtsinnigkeit“ der dortigen Gemeinde immer lauter. Im Jahr 1750 bat die Bergische Synode den preußischen König um Einsetzung einer Kommission zur Überprüfung der Verdächtigungen gegen die Ronsdorfer Gemeinde. Die Anwesenden der Bergischen Synode erklärten einhellig, dass sie mit den Abgeordneten aus Ronsdorf nicht gemeinsam das heilige Abendmahl einnehmen könnten, solange der Verdacht gegen sie nicht ausgeräumt sei.Im Jahr 1751 wurde Ronsdorf von der Bergischen Synode ausgeschlossen.
Lit.: Claus D. Bernet, Das Neue Jerusalem im Rheinland: Eine Untersuchung zu den Motiven der Stadtgründung von Ronsdorf bei Wuppertal, in: Monatshefte für Ev. Kirchengeschichte des Rheinlandes, Jg. 56 (2007), S. 129-147
Läßt sich sagen, wann die Namen getilgt wurden? Damals oder jüngst?
Genau läßt sich das nicht sagen.
Die Tilgung ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit zeitgenössisch. Möglicherweise wurden die Namen von den Mitgliedern der Ellerianer Gesellschaft selbst entfernt, um die Geheimhaltung ihrer Gemeinschaft aufrecht zu erhalten. Möglich ist aber auch, dass die Provinzialbeamten im Zuge der Vernichtung aller Erinnerungen an die Sekte zur Schere gegriffen haben.