Die Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung von 1835 – Mutter der demokratischen Kirchenverfassung

Einführung der presbyterial-synodalen Ordnung im Rheinland vor 180 Jahren

Kirchenordnung 1835

Kirchenordnung für die evangelischen Gemeinden der Provinz Westphalen und der Rheinprovinz, Koblenz 1835, Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland

Demokratie ist in den deutschen evangelischen Landeskirchen ein vergleichsweise junges Phänomen. Die Reformation war im 16. Jahrhundert eng mit dem landesherrlichen Kirchenregiment verknüpft. Der heute selbstverständliche Grundsatz, dass theologische und kirchenpolitische Entscheidungen durch gewählte Gremien – Presbyterien und Synoden –, und nicht durch obrigkeitliche Behörden getroffen werden, hat sich vielerorts erst im 20. Jahrhundert durchgesetzt. Pionierarbeit im Kampf um die presbyterial-synodale Ordnung haben aber bereits im frühen 19. Jahrhundert die evangelischen Kirchen im Rheinland und in Westfalen geleistet. Nach langen Auseinandersetzungen trat vor genau 180 Jahren, im März 1835, die Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung in Kraft, mit der die presbyterial-synodalen Grundsätze erstmalig Rechtskraft bekamen. 

Vorausgegangen waren zwei Jahrzehnte heftiger kirchenpolitischer Auseinandersetzungen innerhalb der preußischen Landeskirche zwischen den Kirchenprovinzen Rheinland und Westfalen auf der einen Seite und der Zentrale in Berlin auf der anderen. Während in den seit 1815 preußischen Westprovinzen die in niederländisch-calvinistischem Einfluss wurzelnde presbyterial-synodale Ordnung eine bis ins 16. Jahrhundert zurückgehende Tradition hatte, dominierte in den lutherisch geprägten ostelbischen Kerngebieten Preußens das landesherrliche Kirchenregiment mit seiner konsistorialen Ordnung. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. war nach 1815 bestrebt, diese auf die gesamte Monarchie auszudehnen, stieß in Rheinland und Westfalen jedoch auf erbitterten Widerstand. Ein Kompromiss wurde schließlich 1835 gefunden, als sich die Westprovinzen bereit erklärten, eine vom König gewünschte Liturgiereform zu akzeptieren, und Friedrich Wilhelm III. ihnen im Gegenzug in der Kirchenordnungsfrage entgegenkam.

Die Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung vom 5. März 1835 war ein klassischer Kompromiss, enthielt sie neben den presbyterial-synodalen Kernelementen – Stärkung des Laienelements in den Synoden; keine obrigkeitliche Ernennung der Superintendenten, sondern Wahl durch die Kreissynoden; kirchliche Ämter als Wahlämter auf Zeit – auch noch starke konsistoriale Elemente. Dennoch hat sie auf alle späteren Kirchenverfassungen in Deutschland einen maßgeblichen Einfluss ausgeübt und war somit ein entscheidender Markstein auf dem Weg zu einer Verfassung der Kirche, die dem in der Apostelgeschichte überlieferten Vorbild der Urkirche und zugleich den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Moderne Rechnung trägt.

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