Über Dr. Stefan Flesch

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Reformierte Netzwerke im 16. Jahrhundert – Die Familie Calandrini aus Lucca

Quittung des Cesare Calandrini, Frankfurt 17. April 1590, aus Bestand: AEKR 4KG 004 (Aachen); Nr. 143

Bei diesem Schriftstück handelt es sich vom Genre her zunächst einmal um eine banale Quittung. Sie wurde 1590 in Frankfurt/Main in französischer Sprache ausgestellt und es geht um eine Kollekte aus Aachen („Aix“). Stutzig macht aber bereits der klangvolle italienische Name des Ausstellers und bei näherer Betrachtung erschließen sich europaweite Netzwerke der Kommunikation und finanziellen Unterstützung.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erleiden die an der Lehre Calvins orientierten Reformierten in Westeuropa vielfach das Schicksal der Vertreibung. Massiver religiöser Verfolgungsdruck herrscht im England der katholischen Königin Mary Tudor (reg. 1553-1558) ebenso wie unter der Statthalterschaft des Herzogs von Alba in den Niederlanden 1567-1573. Weitere Flüchtlinge aus Frankreich, der Wallonie und aus Antwerpen prägen die reformierten Gemeinden am Niederrhein, in Aachen und Köln.

Ein Beispiel ist die „Lucca-Connection“ der Familie Calandrini: Sie mussten 1567 auf Druck der Inquisition das toskanische Lucca verlassen und siedelten sich in Paris an. Dort überlebten sie 1572 knapp die Massaker der Bartholomäusnacht und flohen nach Sedan. Von dort zogen einige Mitglieder der Familie nach Antwerpen, dann 1585 vor den einmarschierenden Spaniern nach Frankfurt am Main. Der junge Textilkaufmann Cesare Calandrini (1550-1611) hatte sich bereits seit Mitte der 1570er Jahre in Nürnberg als einer der angesehensten Tuchhändler der Stadt etabliert. Sein Bruder Giovanni war erfolgreicher Bankier in Amsterdam, ebenso wie sein Schwiegersohn Philipp Burlamachi in London.

Fluchtroute der Familie Calandrini im 16. Jahrhundert. Aus: „Damit Extrema verhütet werden…“ – Die 1. Reformierte Generalsynode in Duisburg 1610 zwischen Machtpolitik und Nächstenliebe
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Das Archiv der Ev. Kirchengemeinde Ottweiler: Eine Fundgrube für die Kirchen- und Sozialgeschichte des Saarraumes vor der Französischen Revolution

Das Evangelische Zentralarchiv Saar (EZAS) hat die Erschließung seines historisch bedeutendsten Bestandes abgeschlossen: Das Findbuch mit einem Umfang von 141 Seiten und 541 Verzeichnungseinheiten liegt online vor und präsentiert eine kleine lutherische Landeskirche des 17.-18. Jahrhunderts in all ihren Facetten.

In Ottweiler residierten von 1640 bis zu ihrem Aussterben 1728 die Grafen von Nassau-Ottweiler in ihrem im Dreißigjährigen Krieg schwer beschädigten Renaissanceschloss aus dem 16. Jahrhundert. Dem korrespondierte kirchlicherseits, dass Ottweiler Sitz einer lutherischen Inspektion war. Diese entspricht einem heutigen Kirchenkreis.

Einblicke in das alltägliche Gemeindeleben auf dem Sprengel der gesamten Grafschaft Ottweiler ermöglichen die Visitationsberichte mitsamt ihrer umfänglichen Begleitkorrespondenz. Bauskizzen nicht mehr existierender mittelalterlicher Ortskirchen sowie Aufschriften längst zerstörter Glocken werfen Schlaglichter zurück auf das Spätmittelalter.

Abschriften der Glockeninschrift. Aus Bestand: EZAS Best. 02,49 Ottweiler I Nr. 183

Die Stuhlordnung für die Stadtkirche Ottweiler illustriert eindrücklich die subtilen sozialen Unterschiede in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Alter und Familienstatus bilden die Hauptkriterien der Platzierung, freilich werden auch Honoratioren wie der gräfliche Oberjäger mit reservierten Stühlen bedacht.

