Gottvater mit Kindergesicht

Taufzettel Vorder- und RückseiteDas Patenamt hat von jeher eine geistliche und eine materielle Dimension. Pate und Patin sollen den Täufling auf seinem christlichen Glaubensweg unterstützen und begleiten, doch zugleich wird von ihnen erwartet, dass sie dem Patenkind erforderlichenfalls auch ganz praktische Unterstützung zukommen lassen.

Von der engen Verbindung dieser beiden Aspekte des Patenamts zeugen die frühneuzeitlichen Taufzettel. Sie waren in der Regel kunstvoll gestaltet, mit zur Taufe passenden Bibelsprüchen versehen und dienten in zusammengefalteter Form als Umschläge, in die die Paten das Geld einlegten, das sie den Eltern des Patenkindes anlässlich der Taufe überreichten. Die Ränder der drei jeweils um 45 Grad gedrehten Quadrate, die als Rahmen für bildliche Darstellungen auf Taufzetteln typisch sind, wurden als Falzlinien genutzt.

Das in der Sammlung der Archivstelle Boppard befindliche Exemplar weist eine seltene ikonographische Besonderheit auf: Der Künstler hat bei der Darstellung der Dreifaltigkeit im Zentrum des Taufzettels die Person Gottvaters, die an dem Zepter in der Hand zu erkennen ist und gemeinsam mit Jesus Christus und dem durch die Taube symbolisierten Heiligen Geist über die von Engeln getragene Weltkugel regiert, nicht wie sonst üblich als alten Mann mit Bart gestaltet, sondern ihm ein Kindergesicht gegeben. Ob dies eine Anspielung auf die Bedeutung der Kindstaufe (im Gegensatz zur Erwachsenentaufe) sein soll, worauf auch der mittlere und der rechte Bibelvers in der oberen Reihe auf der Rückseite des Zettels hindeuten könnten? Oder ob es eher als Indiz für die im 18. Jahrhundert allmähliche Bewusstwerdung der Kindheit als eigenständiger Lebensphase zu werten ist? Der theologischen, kunstgeschichtlichen und volkskundlichen Interpretation bietet sich hier ein weites Feld – Interdisziplinarität ist gefragt!

 

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