Stuhlordnung der Stadtkirche Ottweiler. Aus Bestand: EZAS Best. 02,49 Ottweiler I Nr. 184
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Spendenfärsen aus den USA: Aus der Arbeit des Evangelischen Hilfswerks

Können Sie spontan etwas mit dem Begriff Spendenfärsen anfangen? Eine Färse (englisch: Heifer) ist bekanntlich ein junges weibliches Rind, das noch nicht gekalbt hat. Weshalb sollte sich das Blog eines kirchlichen Archivs mit diesen Tieren beschäftigen?

Nicht weniger als fünf dicke Aktenhefter im Bestand 5WV 052 (Ev. Hilfswerk) führen den Aktentitel „Spendenfärsen“. Es gab also in den 1950er Jahren offensichtlich intensiven Schriftverkehr um diese gespendeten Kühe. Ausgangspunkt ist die 1944 gegründete und heute noch bestehende amerikanische Organisation Heifer International.

Informationsschreiben der Färsen Projekt Vereinigung(ca. 1955). Aus Bestand: AEKR 5WV 052 (Diakonisches Werk, Bestand Hilfswerk), Nr. 202

Gemäß deren Auflagen mussten die Empfänger bedürftige Flüchtlinge sein und nachweisen, dass sie bereits in ihrer früheren Heimat als Landwirt tätig gewesen waren. In Deutschland betraf dies in der Regel Vertriebenenfamilien aus den ehemaligen Ostgebieten. Sie verpflichteten sich, das erstgeborene weibliche Kalb einem anderen bedürftigen Flüchtlingsbauern abzugeben

Das Hilfswerk und auf katholischer Seite die Caritas sorgten im Zusammenspiel mit staatlichen Stellen für die Bearbeitung der zahlreichen Anträge, die oft zunächst von den Ortspfarrern gesammelt und weitergeleitet worden waren. Das Procedere bei einer Übergabe von Tieren in Düsseldorf 1957 veranschaulicht ein Informationsblatt des Hilfswerks:

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Ein „sauberer Anzeigenteil“ für die kirchliche Presse

Die 1946 gegründete Zeitung DER WEG (Evangelisches Kirchenblatt für das Rheinland) erschien in den ersten Jahren ohne jegliche kommerzielle Werbung. In der Ausgabe vom 12. April 1953 erfährt die Leserschaft die Hintergründe für dieses Manko sowie die neuen Planungen der Redaktion:

Auszug: Der Weg, Evangelisches Kirchenblatt für das Rheinland, Nr. 8, 1953

Der intendierte „saubere Anzeigenteil“ im moralisch-ethischen Sinne fand in den kommenden Ausgaben auf originelle Weise eine wortwörtliche Umsetzung:

Auszug: Der Weg, Evangelisches Kirchenblatt für das Rheinland, Nr. 9, 1953

Bei beiden Produkten handelte es sich um Erzeugnisse regionaler Anbieter aus Solingen bzw. Wuppertal. Ein Beispiel für den im WEG-Artikel benannten „früher so geschätzten Anzeigenteil“ des Barmer Sonntagsblattes bietet die Ausgabe vom 21. Januar 1923:

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Die Veredlungswirtschaft GmbH und die Rheinische Hauptstelle des Evangelischen Hilfswerks: Ein überaus spannungsvolles Miteinander

Eugen Gerstenmaier, der Initiator und bis 1951 erste Leiter des Evangelischen Hilfswerks, hatte früh die Vision entwickelt, mit ausländischen Spendengeldern Rohstoffe im Ausland zu kaufen und diese in Deutschland weiterzuverarbeiten („zu veredeln“), um dadurch sowohl Arbeitsplätze zu schaffen wie auch Einnahmen für die Arbeit des Hilfswerks zu erzielen. Es sollten also nicht nur Hilfsgaben weitergeleitet, sondern eine Produktion in Gang gesetzt werden. 1949 wurden diese Aktivitäten unter dem Dach der Veredlungswirtschaft GmbH (kurz VERWI) in Stuttgart gebündelt. Heute hat sich der Begriff Veredlungswirtschaft auf Landwirtschaft und Nutztierhaltung verengt; damals standen vor allem textile Ausgangsstoffe im Mittelpunkt. Das Geschäftsfeld erwies sich von Beginn an als nicht unumstritten.

Als Geschäftsführer der VERWI fungierte Walther Gerstenmaier, der jüngere Bruder von Eugen. Wiederholt hatte er sich mit den -wenigstens aus seiner Sicht- aufsässigen Rheinländern vom Hauptbüro in Essen auseinander zu setzen. Ein eindrückliches Beispiel ist sein Brief vom 2. Juni 1950 an den Essener Geschäftsführer Constantin Rößler, einen Bruder des Oberkirchenrates Helmut Rößler. Der Brief sei hier vollständig im Wortlaut wiedergegeben:

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Medikamentenspenden für die DDR. Ein Beispiel für die Arbeit des Evangelischen Hilfswerks in der Nachkriegszeit

Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie e.V. in Frankfurt/Main zeigte sich definitely not amused: Am 27. August 1955 richtete dessen Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Laar ein galliges Schreiben an das Hauptbüro Rheinland des Hilfswerks der EKD. „Außerordentlich große Mengen“ gespendeter amerikanischer Medikamente seien über das Hilfswerk an Krankenhäuser in Norddeutschland weitergegeben worden. Abgesehen von geltend gemachten Sicherheitsbedenken werde somit „der amerikanischen Industrie die Möglichkeit gegeben, auf einfache Weise Propaganda für ihre Arzneimittel zu machen“. Das Hilfswerk solle doch vielmehr Interesse an einer leistungsstarken und spendenwilligen deutschen Pharmaindustrie haben und daher Sorge tragen, dass derartige Spendenaktionen nicht mehr durchgeführt würden.

Innerhalb des Hilfswerks (Zentralbüro Stuttgart, das kritisierte Hauptbüro Schleswig-Holstein in Rendsburg, das angeschriebene Hauptbüro Düsseldorf) liefen nun die Drähte heiß, wie man auf diese heikle Kritik reagieren solle. Anfang Oktober brachte ein Telefonat zwischen Dr. Laar und Ludwig Geißel vom Zentralbüro „ein mehr als befriedigendes Ergebnis“, über dessen Details in unseren Akten aber nichts zu finden ist.

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Zeitschriftenpreise im Sommer 1923

Aufruf an die Leser des Düsseldorfer Sonntagsblatt zur freiwilligen Nachzahlung von 1000 Mark. Quelle: Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, ZK 065, Düsseldorfer Sonntagsblatt. Kirchlicher Anzeiger der evangelischen Gemeinden zu Düsseldorf, Ausgabe 30/1923 vom 22. Juli, S. 1

Die Panik, die aus den Zeilen von Pfarrer Rudolf Harney spricht, war verständlich: Inmitten der Hyperinflation 1923 stand die Existenz des von ihm herausgegebenen Düsseldorfer Sonntagsblattes nicht zum ersten Mal auf der Kippe. Die erbetene Nachzahlung von 1.000 Reichsmark erwies sich nur als der vielzitierte Tropfen auf dem heißen Stein. In den folgenden Monaten erklommen die Bezugspreise astronomische Höhen: Gemäß Impressum kostete das Monatsabo (vier Ausgaben) am 4. November 1923 zwei Milliarden Reichsmark. um im Dezember, kurz vor der Währungsumstellung, auf 800 Milliarden zu springen.

Irgendwie hielten das Redaktionsteam um Harney und die Kirchengemeinde Düsseldorf aber durch. Das Sonntagsblatt erschien durchgehend weiter, bis es 1941 zusammen mit allen anderen kirchlichen Presseerzeugnissen wegen „Papiermangel“ eingestellt wurde.